Also so sieht der moderne Gaskrieg aus: Vor einem guten Jahrhundert wurden noch die Soldaten in den Schützengräben mit Chlorgas vergiftet, heute wird eine ganze Gesellschaft vergiftet durch die Aussicht, künftig kein Gas mehr zur Verfügung zu haben. Aber genau so könnte es schon sehr bald, nämlich ab der kommenden Woche, aussehen, folgt man den Negativszenarien des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck und des Chefs der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Habeck sieht ab 11. Juli „eine Blockade von Nord Stream 1 insgesamt“, sagte der Grünen-Politiker am vergangenen Donnerstag. Denn ab der kommenden Woche stehen turnusmäßige Wartungsarbeiten an der Pipeline an, die – so die Sorgen des Ministers – von der russischen Seite künstlich verlängert werden könnten. Einfach so. Um uns die Folterinstrumente zu zeigen.
Der oberste Bundesnetzwerker Müller sieht noch ganz andere Gasprobleme auf uns zukommen: Wenn der Gasfluss aus Russland „motiviert länger anhaltend abgesenkt wird, müssen wir ernsthafter über Einsparungen reden“. Die zwölf Wochen bis zum Beginn der Heizsaison müssten genutzt werden, um Vorbereitungen zu treffen, sagte Müller. Und das wohl auch gegen regionale Gasschwankungen. Das könnte, so Müller, dazu führen, dass sich Hunderttausende Gastherme automatisch notabschalteten – und erst mühsam von Fachleuten vor Ort wieder aktiviert werden müssten. Eine Wirkung, die nicht einmal von einem Industrievirus übertroffen werden würde.
Der erste Energieversorger – Uniper – ruft angesichts von Milliardenverlusten im ersten Quartal schon nach Staatsknete. Und natürlich ist es immer einfacher und auf den ersten Blick zielgerichteter, die Hilfen auf die wenigen DAX-Konzerne zu konzentrieren, als den Millionen von mittelständischen Betrieben über welche Wege auch immer unter die Arme zu greifen. Tatsächlich sind Unipers Kunden mittelständisch strukturierte Stadtwerke, an die eine Preiserhöhung – noch – nicht so ohne weiteres weitergegeben werden kann.
Das soll die Reform des Energiesicherungsgesetzes auch künftig abmildern. Denn die zahllosen Mittelständler und Familienbetriebe ächzen schon jetzt unter den explodierten Energiekosten, die jeder Preiskalkulation obsolet machen. Gleichzeitig werden sie jetzt aufgefordert, die Energiewende im eigenen Betrieb umzusetzen: weniger Energie verbrauchen, andere Energiequellen nutzen, Lieferketten überdenken, Produktpaletten nachhaltiger gestalten. Das läuft wie immer: als Zeit war, fehlte das Geld. Jetzt fehlen Zeit und Geld.
Aber das sind die Herausforderungen die die agilen Mittelständler und Familienunternehmen noch immer stark und stärker gemacht haben. Man möchte fast sagen, dass es auch von Zeit zu Zeit hilfreich ist, aus seiner Wohlfühlzone gestoßen zu werden. Auf den Punkt brachte es der B7-Gipfel in Berlin, der im Umfeld des G7-Gipfels in Elmau tagte und in seinem Kommuniqué die westlichen Politiker in ihrer straffen Sanktionshaltung nicht nur unterstützte, sondern auch Handlungsempfehlungen aussprach. Vor allem aber schauten die Unternehmer auf sich und forderten sinngemäß: es braucht eben auch „Guts“, um in schwierigen Situationen das richtige zu tun und durchzuziehen. „Guts“ sind im Englischen nicht nur die Eingeweide, sondern die Courage. Das habe den Mittelstand schon immer stark gemacht.
Mit „Guts“ gegen Gas? Auch mein Bruder im Geiste Martin Limbeck, der mit dem Buch „Sei kein Dodo – lerne fliegen“ einen Weckruf an Wirtschaft und Gesellschaft geschrieben hat, fordert mehr Guts. Der Unternehmer und Gründer fasst seine Wahrnehmung von Deutschland im Jahr 22 so zusammen: „Wir sind lieber Gehaltsempfänger als Unternehmer. Optimieren lieber unsere Freizeit als unsere Arbeit. Und unseren Kindern ermöglichen wir einen von Fleiß befreiten Start ins Leben. Kein Wunder, dass unsere Wirtschaftsleistung und unser Wohlstand stetig zurückgehen. Schuld daran sind übrigens nicht die anderen oder die da oben, sondern wir selbst.“