Es war wieder einmal so ein Fernseh-Moment: „heute journal“-Moderator Christian Sievers führte am Samstagabend ein denkwürdiges Interview mit „Jenny“. Jenny ist – oder war – ein Avatar, das erzeugt worden war, um die Antworten von ChatGPT auf die Fragen des ZDF wiederzugeben. Die waren zuvor schriftlich eingereicht, von ChatGPT schriftlich beantwortet und dann von Jenny verlesen worden. Das aufgezeichnete „Interview“ wirkte echt und war so angelegt, dass unterschwellige Ängste vor künstlicher Intelligenz beim unbedarften Zuschauer noch verstärkt wurden. Für KI-Kenner brachte das Interview dagegen nichts Neues.
„Als Künstliche Intelligenz habe ich keine Emotionen oder Gefühle, daher beeinflusst es mich nicht persönlich, wenn Menschen Angst vor mir haben oder mich als Berühmtheit betrachten.“ Sie sei entwickelt worden, um Fragen zu beantworten und jenen Hilfe zu geben, die Unterstützung benötigen. Alles in allem blieb es in dem Interview bei diesem Tenor: „Es ist wichtig, dass wir uns der Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz bewusst sind.“ Jenny oder eigentlich ChatGPT sieht sich selbst vielmehr als „Werkzeug“, das immer mehr verbessert werde, „um Nutzern bei der Lösung von Problemen zu helfen“.
Aber wieder einmal nichts von dem klaren Nutzen, den KI tatsächlich tagtäglich liefert. Und auch nichts von den Verbesserungen, die bei KI-Systemen tagtäglich zu verzeichnen sind. Die Entwicklung von KI-Systemen hat seit November 2022 so viel Fahrt aufgenommen und beschleunigt weiter, dass es schwierig ist, mit dem technischen und kognitiven Fortschritt in diesem Bereich Schritt zu halten. Dabei sollten wir genau das gerade tun. Denn der KI-Zug ist schneller aus dem Bahnhof raus als man denkt. Wer jetzt nicht aufspringt verliert vielleicht auch auf anderen Gebieten den Anschluss. Denn wie Jenny sagte: KI soll Nutzern bei der Lösung von Problemen helfen – egal, ob die im Fertigungsbereich bestehen oder bei der Erbringung von Dienstleistungen oder der Kommunikation mit Mitmenschen, Mitarbeitenden oder in Teams.
Ganz anders wirkt diese Nachricht: Soeben wird ein Startup-CEO dafür gefeiert, dass er seinen 120 Mitarbeitenden einen persönlichen Business-Account für ChatGPT pro spendiert. Ganze 2000 Dollar muss er dafür monatlich an OpenAI überweisen. Doch umgekehrt spart sein Unternehmen nach ersten Tests mehrere Personalstunden pro Tag allein dadurch ein, dass seine Kreativkräfte ihre Intelligenz nicht an ermüdende Routinearbeit vergeuden.
Überhaupt ist KI ein Werkzeug gegen Vergeudung: bessere Routenplanung vermeidet unnötigen Kraftstoffverbrauch und Arbeitszeit, bessere Fertigungsplanung verhindert Ausfallzeiten bei Maschinen und führt zu ressourcensparender Produktion, die beschleunigte Bearbeitung von Formularen und Anträgen schafft endlich Tempo in Genehmigungsverfahren und eine schnelle und sichere Durchforstung von großen Datenmengen führt früher zu Erkenntnissen, die Leben retten, Wettbewerbsvorteile eröffnen oder zu neuen Geschäftsideen führen können. Derzeit haben vor allem KI-Projekte, die Effizienzsteigerung mit Nachhaltigkeitszielen verbinden, Hochkonjunktur.
Doch viele Mittelständler fühlen sich überfordert – und denen hilft auch ein Interview im heute journal nichts. Sie tun sich nicht nur schwer bei der Priorisierung ihrer Modernisierungsprojekte, sondern sie sind auch oftmals in ihrer bestehenden IT-Infrastruktur eingekerkert und können nicht so schnell und zielorientiert auf neue Technologien setzen, wie sie dies vielleicht wünschen. Der Grund: auch wenn KI-Systeme wie ChatGPT äußerst flexibel und anpassungsfähig sind – die Software-Umgebung, in der sie ihren Nutzen bei der Problemlösung erbringen sollen, sind es in der Regel nicht.
Der Mittelstand muss jetzt Hardball mit Software spielen. Er muss jetzt seinen Lösungsdienstleistern Dampf machen, um in Deutschland eine KI-Revolution herbeizuführen, die nicht nur in blinkenden Robotern oder schillernden Interviews besteht, sondern um die Systeme, in die der Mittelstand Milliarden von Euro investiert hat, zu modernisieren. Eigentlich müsste es andersherum sein – und die Initiative müsste von den Anbietern kommen. Doch die haben zum großen Teil noch nicht einmal den Weg in die Cloud vollzogen, geschweige denn Digitale Zwillinge oder Machine Learning umgesetzt. Es ist tragisch: aber die mittelständische Software-Szene besteht weniger aus Treibern als aus Getriebenen.
Hoffnung gibt da die Entscheidung von PricewaterhouseCooper – kurz PwC. Das Beratungs- und Lösungshaus will eine Milliarde Euro in die Erneuerung seiner Software-Plattformen investieren und hat bereits mit der Migration auf die Microsoft Azure AI-Services begonnen. Ziel ist es, völlig neue Lösungsangebote in Richtung Sicherheit, Transparenz und Produktivität zu entwickeln und zugleich den Kunden den Weg in die KI-Nutzung innerhalb der eigenen Lösungswelten zu ebnen.
Wir brauchen mehr Ankündigungen wie diese – und natürlich deren ziemlich zügige Umsetzung. Denn es ist Zeit, Hardball mit der Software zu spielen. Für Softball und wenig weiterführende Interviews haben wir keine Zeit.