In this photo taken from video provided by the Russian Defense Ministry Press Service, A Russian armored vehicle drives off a railway platform after arrival in Belarus, Wednesday, Jan. 19, 2022. In a move that further beefs up forces near Ukraine, Russia has sent an unspecified number of troops from the country's far east to its ally Belarus, which shares a border with Ukraine, for major war games next month. (Russian Defense Ministry Press Service via AP)

Mein Michel, was gibst du noch her?

Ausgerechnet Anton Hofreiter! Der gelernte Biologe und Grüne Vorsitzende des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union, der in Interviews so rüberkommt, als könne er noch nicht einmal ein Osterlamm opfern, fordert jetzt, dass die deutsche Bundesregierung schwere Waffen an die Ukraine liefert. Konkret schlägt er vor, 20 bis 30 funktionsfähige Marder-Schützenpanzer aus Bundeswehr-Beständen zu liefern und die bei Rheinmetall stehenden 70 ausgemusterten Panzer innerhalb weniger Wochen ertüchtigen, aufarbeiten und der Ukraine zur Verfügung stellen zu lassen. Ein für grüne Politiker unglaublicher Vorgang!

Ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier! Der soeben wiedergewählte Bundespräsident, der in Interviews so wirkt, als verkünde er die frohe Botschaft zu Ostern von der Kanzel des Berliner Doms, bekommt gerade die gesamte Breitseite des ukrainischen Shitstorms wegen seiner Russlandpolitik ab, die sich zwar im Nachhinein als Fehler erwiesen haben mag, zu seiner Zeit aber durchaus die utiima ratio der deutschen Entspannungspolitik gewesen war. Das machte das deutsche Staatsoberhaupt  jetzt in der Ukraine zur unerwünschten Person. Ein im diplomatischen Gebrauch unerhörter Vorgang.

Ausgerechnet Andrij Melnyk! Der ukrainische Diplomat, der sich mehr und mehr vollkommen undiplomatisch als Waffen-Lobbyist geriert, wirkt in seinen Interviews und Tweets inzwischen so, als mache er die Deutschen und insonderheit die Sozialdemokratie für alles Unrecht, seit Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, verantwortlich. An Sigmar Gabriel gewandt, der sich vor Steinmeier geworfen hatte, twitterte er jetzt:  „Bösartig ist vor allem Ihre und Ihrer SPD-Kumpane jahrelange Putin-freundliche Politik gewesen, die den barbarischen Vernichtungskrieg gegen den UAStaat, UANation, UAKultur, gegen UAFrauen & Kinder erst herbeigeführt hat.“ Ein unmöglicher Vorgang!

Und so drängt sich allmählich das Bild auf von einem, der in die Hand beißt, die ihn füttert. Immerhin ist die Liste deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine schon 300 Millionen Euro schwer. Und es würde wohl nicht zur Beruhigung der Gemüter beitragen, wenn man Melnyk jetzt an seinen Besuch am Grab des NS-Kollaborateurs Stepan Bandera erinnerte, den er 2014 sehr zum Missfallen der damaligen Bundesregierung als „unseren Helden“ bezeichnet hatte.

Die Nerven liegen blank angesichts des verbrecherischen Überfalls Putins auf die Ukraine. Und diese Nervosität zieht sich inzwischen auch durch die deutsche Wirtschaft. Denn…

Ausgerechnet Rainer Dulger und Reiner Hoffmann! Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands BDA, Rainer Dulger, und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, die ansonsten eher konträre Positionen vertreten, warnen in einer gemeinsamen Presseerklärung über dpa vor einem verfrühten und (für die deutsche Wirtschaft) riskanten Gasboykott. Anlass zu dieser konzertierten Aktion gab wohl die Tatsache, dass sich in der deutschen Bevölkerung allmählich eine Mehrheit für diese Maßnahme findet – obwohl niemand wirklich abschätzen könnte, wie groß der Schaden für Russland oder umgekehrt für Deutschland wäre.

Es wird höchste Zeit für Fakten:

Die Gasmillionen aus dem Westen finanzieren den russischen Krieg nicht! Putin bezahlt seine Soldaten in Rubel, die der Kreml jederzeit nachdrucken kann. Für Öl und Gas braucht Russland keine Devisen. Sicher ist aber, dass die deutsche Wirtschaft schon jetzt unter den hohen Energiekosten ächzt.

Die Sanktionen sollten eigentlich dem russischen Staat den Zugriff auf Hochtechnologie verwehren, mit der er seine Armee nachrüsten könnte. Doch einerseits findet die russische Wirtschaft nach und nach Alternativen im Land und andererseits gibt es mit China und anderen noch immer Länder, die diesen Boykott nicht nur nicht unterstützen, sondern auch für sich nützen.

Die deutschen Marder wären zwar in anderthalb Monaten lieferbar, doch ob sie auch von ukrainischen Soldaten genutzt werden können, ist eine Frage der Ausbildung, die noch einmal sechs Wochen dauern würde. Wäre eine solche Ausbildungstätigkeit – wenn nicht schon die Lieferung von schwerem Kriegsgerät – nicht als Eingreifen zu werten? Niemand könnte Putin daran hindern, dies so zu sehen und den Krieg in die Nato auszuweiten. „Deutsche Berater“ in der Ukraine – das wäre dann der ultimative „Marder-Schaden“.

Und schließlich – vom Ende her gedacht: Würden Waffenlieferungen und Gasboykott tatsächlich das Ende des Krieges beschleunigen? Wohl kaum. Es ist zu befürchten, dass ein in die Enge getriebener Putin zu immer katastrophaleren Mitteln greifen wird – aber keinesfalls zu einem Verhandlungsfrieden, bei dem er das Gesicht verliert. Auch die schlimmen Gräueltaten und Kriegsverbrechen, die die Russen an der ukrainischen Bevölkerung verüben, können so nicht verhindert werden. Der Ukraine-Krieg wird in einen Guerillakrieg übergehen. Das gilt es zu unterstützen, denn einen asynchronen Partisanenkrieg kann die stärkere Partei nicht gewinnen.

Meine Osterbotschaft lautet: Es wäre falsch, schweres Gerät zu versenden, ukrainische Soldaten an ihnen auszubilden und uns gleichzeitig selbst den Gashahn zuzudrehen. Wir müssen der Versuchung widerstehen, Kriegspartei zu werden. „Du hast Bataillone, Schwadronen, – Batterien, Maschinengewehr, – du hast auch die größten Kanonen… – Mein Michel, was willst du noch mehr?“ lautet ein deutsches Antikriegslied, das Kurt Tucholsky zugeschrieben wird. Diese Frage wird heute durch ein 100 Milliarden Euro großes Sondervermögen beantwortet. Die Stimmung kippt allmählich gefährlich zugunsten der Waffenexporteure und Säbelrassler, denen das Bisherige nicht genügt: „Mein Michel, was gibst du noch her?“

PS: Ich bin am 9. Mai 1945 geboren – in der ersten Stunde des Friedens.

PPS: Dies ist kein russlandfreundlicher Beitrag. Ich bitte also von Zuschriften aus den Reihen der Querdenker und Russlandversteher abzusehen.

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