„Leider“, so sagte kürzlich der Betreiber eines kommunalen Stadtwerks in einer dieser Polittalks, die sich wahlweise, aber immer besserwisserisch entweder um den Ukraine-Krieg oder den Gaskonflikt bemühen, „leider habe man in der Vergangenheit bereits erheblich in Energieeffizienz investiert.“ Gemeint war, dass es nun deutlich höherer Anstrengungen bedürfe, um dem von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufenen Ziel nachzukommen, rund zehn Prozent Gasverbrauch einzusparen. Doch nur ein Bruchteil der mittelständischen Unternehmen hat bislang tatsächlich alle Optionen ausgeschöpft, um entweder den Gasverbrauch weiter zu reduzieren oder die Energiequelle ganz zu wechseln. Nicht alle „stehen dafür mit ihrem Namen“, wenn es darum geht, nicht einfach nur klimaneutral zu agieren, sondern sogar „klimapositiv“, was wie bei Coronatests negativ bedeutet: „Wir geben der Natur mehr zurück als wir von ihr nehmen“, verspricht beispielsweise Babynahrungsspezialist Stefan Hipp – auch wenn da ein wenig Greenwashing dabei sein dürfte.
Was für mittelständische Unternehmen gilt, gilt auch für private Haushalte: die Möglichkeiten, Energie einzusparen sind mannigfaltig – und jeder Schritt zählt. Dabei dürfte der Energiepreis allein Anreiz genug sein, um weitere Anstrengungen zu unternehmen oder um den „inneren Schweinehund“ (O-Ton Habeck) zu überwinden. Eine Belohnung für eine ohnehin überfällige Maßnahme lehnt der Bundeswirtschaftsminister jedenfalls ab – und folgt dabei durchaus dem gesunden Volksempfinden: „Und wenn da jemand sagt, ich helfe nur, wenn ich noch einmal 50 Euro kriege, dann würde ich sagen: `Kriegst du nicht, Alter!`“
Dabei ist es so bequem, nach Belohnungen oder Subventionen zu rufen, wenn das Notwendige zum Überfälligen wird und Maßnahmen zur Energieeinsparung jetzt erst eingeleitet werden. Wer den Bundesregierungen Merkel I bis IV vorwirft, sehenden Auges in die Gasabhängigkeit von Russland geraten zu sein, übersieht dabei oft, dass es auch die kurzsichtige, wenn nicht blinde Hingabe an billigem Gas aus Russland war, die Unternehmen hierzulande gute Renditen verschafft hat. Es ist kaum zu übersehen, dass die Energiewende und die digitale Transformation in deutschen Betrieben bedauerliche Parallelen aufweisen: Erst wenn´s weh tut, wird gehandelt.
Die einen rufen dann nach dem politischen Pflaster, die anderen suchen nach echten Alternativen. Doch wie es scheint, wird der Mittelstand leer ausgehen, wenn der Ruf nach staatlichen Energiehilfen ertönt. Systemrelevante Energieversorger wie Uniper werden möglicherweise mit Staatsknete gerettet, längst überfällige Erneuerungsprojekte in mittelständischen Betrieben aber eher nicht. „Kriegst du nicht, Alter!“
Da ist es durchaus bezeichnend, wenn die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft anlässlich der Internationalen Handwerksmesse in München eine gemeinsame Resolution an die Bundesregierung senden, in denen der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie mehr Freiraum für unternehmerisches Handeln und mehr Sicherheit für Investitionen fordern. Dazu nannten sie der Bundesregierung vier Handlungsfelder, in denen Nachholbedarf besteht, wie das Handelsblatt berichtet:
- „Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft müssen gestärkt, die Resilienz erhöht werden. Wir müssen unabhängiger bei Lieferketten und Energieversorgung werden. Eine zuverlässige Rohstoff- und Energieversorgung sind die Basis unseres Wirtschaftsstandorts.“ Wichtig sei aktuell eine stabile Gasversorgung und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Zusätzlich gelte es, die Energieeffizienz in verschiedenen Bereichen zu stärken. Generell sei der Ausbau der Infrastruktur für die Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele und für den Abbau der energiepolitischen Abhängigkeit essenziell.
- Hinsichtlich der nötigen Modernisierung der Infrastruktur, Gebäude oder technischen Anlagen müssten die Verfahren zur Planung und Genehmigung beschleunigt werden, um die Ziele des Klimaschutzes oder der Digitalisierung zu erreichen. „Ob Industrieanlagen, Gewerbe- und Wohnungsbau, Windkraftanlagen, Wasserstoffelektrolyseure, Bahntrassen, Glasfaser- und Stromleitungen: Die Verfahren müssen auf wenige Monate reduziert werden.“ Dazu sei eine grundlegende Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftsbereiche und nicht allein beim Ausbau der erneuerbaren Energien nötig.
- Der Arbeits- und Fachkräftemangel sei zur Wachstumsbremse geworden. Dienstleistungen könnten nicht mehr in dem Maße erbracht werden, wie sie nachgefragt werden. „Diese Kompetenzen werden uns im Strukturwandel von Digitalisierung und Dekarbonisierung fehlen. Wir müssen weiterhin das inländische Erwerbspersonenpotential ausschöpfen – durch bessere Bildung und Weiterbildung, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, mehr Inklusion von Menschen mit Behinderungen sowie die bessere Einbindung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Wichtig sei auch die Zuwanderung von Fachkräften. Wichtige Hebel seien hier beschleunigte und digitalisierte Verwaltungsverfahren sowie eine gezielte Weiterentwicklung des Rechtsrahmens.
- Es brauche eine Bildungswende hin zur Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung. Es bedürfe mehr materieller und ideeller Wertschätzung für die berufliche Bildung. Nur mit ausreichend qualifizierten Fachkräften könnten die Potenziale Deutschlands realisiert und die Transformationsprozesse umgesetzt werden. Wichtig ist dafür eine bundesweite Studien- und Berufsorientierung, die ergebnisoffen über Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten informiert. „Um den wachsenden Anteil vakanter Ausbildungsstellen besetzen zu können, müssen die duale Ausbildung und die höhere Berufsbildung mehr Gewicht erhalten.“
Doch wie immer, wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, weisen vier Finger auf einen selbst. Die aufgezeigten Handlungsfelder markieren nicht nur dringende und drängende Aufgabengebiete für die Bundesregierung, sie zeigen auch eklatante Versäumnisse der Wirtschaft selbst in der Vergangenheit auf – vielleicht mit Ausnahme des überfälligen Bürokratieabbaus und der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Dich auch hier tut sich was. Bayern will plötzlich 800 Windräder aufstellen, andere Bundesländer wollen die 1000-Meter-Grenze für Windräder fallen lassen. Und jede Landesregierung etabliert derzeit Transformationsagenturen für den Wechsel von fossil zu erneuerbar und von analog zu digital. Wer sich nicht selbst hilft, bleibt ohne Hilfe: „Kriegst du nicht, Alter!“
Man muss nur wollen. Und traurig genug, dass es dazu eines Störenfrieds von außen à la Putin bedarf. Es ist als hätten wir ihn zu dem Weckruf zur geistig-moralischen und energetisch digitalen Wende motiviert. „Kriegst du, Alter“, wird er da wohl an seinem langen Tisch im Kreml gemurmelt haben.