dpatopbilder - 23.11.2022, Katar, Al-Rajjan: Fußball, WM 2022 in Katar, Vorrunde, Gruppe E, Spieltag 1, im Chalifa International Stadium in Al-Rajjan, Nancy Faeser (SPD), Die deutsche Mannschaft beim Teamfoto. Foto: Robert Michael/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

So wird Deutschland Europameister

52 Prozent der Fußballspieler in den aktuellen Bundesligakadern haben einen Migrationshintergrund – rund die Hälfte von ihnen gelten als internationale Verstärkung, als Ausländer, als Legionäre, als Gastarbeiter. Vor einem Vierteljahrhundert hatte lediglich jeder vierte Spieler ausländische Wurzeln – und in der Saison 2008/09 waren es sogar 56 Prozent der Spieler. Seitdem dümpelt der Anteil stets oberhalb der 50 Prozent. Die Deutsche Fußballliga und die sie tragenden Vereine haben ihren Fachkräftemangel also aktiv durch Spielertransfers aus dem Ausland und durch besondere Nachwuchsförderung gerade unter türkischen und nordafrikanischen Zuwanderern behoben.

Dabei wird in den seltensten Fällen danach gefragt, wie gut die Deutschkenntnisse der Zugänge sind, wenn sie nur auf ihrem Fachgebiet – dem Tore Schießen oder Verhindern – Weltklasse sind. Im Übrigen zeigt sich in Interviews immer wieder, dass auch unter den Spielern mit deutschen Wurzeln die Deutschkenntnisse meist nicht viel her machen. Und dennoch erhalten viele von ihnen nicht nur einen deutschen Spielerpass, sondern auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Denn wir wollen nicht noch einmal in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft ausscheiden. Deshalb müssen auch hier neue Fachkräfte aus dem Ausland her. Der Deutsche Fußballbund rechnet damit, dass 2030 die Hälfte der deutschen Nationalmannschaft aus Spielern bestehen wird, die ausländische Wurzeln haben. Spielernamen wie „Thomas Müller“ werden seltener, dafür jubeln wir Kickern namens Serge Gnabry zu.

Warum sollte in der metallverarbeitenden Industrie oder in der IT-Branche – um nur zwei der notleidenden Branchen zu nennen – nicht das gleiche Prinzip funktionieren, das in der Bundesliga zu einem so großen Erfolg geführt hat? So scheint es jedenfalls die Bundesregierung zu sehen, die jetzt neue Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz, mit dem ausländische Spezialisten nach Deutschland eingeladen werden können, vorgestellt hat. In drei Bereichen sollen die Hürden für Menschen, die Arbeit und Ausbildung in Deutschland suchen, gesenkt werden.

Da ist erstens die Novellierung des bestehenden Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, in dem die Gehaltsschwellen gesenkt und die Wahl des Arbeitsplatzes flexibler gestaltet werden sollen, indem auch Quereinsteigern die Möglichkeit gegeben werden soll, sich auf Jobangebote zu bewerben. Bisher war es nur möglich, im Rahmen des eigenen Ausbildungsprofils Stellen zu suchen. Da ist zweitens das neue Einwanderungsgesetz, wonach Menschen, die bereits einen Arbeitsvertrag haben, leichter nach Deutschland kommen können sollen. Und da ist drittens die Berücksichtigung von Potenzialen, wonach anhand eines Punktesystems analog zu Kanada oder Neuseeland Menschen die Chance gegeben werden soll, eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz in Deutschland zu suchen.

In der Tat gibt es ein erhebliches Potenzial von internationalen Fachkräften, die sich für Deutschland interessieren. Sie sind überwiegend hochqualifiziert und stark motiviert, die Anforderungen zu erfüllen, wie eine Online-Befragung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ergibt. Für sie gibt es schon heute – wie im Fußball – regelrechte Transfermärkte, auf denen Agenturen aktiv sind. Die wissen auch um die Hürden in den deutschen Ausländerbehörden, die kommunal organisiert sind, und in denen es je nach Bundesland durchaus noch nach Gutsherrenart zugeht. Hier hat sich noch nicht unbedingt rumgesprochen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist und auf den Zuzug von Arbeitskräften – langfristig wohl übrigens nicht nur auf den Zuzug von Fachkräften – angewiesen ist.

Denn die Not ist groß. Allein in der Informationstechnik fehlen rund 100.000 Fachkräfte. Wäre das Potenzial an Spezialisten größer, würden aller Wahrscheinlichkeit auch mehr Jobs in diesem Bereich angeboten werden. Denn künftig ist praktisch kein Geschäftsprozess denkbar, der nicht von Software, künstlicher Intelligenz, vom Internet der Dinge oder der Plattform-Ökonomie beeinflusst, ja sogar definiert würde. Und nur mit einer solchen Offensive könnte der Wirtschaftsstandort Deutschland seinen fortgesetzten Niedergang, der sich schleichend aber stetig vollzieht, noch stoppen und umkehren. Derzeit ist Deutschland in der europäischen Rangliste der Digitalpioniere auf einem Abstiegsplatz.

Sich dabei ganz auf Zuwanderung zu verlassen, wäre so falsch wie der alleinige Rückgriff auf russisches Gas oder Wasserstoff aus der Namib. Deshalb werden Aus- und Weiterbildungsinitiativen immer wichtiger, die auch den gering Qualifzierten oder den Fehlqualifizierten die Chance eröffnen, in heimischen Zukunftsberufen am wirtschaftlichen Wachstum teilzuhaben. Vorbildlich ist da die Bundesweite Digitalkompetenz-Initiative von Microsoft und dem Netzwerk SchuleWirtschaft, die wiederum von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Institut der deutschen Wirtschaft getragen wird. Sie soll digitale Qualifikationen für 250.000 Lehrkräfte und künftige Berufsstartende ermöglichen. Unter der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit können so junge Menschen die Fähigkeiten erwerben, die sie für ein erfolgreiches Berufsleben benötigen. Gleichzeitig soll ein Beitrag geleistet werden, mehr Fachkräfte mit Digital-Expertise auszubilden.

Denn nur so können wir unser Bildungssystem stärker auf die Anforderungen einer digitalen Gesellschaft trimmen und gleichzeitig Menschen, die durch ihre Fach- und Branchenkompetenz wichtige Leistungsträger in ihren Unternehmen sind, mit zusätzlichen digitalen Qualifikationen ausstatten. Das, so klagen die deutschen Mittelständler, sei ohnehin das größte Manko bei der Umsetzung einer Digitalstrategie.

Dann wäre auch die Hoffnung gegeben, dass Deutschland bis 2024 den Titel des Europameisters zurückholen kann. Wenn schon nicht im Fußball, dann wenigstens bei der digitalen Transformation…

 

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