Die Leverkusener Brücke, mit der die A1 den Rhein überquert, ist seit beinahe einem Jahrzehnt für den Schwerlastverkehr gesperrt. Ihr Neubau für eine der wichtigsten europäischen Tranversalen soll in einem ersten Teilstück dieses Jahr fertiggestellt sein, die zweite Brücke soll dann bis 2027 folgen. Ähnliches gilt für die baugleiche Rheinbrücke bei Duisburg, über die die A40 das Ruhrgebiet mit Rotterdam verbindet. Ihr Ersatzbau soll 2026 fertiggestellt sein. Ebenfalls erst 2026 soll die neue Rahmede-Talbrücke der A45 fertiggestellt werden. Ihre marode Vorgängerin wurde im Mai dieses Jahres gesprengt. Seitdem ist die sogenannte Sauerlandlinie, die das Ruhrgebiet mit dem Rhein-Main-Gebiet verbindet, bei Lüdenscheid vollständig gesperrt.
Dies sind drei Beispiele aus meinem engeren regionalen Umkreis, in denen sich zeigt, wie Deutschlands Infrastruktur bröckelt. Wegen Planungsfehlern, Bauverzögerungen, Pfusch und Investitionszurückhaltung müssen Transportunternehmen nun Hunderte von Kilometern an Umwegen, kilometerlange Staus und demzufolge stundenlange Verspätungen in Kauf nehmen. Das kostet nicht nur bares Geld, das ihnen niemand ersetzt, sondern gefährdet auch die hochsensibel synchronisierten Produktionsablaufe in der Industrie – vor allem im Automobilbau mit seinen Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Strategien.
Es sind nicht nur die Autobahnbrücken, nicht nur das Schienennetz und seine Signalanlagen, nicht nur der öffentliche und private Wohnungsbau, sondern auch der Bestand an technischen Anlagen, Maschinen und Fabrikgebäuden, deren Wert nach und nach immer weiter sinkt. Erst Ende 2024 wird die Investitionstätigkeit in Deutschland wieder das Niveau von 2019, also vor der Corona-Pandemie, erreicht haben. Doch mit 2,2 Prozent Wachstum bei Anlageinvestitionen, die das Kiel Institut für Weltwirtschaft für Deutschland jetzt ermittelte, stehen wir im Vergleich der internationalen Industrieländer bereits ganz hinten: Großbritannien beispielsweise investiert 7,2 Prozent mehr. Allerdings sind dort die Ausgaben in der Corona-Zeit auch stärker zurückgegangen als hierzulande.
Doch in Deutschland wird schon seit langem zu wenig investiert, um den Wert des Kapitalstocks zu erhalten. Anlagen werden nicht ersetzt, neue Technologien nicht genutzt – und der Bestand altert und veraltet. Dabei bröckelt Deutschlands wirtschaftliche Infrastruktur schon seit Jahrzehnten, wie eine Studie des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller zeigt. Ohne eine stärkere Investitionsbereitschaft bröckelt nicht nur die Substanz – auch die neuen Herausforderungen für Energie- und Verkehrswende, für nachhaltiges Wirtschaften und für eine im internationalen Vergleich wettbewerbsfähige Produktion können so nicht in Angriff genommen werden.
Schon macht das Wort von der Deindustrialisierung die Runde. BDI-Präsident Siegfried Russwurm hält das zwar für übertrieben, mahnt aber an, jetzt endlich gegenzusteuern. Er sieht in den Investitionen den neuen zentralen Parameter zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Der Wert löst damit den bisherigen Indikator – die Arbeitslosenquote – ab, was nur konsequent ist angesichts der zunehmenden Automatisierung. Aber genau hier müssten die Investitionen stärker steigen. Doch mittelständische Unternehmen zögern und zaudern, während globale Konzerne dem Lockruf aus den USA und China folgen.
Was jetzt helfen könnte, wären zielgerichtete Investitionsanreize des Bundes, die genau jene Investitionen durch Zuschüsse oder Steuernachlässe belohnen, die Deutschland wieder nach vorne bringen. Wer jetzt Digitalstrategien umsetzt oder in den Klimaschutz investiert, sollte steuerlich besser gestellt werden als andere. Tatsächlich stehen solche Ideen im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung bereits drin. Allein: angesichts der ohnehin hohen Verschuldung sieht man im Finanzministerium nur wenig Spielraum. Das gleich gilt für die im europäischen Vergleich hohen Strom- und Unternehmenssteuern. Auch hier ist mit einer Senkung nicht zu rechnen. Dennoch fordert Russwurm unermüdlich bessere Prioritäten, gesunden Pragmatismus und mehr Power von der Bundesregierung.
Am Ende helfen aber nur drei Maßnahmen: investieren, investieren, investieren. Aber wo? Die Zahl der Unternehmen, die über einen Standortwechsel ins Ausland nachdenken ist groß. Und die Zahl derjenigen mittelständischen Unternehmer, die ganz über eine Geschäftsaufgabe nachdenken, ist nicht kleiner. Angeblich prüft jeder Vierte bereits diese Option. Deutschland bröckelt sich nicht in die Deindustrialiserung, sondern in eine Demontage.