Sanktionen sind nichts für Ungeduldige: Sie wirkten langsam und langfristig, heißt es immer wieder. Die Frage aber muss erlaubt sein, wer im aktuellen Fall dabei schneller in die Knie geht – die zentral gelenkte russische Wirtschaft oder der breit diversifizierte deutsche Mittelstand. Denn angesichts der multiplen Herausforderungen, vor denen mittelständische Unternehmen hierzulande derzeit stehen, kann von Erholung kaum die Rede sein; geschweige denn von zukunftsfrohen Investitionen. Und doch: kleine und mittelständische Firmen investieren verstärkt in ihre Fähigkeit, sich von Rückschlägen möglichst schnell zu erholen. Resilienz nennt man das. Dass dabei auch mehr Nachhaltigkeit angestrebt wird, ist ein positiver und erwünschter Nebeneffekt.
Doch paradoxer könnte die Lage kaum sein: zwar blättern mittelständische Unternehmen derzeit in vollen Auftragsbüchern, belastbare Prognosen für die nächste Zukunft lassen sich daraus aber kaum ableiten. Denn erstens ist die Zahl der Stornierungen noch nie so hoch gewesen, so dass die Produktions- und Lieferplanung kaum eine Halbwertzeit von einem Monat aufweist. Und zweitens sind die Beschaffungskosten für Energie, Rohstoffe und Komponenten so hoch und dabei so schwer zu kalkulieren, dass nicht einmal sichergestellt ist, ob bei einem abgeschlossenen Auftrag auch tatsächlich der benötigte Gewinn herausspringt. Die Lage ist existenzgefährdend.
Anders in Russland, dessen Wirtschaft eigentlich durch die Sanktionen in die Knie gezwungen werden soll mit dem Ziel, möglichst schnell zu einem Verhandlungsfrieden in der Ukraine zu kommen. Doch Ostexperten warnen: Öl, Gas und Kohle kommen aus der russischen Erde und stehen dem Staat somit unbegrenzt zur Verfügung. Selbst bei einem Spontanboykott aller fossilen Brennstoffe würde Russland immer noch China, Indien und nicht zuletzt die Türkei beliefern können, die wiederum als Händler auf dem Markt auftreten könnten. Und 60 Prozent des russischen Staatshaushalts sind nicht unmittelbar von Energieexporten abhängig.
Zwar weist Russland in puncto Hochtechnologie deutliche Rückstände gegenüber dem Westen auf, aber als zweitgrößter Waffenexporteur müssen die Angebote schon Weltniveau in Elektronik und Informationstechnik erreichen. Wieder geht hier der Blick nach Indien. Als größter Abnehmer russischer Waffenexporte ist das Land in der Lage, die fehlenden Hightech-Komponenten selbst beizusteuern – denn an den Sanktionen des Westens beteiligt sich der Subkontinent nicht. Und auch die eigenen Verluste im Ukrainekrieg können noch lange aus den russischen Arsenalen aufgefüllt werden. Allein westlich des Urals hat Russland 2800 Panzer stationiert – ohne die in der Ukraine zerschossenen oder aufgegebenen 500 Einheiten blieben immer noch 2300 Kettenfahrzeuge übrig…
Dennoch müssen die Sanktionen aufrechterhalten bleiben – auch wenn es im deutschen Mittelstand inzwischen quietscht und knirscht. Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sind viele Unternehmen inzwischen mit Hochdruck dabei, sich von russischen Gasimporten freizumachen. KfW-Kredite helfen dabei ebenso wie die Aussicht, durch klimafreundliche Alternativen den eigenen CO2-Abdruck und damit die Emissionskosten klein zu halten. Und auch in die Logistik investiert der deutsche Mittelstand mit Priorität. Denn jeder nicht gefahrene Kilometer hilft beim Sparen doppelt.
Logistik ist denn auch die Branche, die inzwischen am stärksten in die Digitalisierung ihrer Prozesse investiert. Laut einer Benchmark-Studie der Deutschen Telekom zusammen mit dem Beratungshaus techconsult sind es vor allem die personalintensiven Wirtschaftszweige im tertiären und quartären Segment, bei denen Digitalisierung derzeit boomt – also überall dort, wo Informationen und Daten ein unmittelbar verwertbarer Rohstoff sind. Allen voran die Banken und Versicherungen, dicht gefolgt von der Logistik und dem Handel nutzen Digitalprozesse, um die eigenen Geschäftsabläufe zu verschlanken und ihren Kunden zusätzliche Services aus der Cloud anbieten zu können.
Der deutsche Mittelstand ist ins Fadenkreuz der Geschichte geraten – und hält sich dort erstaunlich gut. Denn trotz Corona, Ukraine, Russland-Sanktionen, Fachkräftemangel und Energiewende haben sich die Investitionen leicht verbessert – wenn auch nur um einen Index-Punkt in der Telekom-Analyse auf einen eher noch mittelmäßigen Wert von 59 von 100. Dass es nicht mehr ist, liegt an der verschlafenen Zeit der Hochkonjunktur, als mittelständische Unternehmer angesichts voller Auftragsbücher keine Zeit für „irgendwas mit digital“ hatten. Danach hatte man zwar Zeit, aber nun wiederum kein Geld. Die, die schon früh mit der Digitalisierung begonnen haben, sind bereits besser durch die Corona-Krise gekommen und weisen auch in der Sanktionszeit eine größere Fähigkeit zur Resilienz auf.
Aber Corona war ein guter Lehrer: vor allem Investitionen in hybride Arbeitsmodelle, bei denen Mitarbeiter wahlweise zuhause oder im Büro arbeiten, sind die unmittelbare Folge der Lockdowns. Jetzt sind die Menschen auf den Geschmack gekommen und fordern mehr Freizügigkeit bei der Wahl des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit. Dass dies nicht zulasten der Effizienz geht, sondern im Gegenteil sich positiv auf die Produktivität auswirkt, beweisen Studien, die Microsoft unter seinen Mitarbeitern immer wieder auflegt.
Investiert wird auch in neue Services, um zusätzliche Umsatzpotenziale zu erschließen und Kunden stärker an sich zu binden. Dabei ist die Cloud das zentrale Mittel. Und folgerichtig werden bei zunehmender „Onlineisierung“ auch die Investitionen in Sicherheitsvorkehrungen gegen Angriffe aus dem Cyberspace stärker in den Fokus genommen. Und drittens – als direkte Folge der Energiedebatte und der explodierenden Kosten – investiert der Mittelstand in Nachhaltigkeitsprojekte.
Neun von zehn mittelständischen Unternehmen wollen ihre Digitalprojekte fortsetzen oder sogar verstärken. Dabei überrascht eines: die bereitgestellten Staatsmittel, mit denen Digitales gefördert werden soll, werden kaum abgerufen. Ganz so knapp scheinen die finanziellen Möglichkeiten im Mittelstand also doch nicht zu sein. Problematisch ist aber auch, dass es offenbar keine leichte Aufgabe ist, die Bürokratiehürden zu überwinden, um an „Staatsknete“ zu gelangen. Während nur 18 Prozent der befragten 2000 Unternehmen Anträge erfolgreich gestellt haben, mussten zwei Drittel von ihnen fremde Beratungsleistungen in Anspruch nehmen. Das ist nun nicht im Sinne des Erfinders.
Der Mittelstand steht derzeit im Fadenkreuz der Geschichte wie vielleicht noch nie seit dem Wiederaufbau. Und er zeigt einen erstaunlichen Überlebenswillen. Der Mittelstand war schon resilient als es das Wort noch gar nicht im allgemeinen Sprachgebrauch gab. Zumindest das stimmt in diesen schweren Zeiten hoffnungsfroh.