220919 Commerzbank

Nachhaltig und digital? Ja, vielleicht!

Dass man von Zeit zu Zeit nicht tut, was geraten wäre, hat der bayrische Wortakrobat Karl Valentin in seinem Stück „Oktoberfest“ prägnant zusammengefasst: „Mögen hätte ich schon wollen, nur dürfen habe ich mich nicht getraut!“ Denn angesichts der unsicheren Zeiten, in denen wir uns durch Putins Gaskrieg befinden, zögern mittelständische Unternehmer ausweislich der aktuellen Commerzbank-Studie das zu tun, was sie selbst für notwendig und zielführend ansehen: nämlich Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitalisierung voranzutreiben.

Denn die überwiegende Mehrheit der mittelständische Unternehmer sieht zwar Projekte für mehr Nachhaltigkeit und den Ausbau der Digitalisierung als entscheidende Zukunftsinvestitionen, aber nur 40 Prozent der von der Commerzbank Befragten verfolgen derzeit eine entsprechende Strategie. Und das war auch schon vor einem Jahr so. Aber mögen hätte man schon gewollt…

Immerhin 91 Prozent der mittelständischen Entscheider in Unternehmen mit mehr als 15 Millionen Euro Umsatz sehen den schonenden Umgang mit Ressourcen als wichtigsten Beweggrund für Investitionen ins nachhaltige Wirtschaften. Dabei schwingt nicht allein der Respekt vor diesem Planeten mit, sondern ebenso die Erkenntnis, dass Ressourcen nicht unendlich zur Verfügung stehen und vor allem nicht zum Nulltarif. Als wäre der Report an den Club of Rome über „die Grenzen des Wachstums“, der vor einem halben Jahrhundert veröffentlicht wurde, erst jetzt in den Köpfen der Entscheider angekommen.

Immerhin vier von fünf Entscheidern sehen nach der Commerzbank-Studie „Unternehmensperspektiven“ im nachhaltigen Wirtschaften auch eine Investition in das eigene Firmenimage und zugleich eine Herausforderung aus sozialer Verantwortung. Und drei Viertel der Entscheider sehen auch die Attraktivität als Arbeitgeber gestärkt, was gerade bei einer immer wählerischer werdenden jungen Generation von Bedeutung ist. Offensichtlich haben die Entscheider bei der Umfrage, bei der Mehrfachnennungen möglich waren, die „weichen Faktoren“ der Sustainability ebenso hoch eingestuft wie die harten Fakten der Kostenersparnis.

Nun kann es nicht verwundern, dass den Absichten nur bedingt Taten folgen, angesichts von Energiekosten, die sich binnen weniger Wochen verzehntfacht haben. Es fällt schwer, sich mit Zukunftsinvestitionen zu beschäftigen, wenn nicht einmal klar ist, wie die Gegenwart finanziert werden soll. Deshalb sucht der Mittelstand derzeit verstärkt die Rückendeckung durch die Banken und Kreditinstitute, um nicht nur Finanzierungen neu aufzustellen, sondern auch inhaltlich über die Zukunftsinvestitionen zu diskutieren. Aber gerade bei den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung tun sich die Geschäftskundenberater der Geldinstitute selbst schwer.

Dabei verspricht gerade die Digitalisierung deutliche Effizienzgewinne und zusätzliche Wachstumspotenziale, die gerade in Krisenzeiten auch einen Hoffnungsschimmer darstellen könnten. Vor allem das Internet der Dinge ist für die mittelständischen Entscheider ein Weg, die eigenen Kapazitäten effektiver zu nutzen und dabei Ressourcen zu schonen. Additive Fertigung – also die Produktion mit 3D-Druckern – und autonome Systeme, die KI-gestützt eigene Entscheidungen treffen und über ihren Zustand rechtzeitig und zielorientiert Auskunft geben, sind die angesagten Zukunftsthemen aus Sicht der industriellen Mittelständler. Die Dienstleistungsunternehmen sehen dagegen in Online-Plattformen zur Verbesserung der Kundenkommunikation und in Augmented Reality zur Schaffung neuer Einkaufserlebnisse den wichtigsten Zukunftspfad. Aber auch hier gilt: eine Digitalstrategie verfolgt derzeit weniger als die Hälfte der Unternehmen.

Wir leben in schwierigen Zeiten, in denen einerseits die Handlungsoptionen so deutlich vor uns liegen, während andererseits die Handlungsmöglichkeiten so stark durch äußere (Kriegs)Umstände begrenzt sind wie vielleicht nicht mehr seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Beherztheit ist jetzt gefragt – und wohl nicht zu hoch gegriffen wäre jetzt die Erinnerung an das Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Oder in einer Paraphase auf Karl Valentins berühmten Satz: „Wollen haben wir nicht gekonnt, aber machen haben wir uns getraut.“

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