Es gab Jahre, in denen der Dialog zwischen Politik und Wirtschaft rund um den Digital-Gipfel viel Beachtung in der Öffentlichkeit erfuhr. Dann kamen Corona, Krieg und Energiekrise. Und nun – ein Jahr nach dem Amtsantritt der Ampel-Koalition – ist der Digital-Gipfel kaum eine Schlagzeile wert. Es gibt wichtigeres, sagen die einen und kümmern sich um ihre Strom- und Gasrechnung. Es gibt nichts wichtigeres, sagen die anderen, weil praktisch alle gegenwärtigen Krisen ein digitales Lösungselement verlangen: im Gesundheitswesen, bei der öffentlichen Verwaltung, im Energiemanagement, bei der Verkehrsplanung und nicht zuletzt beim Wiederaufbau unserer maroden Infrastruktur auf Schiene und Straße und im nach wie vor hinterherhinkenden 5G-Ausbau.
Der diesjährige Digital-Gipfel glich seinen Vorgängern durch das perpetuierlich wiederholte Versprechen, nun werde alles besser in Deutschland. Ein Digital-Gipfel aber, auf dem die Erfolge und das Erreichte gefeiert werden könnten, wird wohl auch im kommenden Jahr ausbleiben, weil auch weiterhin digitale Großprojekte auf die lange Bank geschoben werden. Sie werden zwar in Angriff genommen, aber irgendwie versandet alles im täglichen Einerlei. Da unterscheidet sich die Politik leider nicht von der Wirtschaft. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum die Digital-Gipfel immer so friedlich verlaufen. Alle sitzen im Glashaus und verkneifen sich das Steinewerfen.
Dabei gäbe es genug zu klagen. Etwa über die Tatsache, dass nach fünf Jahren Onlinezugangsgesetz immer noch kein einziger durchgängig digitalisierter Geschäftsprozess in der öffentlichen Verwaltung zu vermelden ist. Es geht dabei noch nicht einmal um Mammutaufgaben wie die Verknüpfung von Steuernummer und IBAN, mit der heute eine Energiekostenerstattung ohne großen Bürokratieaufwand möglich wäre und dabei sogar noch zielgruppengenau erfolgen könnte, statt mit der Gießkanne Bedürftige und Wohlhabende gleichermaßen zu beglücken. Weil ein solcher Abgleich Bundesfinanzminister Christian Lindner zufolge mindestens 18 Monate dauern würde, wird er erst gar nicht in Angriff genommen.
Nein, die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes scheitert schon an den einfachsten Aufgaben – wie zum Beispiel die Weiterverarbeitung von Online-Formularen, die zwar vom Bürger in schlecht gemachten Webseiten ausgefüllt und nach meist mehrmaligem Versuch auch abgeschickt werden, die dann aber in den Amtsstuben per Mailanhang händisch an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet werden, der sie dann wiederum ausdruckt, um in Ruhe bearbeiten zu können. Fürs Archivieren wird dann wieder eingescannt und versendet. Nicht die Bürger sind hierbei offline, sondern die öffentliche Verwaltung verharrt im 20. Jahrhundert.
Dass Nachbarn wie zum Beispiel Dänemark längst die „digitale Identität“ umgesetzt haben, mit der sich die Dänen nicht nur online ausweisen können, sondern auch im Umgang mit den Behörden schon mal das ewige Wiederkäuen der eigenen Kopf- und Adressdaten einsparen, klingt aus deutscher Perspektive geradezu wie Science Fiction. Dass im Baltikum die Anmeldung eines Gewerbes wenige Stunden benötigt, weshalb es sinnvoller ist, ein Startup lieber in Tallinn als in Berlin zu gründen, klingt hierzulande geradezu utopisch.
Jetzt soll also ein Digital-Wumms bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes helfen. Die Worte hört man wohl, allein, es fehlt der Glaube. Nicht anders ist die Erwartungshaltung beim jetzt angekündigten Digitalinstitut, das der Gesellschaft in unterschiedlichen Sektoren eine bessere Teilhabe an wichtigen Daten und den darauf fußenden Erkenntnissen bescheren soll. Das Dateninstitut wird – ganz ähnlich wie die Daten-Cloud Gaia-X – das Ziel haben, durchgängige Datenzugriffe zu ermöglichen, so dass etwa Informationen aus dem Gesundheitswesen auch in der Krankenversicherung genutzt werden könnten. Bundesverkehrsminister Volker Wissing feiert dazu ein Beispiel aus Berlin/Brandenburg, wonach ein Brandenburger nach der Vereinbarung eines Arzttermins in Berlin gleich die entsprechenden Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhält. In noch nicht ganz konkreten Fallbeispielen, die das Gründungspapier des Dateninstituts auflistet, geht es um den Zugang, das Teilen und die Standardisierung von Daten zum Beispiel bei Mobilitätsangeboten, beim Energieverbrauch und bei der Long Covid-Forschung.
Tatsächlich? Man sieht quasi schon vor dem geistigen Auge, wie die Vertreter der letzten analogen Generation sich vor den Rechenzentren anketten und ihre Hände auf der Datenautobahn festkleben! Denn die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes krankt ja nicht allein an einer unfähigen Verwaltung, sondern auch an dem tiefsitzenden Misstrauen der Bürger gegen den mutmaßlich allwissenden Staat. Deutschland bleibt offline – weil wir es so wollen!