Mit zunehmender Penetranz verbeißen sich die sattsam bekannten Talk-Moderatorinnen und –toren in die Frage, wer wann über welchen Weg welche schweren Waffen an die Ukraine liefern wird, wo und durch wen die ukrainischen Soldaten im Gebrauch dieser Waffen ausgebildet werden und welche Firmen an der Lieferung des Geräts beteiligt sein werden. Es nervt wie die Frage der Kinder auf dem Rücksitz während der Fahrt in den Urlaub: „Wann sind wir da?“
Die Frage nach der Ankunft am Urlaubsort lässt sich in der Regel ebenso wenig präzise beantworten wie das nörgelnde Beckmessern der Talkisten, die immer im Nachhinein besser gewusst haben wollen, was richtig gewesen wäre. Dabei übersehen diese „Captains Hindsight“, dass es sich in der Regel um Staatsgeheimnisse handelt, die sie herauszupzzlen versuchen. FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wusste sich letztens nicht anders zu helfen als mit dem Hinweis: „Ich will doch hier nicht in Handschellen hinausgeführt werden.“ Und auch weniger geheime Botschaften eignen sich nicht dazu, in den abendlichen Talkrunden herausposaunt zu werden: etwa die Frage, wann und über welche Route eine Lieferung an die Ukraine erfolgen wird. Ganz so einfach sollte man es der russischen Spionage nun auch nicht machen…
Andere – und mit Verlaub aus deutscher Sicht nicht minder wichtige – Themen werden indes von der Polittalk-Journaille weniger intensiv hinterfragt. Etwa die Frage, wie die Energiewende in der Wirtschaft gelingen soll. Gäbe es nicht den Welterklärer Robert Habeck, würde dieses Thema deutlich weniger transparent diskutiert. Oder die Frage, mit welchen Maßnahmen den Millionen mittelständischen Betrieben dabei unter die Arme gegriffen werden könnte, den multiplen „Wende“-Herausforderungen zu begegnen: Energiewende, Klimawende, Mobilitätswende, digitale Wende und Wende in der Gestaltung des Arbeitsplatzes. Hinzu kommen unterbrochene Lieferketten, Rohstoffknappheit, Fachkräftemangel und nicht zuletzt Finanzierungsprobleme. Bohrende Nachfragen würde auch der Themenkomplex lohnen, was genau der Mittelstand gerade unternimmt, um mit diesen multidimensionalen Problemen fertig zu werden. Aber Wirtschaftsthemen eignen sich nicht für die Quote im Fernsehen. Denn weder die Moderatoren, noch der größere Teil des Publikums verstehen wirklich etwas von wirtschaftlichen Zusammenhängen – und das trotz der Schwemme an BWL-Absolventen.
Dabei gibt es genug Studien über den „Stand im Mittelstand“, die man zitieren und kritisch hinterfragen könnte nach dem Motto: Wann werden die schweren Waffen für den Mittelstand geliefert, damit der Träger des Wohlstands in Deutschland in diesen krisengeschüttelten Jahren nicht vor die Hunde geht. Immerhin sechs Prozent der (kleineren) mittelständischen Betriebe sind aktuell bereits von der Insolvenz bedroht. Das entspräche rund 18000 Betrieben mit zusammengenommen schätzungsweise 150.000 Arbeitsplätzen. Besonders betroffen sind laut einer Datev-Untersuchung die Branchen Dienstleistung, Kultur, Gastronomie sowie die Freien Berufe.
Vor allem Steuerentlastungen sollen nach der Ansicht vieler Wirtschaftsinstitute und Mittelstandsvertreter Spielraum für mehr Innovation geben. Das kann allerdings nur gelingen, wenn die fiskalischen Vergünstigungen auch an Bedingungen geknüpft werden, wie zum Beispiel Investitionen in erneuerbare Energiequellen, zur Senkung des Energieverbrauchs, für mehr Nachhaltigkeit oder zur digitalen Aus- und Neugestaltung der eigenen Geschäftsprozesse. Denn der eigentliche Hinderungsgrund – auch das zeigen die Studien immer wieder auf – liegt nicht an den mangelnden finanziellen Mitteln, sondern an der fehlenden Perspektive und visionärem Unternehmertum. In sieben von zehn Unternehmen stockt derzeit die Arbeit am digitalen Umbau, sagt eine Studie von Roland Berger.
Dabei ist es frappierend, dass tatsächlich nur ein kleiner Teil der mittelständischen Unternehmen tatsächlich eigene kontinuierliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung ausweist. Neun Prozent – also hochgerechnet immerhin rund 270.000 mittelständische Betriebe – stellen das innovative Rückgrat der deutschen Wirtschaft dar. Und das mit gutem Erfolg, wie die KfW ermittelt hat: Sie stehen für 69 Prozent der mittelständischen Innovationsausgaben, 54 Prozent des Umsatzes mit Produktinnovationen und 43 Prozent der Kosteneinsparungen durch Prozessoptimierung. Diese mittelständischen Betriebe beschaffen sich selbst ihre schweren Waffen.
Doch Forschung und Entwicklung sind nicht alles, wenn die unternehmerische Vision stimmt. Nach den Untersuchungen der KfW weisen 34 Prozent der mittelständischen Unternehmen keine regelmäßigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung aus – und haben dennoch Innovationserfolge. Sie erzielen 34 Prozent der Umsätze mit innovierten Produkten und 43 Prozent der Effizienzsteigerungen durch Prozessinnovationen – letzteres ist ohnehin eine der Königsdisziplinen im deutschen Mittelstand. Sie arbeiten nach dem Motto: Erfolg schaffen auch ohne schwere Waffen.
Nach der Datev-Untersuchung, bei der die angeschlossenen Steuerberater über die Situation ihrer Mandanten befragt wurden, ist ein sattsam bekanntes Thema unverändert die Nummer Eins unter den Herausforderungen: vier von fünf Firmen leiden unter Fachkräftemangel. Erst danach kommen die wachsenden Energiekosten und die steigenden Rohstoffpreise. Dann folgt wieder ein altbekanntes Thema: Überregulierung und Bürokratie. Wie der Mittelstand gegen die Klassiker der Wachstumsbremse mit schweren Waffen vorgehen könnte, wäre ein Dauerthema für die Talkshows in den Abendprogrammen. Aber das bringt nun mal keine Quote – dafür aber Arbeitsplätze.