Gestern wussten wir noch nicht, was das Wort „resilient“ bedeutet, heute müssen wir es sein! Dabei geistert es schon seit einem guten halben Jahrhundert durch psychologische und soziologische Studien – meist über die erstaunliche Anpassungsfähigkeit von Kleinkindern, die sich trotz widrigster Umgebungseinflüsse zu positiv denkenden und handelnden Erwachsenen entwickeln.
Mit Blick auf die Herausforderungen während der Corona-Pandemie und erst recht im eben zu Ende gegangenen Kriegsjahr 2022 haben wir den Begriff auf Unternehmen angewandt, die sich den Krisen gegenüber anpassungsfähig und zukunftsgewandt erweisen müssen. Dabei haben viele Kommentatoren – auch in diesen Bonnblogs – wirtschaftliche Resilienz mit digitaler Transformation gleichgesetzt. Nach Studien beispielsweise des Hightech-Verbands Bitkom wird immer wieder festgestellt, dass digitale Vorreiterfirmen schneller Krisenfolgen abschütteln können als jene Betriebe, die im Analogen zurückbleiben.
Das ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Denn tatsächlich sind es die Unternehmer und Top-Entscheider, die sich jetzt als anpassungsfähig und zukunftsgewandt erweisen müssen. Dabei gibt es viele, die schon unter den Zumutungen der Pandemie litten und jetzt angesichts von Sanktionen, Energiekrise und Inflation einfach zugeben: „ich schaffe es nicht mehr!“
Denn tatsächlich haben viele vor allem mittelständische Unternehmer im vergangenen Jahr ihre finanziellen Ressourcen aufgebraucht und stehen jetzt vor der Triage: Mitarbeiter entlassen, Produktion runterfahren oder Geschäft aufgeben. Oder sie erweisen sich als resilient und passen ihr Geschäftsmodell den neuen Herausforderungen an, eröffnen sich neue Absatzmärkte und finden alternative Energie- und Rohstoffquellen.
„Es wäre eine Illusion zu glauben, dass wir zum vorherigen Zustand zurückkehren“, mahnt stellvertretend für viele der Chefökonom der Landesbank Baden-Württemberg, Moritz Kraemer. Für ihn ist es nach Jahrzehnten des Optimierungswahns vorbei mit dem Effizienzstreben als allein maßgebliche Motivation. Viele Unternehmen haben damit begonnen, die Lagerbestände zu erhöhen, um keinen Stillstand mehr zu erleben, weil Lieferketten immer mal wieder reißen können.
Das gilt für China als Produktionsstandort ebenso wie als Wachstumsmarkt. Zwar wird das Reich der Mitte auch weiterhin wichtiger Nachfrager für Produkte aus Deutschland bleiben. Aber zum Beispiel der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer rät seinen Mitgliedsunternehmen bereits, sich tunlichst nach anderen Regionen umzusehen – vorzugsweise in Lateinamerika, Indonesien und Ozeanien. Und nach einer Befragung der DZ-Bank unter 1000 Entscheidern in deutschen mittelständischen Unternehmen ist die Suche nach alternativen Zulieferern aus Europa, die ausfallende Produktionen in China ersetzen können, bereits im vollen Gange.
Und auch die Vereinigten Staaten haben nach den jüngsten Entscheidungen der Biden-Regierung an Attraktivität gewonnen – und das nicht nur als Absatzmarkt, sondern vor allem als Produktionsstandort. „Relevant bei der Standortentscheidung sind nicht nur der Zugang zu Lieferanten oder Fachkräften, sondern auch die Arbeitskosten oder Energiekosten“, erklärt DIHK-Präsident Peter Adrian. In den USA seien die Preise deutlich niedriger als in Deutschland, aber auch niedriger als in Südostasien. „Zudem spricht auch die Größe des Marktes für ein Engagement in den USA. Die angekündigten Steueranreize im Rahmen des „Inflation Reduction Acts“ schaffen hier nochmals zusätzliche Anreize.“
Das alles sind Beispiele für Resilienz. – Und völlig überraschend kommt darin das Wort „Digitalisierung“ nicht vor. Denn nicht jedes Problem lässt sich allein technisch lösen. Aber sie hilft. Die Suche nach Alternativen für Beschaffung, Fertigung und Verkauf lässt sich leichter vorantreiben, wenn dabei moderne Kommunikationsmöglichkeiten und eine flexible IT-Infrastruktur helfen. Dazu braucht es aber die Visionskraft resilienter Unternehmer.
Und die Politik – als wie resilient wird sie sich 2023 erweisen. Der US-amerikanische Inflation Reduction Act muss auch in der Europäischen Union seinen Widerhall finden. Und die Bundesregierung muss ebenfalls alles tun, um Unternehmen weiter zu entlasten. Zwar hat der Doppelwumms nach Einschätzung der Chefökonomen in den Spitzenverbänden dazu geführt, dass Inflation und Firmensterben schwächer ausfielen als befürchtet. Aber auch 2023 braucht einen Doppelwumms an steuerlichen Erleichterungen. Da ist Kreativität gefordert – und Resilienz.
Am Ende meines ersten Blogs im neuen Jahr richte ich meine besten Wünsche für ein gutes Neues Jahr 2023 an Sie alle und ergänze diese mit einem Ratschlag von Peggy Toney Horton: „Jedes neue Jahr haben wir ein brandneues Buch mit 365 leeren Seiten vor uns. Lassen wir sie mit all den vergessenen Dingen aus diesem zu Ende gegangenen Jahr füllen, den Worten, die wir vergessen haben zu sagen, der Liebe, die wir vergessen haben zu zeigen, und der Nächstenliebe, die wir vergessen haben anzubieten .“