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Kauft sich Deutschland aus?

Beinahe jeder vierte Nachfolgekandidat in Deutschlands Familienunternehmen könnte sich vorstellen, „die Sache hinzuschmeißen“, die Firmenanteile zu verkaufen und ein philanthropisches Leben zu führen. Allerdings: 71 Prozent der von der Zeppelin Universität befragten gut 400 Unternehmensnachfolger bereiten sich darauf vor, eine operative Führungsposition zu übernehmen.

Die Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland ist eine der großen Sorgen, die sowohl die Aussteiger als auch die Durchhalter umtreibt. Eine zweite, noch größere Sorge gilt der wahrgenommenen Spaltung in der Gesellschaft. Zwar hat nach ARD-Politbarometer die Zustimmung für rechtes Gedankengut nicht zugenommen, die Bereitschaft, aus Protest Randparteien zu wählen, nimmt aber weiter zu. Das Gefühl, dass Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr an einem Strang ziehen, lässt die Führungsriege in den Familienunternehmen mehr und mehr an der Zukunft zweifeln – und verzweifeln.

Hinzu kommt, dass mit dem deutschen Heizungsbauer Viessmann ein Unternehmen gerade während einer Boom-Phase ins Ausland verkauft wurde, um einerseits die Ressourcen international zu bündeln, andererseits aber auch die Ressourcen in der Familie auf andere Projekte zu konzentrieren. Das macht offensichtlich nachdenklich. Immerhin können sich aber zwei von fünf Unternehmensnachfolgern vorstellen, eigene Startups zu gründen und noch einmal ganz von vorne anzufangen – ob in Deutschland oder im Ausland ist dann die zweite Frage.

Denn zwischen Inflation, Zinswende und Wirtschaftsflaute kühlt die Stimmung unter deutschen Gründerinnen und Gründern weiter ab, meldet der elfte Deutsche Startup-Monitor, der vom Beratungshaus PwC im Auftrag des Deutschen Startup-Verbands unter rund 2000 Founders erhoben wurde. Ursache ist nicht nur die gegenwärtige Geschäftslage, sondern vermehrt auch die um zehn Indexpunkte gegenüber dem Vorjahreswert gesunkene Einschätzung des Startup-Ökosystems hierzulande. Seit dem Rekord-Finanzierungsjahr 2021 wird die Kapitalbeschaffung für Startups schwieriger.

Nur noch ein Drittel der Gründerinnen und Gründer rechnet mit einer Finanzierung aus Venture Capital und lediglich ein Sechstel bewertet die VC-Lage in Deutschland noch positiv. Da wendet sich der Blick schnell ins Ausland – insbesondere in die Vereinigten Staaten, wo große Finanzierungsrunden immer noch möglich sind. In Deutschland dagegen achten Startups stärker auf Liquidität und passen ihre Wachstumsstrategien entsprechend an – will sagen: sie wachsen weniger aggressiv.

Dennoch bleiben Startups nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland – sie sehen sich auch selbst weiterhin als Innovationstreiber. Dabei überwiegen die Impulse aus Forschungseinrichtungen und Universitäten, wenn es um innovative Ansätze geht. Der Mittelstand ist als Innovationspartner seltener im Visier der Startups.

Dabei halten sich die mittelständischen Familienunternehmen durchaus für Innovationstreiber, besagt die Studie der Stiftung Familienunternehmen. Vielleicht muss aber auch erst ein Generationenwechsel im Mittelstand vollzogen sein, ehe die Chemie zwischen Startups und Mittelstand stimmt. Derzeit stehen jährlich rund 38.000 Unternehmen vor der Nachfolgefrage. Ob diese Frage durch Ausverkauf, Ausstieg oder Übernahme entschieden wird, ist entscheidend für das Profil der mittelständischen Wirtschaft in der nächsten Zukunft.

Entscheidend werden die Rahmenbedingungen sein, die von der Politik gesetzt werden. Dass sich die deutsche Wirtschaft in einer tiefgreifenden Transformationsphase befindet ist unbestritten. Gründer und Nachfolger wollen diese Herausforderungen annehmen – das betonen beide Studien. Ob dies gelingt oder ob sich Deutschland doch nach und nach ausverkauft ist zwar eine Sache der Unternehmer – aber den Ton dazu setzen Politik und Gesellschaft. Und da stehen die Zeichen nicht gut.

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