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Microsoft: von Multiplan zum Metaverse

Die Informationstechnik ist ein weitgehend geschichtsvergessener Technologiesektor. An Biertischen oder bei Sektempfängen erinnert man sich schon mal gern daran, was ein Megabyte Speicherplatz gekostet haben mag, welche Produkte als Gamechanger die Welt veränderten oder welche sagenhaften Karrieren in dieser Immer-bergauf-Branche möglich waren – und welche Abstürze. Wo fängt man also an, wenn man an eine vierzig Jahre vergangene Zeit erinnern möchte? Am besten bei sich selbst.

Ich habe mein Unternehmen (die heutige GUS Group) im August 1980 gegründet – in einer Zeit, in der unser Denken von IBM, Siemens oder Nixdorf dominiert wurde, und fünf Jahre, nachdem Bill Gates die Microsoft Corp. in Albuquerque, New Mexico, gegründet hatte. In einer Zeit, als die BASF noch Großrechner nachbauen ließ, Heinz Nixdorf Kassensysteme baute und Siemens auf ein Betriebssystem setzte, das parallel zu Unix ein Nischendasein fristen sollte: Xenix. Die Lizenz für das Produkt hatten die Siemensianer für eine Million Dollar von einem kleinen Unternehmen in Unterhaching eingekauft: Microsoft Deutschland GmbH. Deren wichtigstes Produkt war – nein: nicht MS-DOS – sondern eine Tabellenkalkulation für den Apple II: Multiplan.

Sechs Mitarbeiter um den Deutschland-Statthalter Joachim Kempin bezogen am 4. Mai 1983 ihre bescheidenen Büroräume als Untermieter der Firma Zilog, die es tatsächlich als Marke heute noch gibt. Damals war sie ein Gigant, der mit dem Z80-Mikroporzessor die IT-Welt zum Leben erweckte: Sinclair ZX80, Amstrad CPC, Commodore 64, Tandy TRS-80 – alle mit dem Betriebssystem CPM-80:  das waren die von Zilog-Mikroprozessoren unterstützten Produkte, die unsere Phantasien beflügelten. Jedenfalls im Privatleben – beruflich setzte die GUS wie die Mehrzahl der Unternehmen weltweit auf IBM, Nixdorf und – zumindest im Falle der GUS – auf einen Exoten namens Cromemco. Das war unsere Entwicklungsumgebung – bis mein Technologiechef Rolf Eckertz auf den Tisch haute und rief: Wir brauchen IBM PCs mit MS-DOS!

Aber die waren teuer, sehr teuer – und alles andere als Mainstream. Nicht einmal die IBM-Berater, die sich bei uns die Klinke in die Hand gaben, nahmen dieses Produkt ernst. Dennoch: ab 1984 waren diese Personal Computer schon das meistverkaufte Computersystem in Deutschland – und natürlich auch weltweit. Time Magazine kürte den Rechner am Ende des Jahres zur „Person of the Year“. Und das, obwohl Steve Jobs noch zu Beginn des Jahres zur teuersten Superbowl-Werbezeit den IBM PC mit Big Brother verglich. Logisch – im Orwellschen Jahr 1984.

Was folgte, war der Niedergang von IBM, Nixdorf und – sorry – Siemens als Big Tech-Companies und der Aufstieg von Microsoft, das mit MS-DOS ab 1985 durchs Window kroch und dabei beinahe steckenblieb. Denn Windows 1.0 war eine Katastrophe, Windows 2.x nicht der Rede wert. Erst mit Windows 3.1 im Jahre 1992 und dem von uns allen geliebten Minesweeper begann der wahre Siegeszug. Und er wurde mit Excel, Word und Co zusätzlich unterfüttert. Microsoft – ein Unternehmen mit Lösungen für den Privatgebrauch. Kann man machen, muss man aber nicht haben. Dann kam SQL Server und Microsoft etablierte sich bei großen Unternehmen als Spezialist für den Datenschatz.

Nichts von alledem wurde in Deutschland programmiert. Microsoft war eine US-amerikanische Firma mit deutscher Vertriebsorganisation, die allerdings zwischenzeitlich zur wachstumsstärksten Auslandsorganisation des Konzerns avancierte. Bis dahin galt die alte VWL-Regel: Europa generiert zehn Prozent des US-Umsatzes, und Deutschland zehn Prozent des europäischen. Doch mit der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen Aufholbedarf im Osten änderte sich das. Man könnte sagen, der Wiederaufbau in den fünf neuen Bundesländern gelang auch durch und mithilfe von Microsoft Deutschland. Ja: mit zwischenzeitlich 30.000 kleinen und mittelständischen Partnerunternehmen allein in Deutschland ist Microsoft Deutschland ein deutsches Ökosystem. Nichts – oder beinahe nichts – würde in den meisten Organisationen heute ohne Windows oder Office, SQL-Server oder Mail-Server funktionieren. Und ganze Karrieren basierten zur Jahrtausendwende auf Programmierkenntnissen rund um DotNet.

Doch es ist anstrengend, wenn es immer bergauf geht – und man sich keine Zeit nimmt, nach links und rechts zu schauen. Als Steve Jobs 2010 die Ära der Smartphones eröffnete, war die Dominanz von Microsoft auf den Desktops gefährdet. Denn das Wort des 21. Jahrhunderts lautet: Mobilität. Kurz zuvor hätte Microsoft bereits beinahe das World Wide Web verschlafen. Und auch die dritte große Technologiewelle – das Cloud Computing – wurde nicht unbedingt von Microsoft eingeleitet.

Doch heute sind es die Zukunftstechnologien wie Cloud Computing, Quantum Computing, Artificial Intelligenz, das Industrial Internet of Things und das Multiverse, die von Microsoft dominiert werden. Daran hat auch die Tatsache Anteil, dass Microsoft Deutschland – mehr noch als beispielsweise IBM, SAP oder Siemens – im deutschen Mittelstand verankert ist. Das wäre allerdings ohne die 30.000 Partner nicht möglich gewesen. Insofern ist Microsofts Erfolg in Deutschland auch ein Erfolg des mittelständischen IT-Pragmatismus: Erst der Return on Investment rechtfertigt das Investment.

40 Jahre nach seiner Gründung in Deutschland ist Microsoft eine gesellschaftliche Größe – auch wenn Datenschützer eine Dauerdebatte um die Vereinbarkeit eines US-Unternehmens mit den Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung führen. Dass die mutmaßlich in die USA abfließenden Daten auch dazu beitragen, deutsche Behörden vor Cyber-Angriffen aus dem Kreml oder anderen Schurken-Organisationen zu schützen, sollte dabei nicht übersehen werden. Dass künstliche Intelligenz längst dazu beiträgt, Leben zu retten, sollte in der Güterabwägung schwerer wiegen als rechtliche Bedenken.

Doch am wichtigsten scheint mir dieses: Wir können die Deutschlandgeschwindigkeit nur dann auf Weltniveau beschleunigen, wenn wir uns in der digitalen Transformation, beim Antizipieren von neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz und bei der Durchsetzung neuer Geschäftsmodelle im Sinne einer Plattform-Ökonomie etwas mehr beeilen als das in den letzten 20 Jahren der Fall war. Man kann von Microsoft auch lernen, wie verpasste Chancen wieder wettgemacht werden können.

Insofern: Herzlichen Glückwunsch zu 40 Jahren Microsoft Deutschland an die Deutschland-Chefin Dr. Marianne Janik und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist ein Glückwunsch, der auf uns selbst zurückfällt. Gut, dass es euch gibt.

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