230213 ChatGPT

Software-Markt aufgemischt

Nach Alexa, Siri oder Cortana jetzt also Sydney? Sydney selbst jedenfalls sagt, er (oder eigentlich es) könne nicht bestätigen, dass Bing Search den internen Codenamen Sydney führe. Diesen Namen hatte ein Stanford-Student durch eine trickreiche Diskussion mit der seit letztem Dienstag freigeschalteten Suchmaschine von Microsoft herausgefunden. Eine Microsoft-Sprecherin schließlich hatte den internen Namen bestätigt und gleichzeitig angekündigt, das Wissen um diesen Codenamen nun allmählich aus Sydneys Wissensschatz zu entfernen. Warum eigentlich?

Und warum interessiert uns das überhaupt? Ganz ähnlich wie bei der Einführung von Googles Suchmaschine und Amazons Sprachassistent versuchen jetzt wieder die Nerds rund um den Globus, das KI-gestützte Bing Search an seine Grenzen – und darüber hinaus – zu führen. Es hat etwas durchaus Kindisches an sich, das durch ChatGPT geboosterte Bing überlisten zu wollen. Aber neben dem Spieltrieb steckt wohl auch der Wunsch dahinter, sich auf die Antworten der KI blind verlassen zu dürfen. Weil Menschen wissen wollen, wie weit man ihr trauen kann, wird die Software ausgetestet, ausgetrickst und zweckentfremdet. Nein, sagt die Suchmaschine über sich selbst, Songtexte, Gedichte oder Witze könne Bing Search nicht erfinden – dafür aber finden. Und das besser als jeder bisherige Algorithmus.

Der Wettlauf um die nächste beste (nicht nächstbeste) Suchmaschine hat ein höheres Niveau erklommen: von nun an liefern lernende Maschinen den Suchenden nicht nur Treffer, sondern Informationen. Dabei ist Bing Search erstaunlich treffsicher – auch wenn der Informationsstand, wie manche Tests nahelegen, vorerst irgendwie auf dem Stand von 2021 stehengeblieben ist. Bing Search muss also noch nachsitzen. Aber Microsoft hat letzte Woche ein Rennen eröffnet, in dem eigentlich Google mit Bard von der Pole-Position starten wollte.

Doch die schnell anberaumte Microsoft-Präsentation hat Google nicht nur den Start versaut. Auch die peinlichen Fehler bei der Vorstellung der Google-KI haben dazu geführt, dass das Feld nun von Microsoft angeführt wird. Seit 20 Jahren warte er darauf, mit Google auf dessen Hometurf konkurrieren zu können, sagte Microsofts CEO-Satya Nadella bei der Ankündigung von Bing Search nicht ohne Genugtuung.

Allerdings: Noch beherrscht Google geschätzte 92 Prozent des Suchmaschinenmarkts, dessen Geschäftsmodell darin besteht, kostenlose Services durch Werbeeinnahmen querzufinanzieren. Dieses Quasi-Monopol mag die Aufmerksamkeit vom Management im Googleplex zu lange und zu intensiv auf die Weiterentwicklung des Google Assistants gelenkt haben, wo die KI-Entwicklung zu spät in Angriff genommen wurde. Dabei war man gewarnt, nachdem Microsoft vor Jahren die erste Milliarde Dollar in das Startup OpenAI gepumpt hatte. Ein „Code Red“ für eine die Marktposition von Google bedrohende Technologie hat Google damals intern schon gegen das Startup verhängt. Aber das war auch alles.

Jetzt ist Bing Search so etwas wie Microsofts „iPhone-Moment“ – und zugleich eine ungewohnte Position für Bing, die unter Suchmaschinen lange Zeit nur unter „ferner liefen“ rangierte. Doch getreu dem Marketing-Grundsatz – „lieber in einem neuen Markt der Erste als in einem alten Markt ewiger Zweiter“ – hat sich Microsoft vorerst an die Spitze der Bewegung gesetzt. Und dieser neue Markt der KI-gestützten Suche und Sprachassistenz verspricht ein Milliarden Euro schweres Business zu werden. Die zehn Milliarden Dollar, die Microsoft in den ChatGPT-Erfinder OpenAI investiert hat, werden sich noch als Schnäppchen erweisen.

Denn Chatbots, Spracherkennung und lernende Maschinen werden praktisch jede heute existierende Software-Sparte revolutionieren. Schon länger hilft KI bei der Abwehr von Cyberangriffen – allerdings auch beim Ausspionieren von Passwörtern. Schon lange durchforstet KI große Datenmengen, um Analysen und Schlussfolgerungen zu liefern – zum Beispiel im Gesundheitswesen. Aber jetzt wird künstliche Intelligenz auch die Leistungsfähigkeit von klassischen Produktivitätslösungen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation oder Mail zu neuen Horizonten führen. Und auch Unternehmenslösungen wie Customer Relationship Management oder Enterprise Resource Planning werden jetzt den Sprung ins 21. Jahrtausend tun. Überall dürften die Märkte aufgemischt werden. Keine gute Nachricht für in die Jahre gekommene Platzhirsche.

Die Chancen, die sich daraus gerade für mittelständische Anwender ergeben, sind gigantisch. Weil sie nicht die Personalstärke haben, um ganze Abteilungen mit Anforderungen des Gesetzgebers zu beschäftigen, sind sie durch Bürokratie besonders stark belastet. Schon die Formulierung eines Förderantrags bei der KfW bindet so viel Expertise, die im täglichen Geschäft fehlt, dass sich für viele die Suche nach einer Investitionshilfe zumal bei ungewissem Ausgang gar nicht mehr lohnt. Nicht auszudenken, wenn sich dies künftig durch einen KI-gestützten Chatbot bewerkstelligen ließe. Auch Aufgaben wie Nachweispflichten und Dokumentationen interner Abläufe könnten künftig durch KI-gestützte Produktivitätstools deutlich vereinfacht werden.

Und diesen Markt geht Microsoft nun an allen Fronten an – nicht nur bei der Suchmaschinen-Technologie. Kurz zuvor wurde die Collaboration-Software Teams in der Premium-Version mit KI-Funktionen unterlegt. Und in den nächsten Wochen kommen KI-Funktionen in die Office-Suite im Rahmen von Microsoft 365. Aber mit Ernie hat sich auch der chinesische Datenriese Baidu schon ins Rennen um KI-gestützte Lösungen geworfen – und auch dort wird im ersten Schritt der Suchmaschine Baidu neues Leben eingehaucht.

Das alles sind an sich gute Nachrichten – wäre da nicht die bittere Erkenntnis, dass diese Entwicklungen wieder einmal außerhalb von Europa stattfinden. Ganz zu schweigen von Deutschland, wo sich mit dem Hype um ChatGPT auch gleich der Abwehr-Hype einstellte. KI ist nun mal für viele der Gottseibeiuns. Aber wenn wir diese Haltung beibehalten sollten – geraten wir eher in Teufels Küche. Denn wenn im Software-Markt die Karten jetzt gemischt werden, könnte es sein, dass die heimische Software-Szene nicht einmal mehr am Spieltisch sitzt.

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