Na bitte! Zwei der 19 Unternehmen, die auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas letzte Woche ausgezeichnet wurden, stammen aus Deutschland. Zum einen ist dies ein deutsches Startup namens Bionic, das den „Best of Innovation“-Award für sein Exoskelett Cray X erhielt. Das System soll Menschen, die es an ihrem Körper anlegen, beim Heben schwerer Lasten unterstützen und so vor Überlastung und Verletzungen schützen. Eingesetzt werden könnte dies zum Beispiel in der Pflege, aber auch beim Einbau schwerer Bauteile im Maschinen- und Automobilbau.
Der zweite Preisträger ist bereits seit Jahren auf Innovationspreise abonniert: der Technikkonzern Bosch. Er wurde für sein System „RideCare Companion“ ausgezeichnet, das die Sicherheit von Fahrern und Fahrgästen bei Mitfahrservices und Taxis erhöhen soll. Die Lösung besteht zum einen aus einer Außen- und einer Innenkamera. Außerdem gehört ein SOS-Knopf dazu, über den der Fahrer einen Anruf an ein Call-Center auslösen kann. Die Bosch-Notrufzentrale erhält daraufhin Zugriff auf den Live-Videostream und kann auch den Standort des Fahrzeugs ermitteln, um in Notfällen Hilfe schicken zu können.
Doch bevor das Jubeln über „Innovation made in Germany“ zu überschwänglich wird, sei darauf hingewiesen, dass allein die beiden südkoreanischen Technologiekonzerne LG und Samsung jeweils drei Innovationspreise einheimsten und damit knapp ein Drittel aller vergebenen Auszeichnungen. Und das kalifornische Unternehmen, das auf mobile Outdoor-Energielösungen spezialisiert ist, schaffte es gar allein auf vier Auszeichnungen für tragbare Solar- und Windenergiesysteme. Das ist dann gut ein Fünftel aller vergebenen Innovationspreise. Und hier, bei Klima- und Energie-Innovationen, spielt im Jahr 2023 und wohl auch weit darüber hinaus die Musik.
Denn allein wenn Deutschland seine Klimaziele einhalten will, ist ein „nie dagewesenes Innovationstempo … ohne historisches Vorbild“ notwendig, wie Klimafolgenforscher Gunnar Luderer vorrechnet. Die jetzt angeschalteten LNG-Terminals für flüssiges Gas aus Übersee stellen lediglich eine Brückentechnologie dar, während die Infrastruktur für „blauen“, mit Energie aus Gas erzeugten Wasserstoff oder „grünen“ Wasserstoff, der mit Hilfe von erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird, überhaupt erst geschaffen werden muss. Denn die zuverlässigen Wind- und Solarquellen liegen in den großen Wüstengebieten dieser Erde – und die dortige Industrie und Transportinfrastruktur existiert noch nicht einmal ansatzweise. Der Investitions- und Innovationsbedarf liegt allerdings im zweistelligen Milliardenbereich.
Doch die großen Energieverbraucher wie Thyssen-Krupp beim Stahl und BASF bei der Chemie setzen schon heute auf diese Infrastrukturen und investieren selbst mehrere Milliarden Euro in das sogenannte Direktreduktionsverfahren, durch das die bisherigen Hochöfen und Chemieprozessoren abgeschaltet werden können. Und schon wissen auch die Automobilbauer nicht mehr ganz gewiss, ob sie tatsächlich auf das Elektroauto setzen sollen, in dem derzeit jeder die Zukunft der Energiewende sehen will, oder doch lieber auf den Wasserstoffmotor warten sollen. Der wäre dann nämlich auch das Ende für den Stromer. Wenn Wasserstoff der Energieträger der Zukunft ist, müssen Deutschlands Politik und Wirtschaft noch mehrere Jahre lang tief in die Tasche greifen.
Andere tun das längst. Die Biden-Regierung in den USA hat ein Billionen-schweres Innovationspaket auf den Weg gebracht, mit dem die Produktion von kritischen Wirtschaftsgütern wieder zurück ins Land geholt werden soll. Und das funktioniert offensichtlich bereits: Apple versucht mit Investitionen von mehreren Milliarden Dollar die eigene Fertigungstiefe wiederherzustellen und Zulieferer wie Foxconn durch eigene Produktionsstätten und eigene Patente abzulösen. Im Gegenzug investieren die Zulieferer in Standorte in den USA, um dem möglichen Exodus zuvorzukommen. Und der taiwanesische Chiplieferant TSMC, der praktisch die gesamte globale Elektro- und Automobilindustrie mit Prozessoren versorgt, plant für dieses Jahr Investitionen in Forschung und Entwicklung zwischen 32 und 36 Milliarden Dollar – mehr als der Jahresumsatz des größten europäischen Halbleiterherstellers Infineon. Dabei hat TSMC wegen des drohenden Verlusts von Apple als Kunden sogar einen Sparkurs angekündigt!
Die Dimensionen geraten aus den Fugen – und deutsche oder europäische Innovationsanstrengungen wirken dabei wie Zwergenwerk. Nirgends wird dies deutlicher als bei den Investitionen in Lösungen mit künstlicher Intelligenz, die ebenfalls 2023 ihren großen Durchbrucherfahren werden. Während sich deutsche Mittelständler hier allenfalls im Experimentierstadium befinden, greifen die großen Technologiekonzerne hier mit aller Macht zu. Allein zehn Milliarden Dollar ist Microsoft der Zugriff auf das Sprachenmodell ChatGPT, das die Basis für KI-gestützte Spracherkennung und Sprachausgabe ist, wert. Die Finanzierungsrunde des kalifornischen Startups OpenAI, das den Chatbot entwickelt hat, erreichte damit eine Größenordnung von 29 Milliarden Dollar.
An allen Fronten wird investiert und innoviert. Nichts wäre jetzt schlimmer als ein auch nur Tausend Tage währender Dornröschenschlaf. In der Tat: Deutschland braucht auch in Sachen Technologie und Innovation einen Doppel-Wumms: Milliarden für ein nie dagewesenes Innovationstempo.