230306 Analog

Früher war alles analoger!

„Der D21-Digital-Index zeigt jährlich auf, wie sich der Digitalisierungsgrad unserer Gesellschaft entwickelt. Auch in diesem Jahr sind wieder erfreuliche Fortschritte erreicht worden.“ Mit diesen Worten leitet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sein Grußwort zur nun schon zum zehnten Mal erhobenen Untersuchung der Initiative D21 zur Lage der digitalen Gesellschaft in Deutschland ein. Es klingt ein wenig wie der Zuspruch gegenüber einem Kind mit Lernschwäche, denn wo Habeck Fortschritte sieht, fehlen Durchbrüche. Schlimmer noch: Ein Gutteil der Bevölkerung beschwört offensichtlich eine gute alte Zeit, in der alles besser, gemütlicher und vor allem analoger war. Das mag kuschelig klingen, ist aber alles andere als wettbewerbsfähig.

So beklagt denn auch Markus Jerger, Vorsitzender des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft, eine „digitale Spaltung“ in der Gesellschaft. Dieses Schisma zeigt sich nicht nur in der unterschiedlichen Technikaffinität zwischen Jung und Alt, sondern auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung und – ebenfalls äußerst bedenklich – zwischen Menschen mit hohem beziehungsweise niedrigem Bildungsgrad. Und der unternehmerische Mittelstand ist dabei durchaus ein Spiegelbild der Gesellschaft. Der Grad der Umsetzung von digitalen Strategien in den kleinen und mittleren Unternehmen ist noch immer unzureichend. Dabei gilt: je größer die Firmen, desto digitaler sind sie aufgestellt. „Wichtig ist deshalb die Bereitschaft von Unternehmen, sich digitalen Themen zu
öffnen, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen“, kommentiert Jerger. Dazu gehören zum Beispiel die Nutzung der vorhanden Datenbestände im Unternehmen, die Weiterbildung von
Beschäftigten in diesem Bereich, aber auch Maßnahmen im Bereich der
IT-Sicherheit.

In nahezu allen beobachteten Eigenschaften zeigt die Studie eine überwiegend defensive Grundeinstellung der Bevölkerung zur Digitalisierung. Dabei ist es bemerkenswert, wie sich eine 80/20-Verteilung durch die Gesellschaft zieht: Denn jeder Fünfte findet, dass „zu viel digitalisiert wird“ und „wieder mehr offline gemacht werden“ sollte. Ebenfalls 20 Prozent der Befragten sehen die Demokratie durch Digitalisierung in Gefahr. Und während 80 Prozent der Gesellschaft der Aussage zustimmen, durch die Digitalisierung würde es bis 2035 Tätigkeiten oder ganze Berufe nicht mehr geben, glauben nur 19 Prozent, dass davon der eigene Arbeitsplatz betroffen sein wird. Und noch bedrohlicher: 76 Prozent sagen, dass jeder selbst etwas tun müsse, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten, aber 20 Prozent haben sich tatsächlich in den letzten zwölf Monaten kein weiteres digitales Wissen angeeignet.

Eine Innovationsgesellschaft klingt anders. Sie bejaht digitale Innovationen, begrüßt disruptives Denken und stellt sich aktiv auf Neuerungen ein. Stattdessen offenbart die Studie ein weitgehend passives Verhalten, das von den Studienautoren wohlwollend als Resilienz ausgelegt wird. Danach sind zwei Drittel der Bevölkerung mit notwendigen Fähigkeiten und Einstellungen ausgestattet, um mit dem digitalen Wandel einhergehende Veränderungen zu antizipieren, zu reflektieren und zu adaptieren. Unter den bekennenden Offlinern sind es jedoch nur 13 Prozent. Und der Anteil derer, die glauben, von der Digitalisierung zu profitieren, sinkt gegenüber den Vorjahren. Aktueller Stand: nur noch 55 Prozent. Früher war eben alles besser, weil analoger.

Dieses Schisma wurde auch auf dem „Zukunftstag Mittelstand“ in Berlin deutlich. Vor immerhin 5000 Vertretern und Vertreterinnen des unternehmerischen Mittelstands brachte Bundesfinanzminister Christian Lindner die rote Linie zwischen Offlinern und Onlinern so auf den Punkt: „Lieber eine erste Generation von Innovationen der Unternehmer, als eine letzte Generation, die sich auf der Straße festklebt“. Das Publikum quittierte es mit einem Raunen, das nicht unbedingt nach breiter Zustimmung für diese Zuspitzung klang.

Dabei stehen sich klimafreundliche Innovatoren und digitale Revolutionäre nach der D21-Studie ausnahmsweise nicht unversöhnlich gegenüber. Damit die Digitalisierung zum Erfolg des grünen Wandels beitragen kann, braucht es nach Ansicht der Deutschen eine breite Palette an politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Maßnahmen: Anreize und Förderprogramme, Investitionen in Forschung, eine Selbstverpflichtung der Industrie und schließlich gesetzliche und ethische Regulierungen werden annähernd gleich gewichtet. Was allerdings unter den Nennungen fehlt und schmerzlich vermisst werden sollte, ist Eigeninitiative. Bei der Digitalisierung ist der Ruf nach dem Staat doch immer noch die erste Wahl.

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