221010 Industriebrache

Gegen den Abwärtssog

Für die Wirtschaftsforscher der Creditreform befindet sich der deutsche Mittelstand im Abwärtssog. Seit fast einem Jahr wächst die deutsche Wirtschaft nicht mehr – und von nun an geht’s bergab, fürchtet die Wirtschaftsauskunftei als Ergebnis ihres Geschäftsklimaindex. Der rutschte erstmals seit 2020 wieder in den Minusbereich (minus 1,2 Punkte), was eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung erwarten lässt. Die von der Creditreform befragten Unternehmen spüren massiv die Auswirkungen von Rezession und Inflation. Der Abwärtssog hat mittlerweile die gesamte Breite der Wirtschaft erfasst.

Die Auftrags- und Umsatzlage wird von den von der Creditreform befragten Unternehmen nochmals schlechter beurteilt als im Vorjahr. So meldeten nur noch 25,2 Prozent der Befragten ein Umsatzplus. Im Vorjahr waren es noch 34,1 Prozent. Umsatzeinbußen verzeichneten hingegen 26,8 Prozent der Unternehmen. Zudem sind die Auftragseingänge im Mittelstand eingebrochen. Das lässt eine schnelle Trendumkehr unwahrscheinlich werden, da sich die Orderbücher zunehmend leeren. Fast jeder dritte Befragte meldete einen Auftragsrückgang und nur gut jeder Sechste verbuchte steigende Auftragsbestände.

Angesichts dieser harten Zahlen kann es nicht verwundern, dass die Kreditinstitute ihre Geldhähne weiter zudrehen. Steigende Zinsen haben die Kreditaufnahme ohnehin bereits erheblich verteuert. Das hat langfristige Folgen, denn den Unternehmen bleibt immer weniger Spielraum für Zukunftsinvestitionen. Es wird immer schwieriger für Firmen, Geld für Neubauten oder Sanierung bei den Banken zu bekommen. Dadurch droht der Wert einer Produktionshalle oder eines Bürogebäudes zu verfallen, wenn diese nicht modernen Energiestandards entsprechen. Was sich in Straße und Schiene bereits bedenklich zeigt, setzt sich jetzt auch in den Unternehmen fort: Deutschland bröckelt.

Und das Tempo nimmt zu: Es wird für Unternehmen nicht nur teurer und schwieriger, Kredite für Gewerbeimmobilien aufzunehmen. Der sinkende Wert der Immobilien, vor allem von solchen mit Sanierungsstau, mindert die Bewertung nicht nur in der Bilanz, sondern auch als Sicherheit für neue Hypotheken. Ein Teufelskreis!

Hinzu kommt, dass der Wert der Fabriken und Büros zukünftig auch daran bemessen wird, inwieweit sie Klima- und Nachhaltigkeitsvorgaben entsprechen. Zwar liegen die Energieeffizienzvorgaben vom Bund und aus der EU noch gar nicht vor, doch der Erneuerungsbedarf wird unweigerlich hoch sein. Denn zwar beherbergen nur 13 Prozent aller Gebäude in Deutschland Gewerbe, also Industrie, Handwerk oder Dienstleistung. Sie verschlingen aber 38 Prozent des Energiebedarfs und produzieren 47 Prozent der CO2-Emissionen des gesamten Gebäudebestands. EU-weit sind kleine und mittlere Unternehmen nach Berechnungen der EU-Kommission sogar für zwei Drittel der Treibhausgase verantwortlich.

Die Boston Consulting Group hat dazu rund 700 Unternehmen in Frankreich, Italien, Benelux und Deutschland befragt. Nur elf Prozent der mittelständischen Firmen haben eine Dekarbonisierungsstrategie und investieren auch entsprechend. Neun von zehn befragten Managern haben noch nicht einmal ein Treibhausgas-Monitoring auf dem Plan. Müssen sie auch noch nicht. Doch voraussichtlich ab 2026 wird die EU auch kleine und mittlere Unternehmen dazu zwingen, einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen. Schlechte Werte im Bericht werden die Kreditwürdigkeit nicht unbedingt verbessern, das darf man schon jetzt vorhersagen.

Doch die Erneuerung von Produktionsanlagen muss gut vorbereitet sein und kostet nicht nur Geld, sondern kann auch dazu führen, dass Umsatzausfälle durch Stillstand drohen. Unternehmen scheuen deshalb angesichts der schlechten Wirtschaftslage derzeit den Umbau. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat deshalb schon die EU aufgefordert, kleine und mittlere Unternehmen beim Umstieg besser zu unterstützen. Doch das Sustainable-Finance-Regelwerk sieht derzeit keine Mittel vor.

Mittelstand im Abschwung – Deutschland bröckelt. Darf man angesichts der schlechten Rahmenbedingungen Hoffnung schöpfen. Ja, meint BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Zusammen mit weiteren 18 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft will er eine Zukunftsstrategie zu zentralen Fragen  – Industrie und Verkehr, Klima und Umwelt, Gesundheit, Digitalisierung, Weltraum und Meere sowie Gesellschaft formulieren.

„Es geht nicht nur um kleine Anpassungen. Es braucht eine echte Reform des Innovationssystems: Raus aus alten Mindsets, Scheitern und Risiko als Chance, neue Instrumente für die systematische Kooperation von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Wissenstransfer in die Unternehmen sowie eine Verzahnung innovationspolitischer Strategien und Förderinstrumente. Dafür brauchen wir eine langfristige Deutschland-Vision“, schreibt Russwurm auf LinkedIn.

Allein: es geht nicht nur um die Vision. Es braucht auch Willen und Mittel, um Deutschland wieder zu einer, wie Russwurm hofft, „InnoNation“ zu machen. Aber es wäre wohl der beste Weg aus dem Abwärtssog.

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