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KI stärkt die Schnellen, schwächt die Zauderer

Der Leiter des deutschen Kartellamts, Andreas Mundt, hat davor gewarnt, dass künstliche Intelligenz die Marktmacht von Big Tech steigern könnte. Der oberste Regulator hat Bedenken, dass Technologiegiganten mit ihren riesigen Mengen an Benutzerdaten einen Wettbewerbsvorteil in der neuen Technologie erzielen können, die in Smart Homes, Websuche, Online-Werbung, Autos und vielen anderen Produkten und Dienstleistungen verwendet werden.

Nun, die Befürchtung, die Andreas Mundt noch im Konjunktiv formulierte, kann durchaus schon als gesichert gelten. Denn wenn sich im kommenden Monat die Veröffentlichung  von ChatGPT durch das Startup OpenAI jährt, dann haben wir ein Jahr von geradezu atemberaubendem Entwicklungstempo hinter uns. Allen voran Microsoft und Google in den USA sowie Baidu in China überbieten sich mit Integrationsprojekten für KI in ihren Produkten. Wobei der Fall bei Microsoft durchaus gesondert gesehen werden muss: Während Google und Baidu KI für ihre Suchmaschinen und damit letztlich für die eigenen Datensammlungen verwenden, baut Microsoft ChatGPT als „Copiloten“ in die eigenen Produktivitätslösungen ein, was letztlich vor allem den Kunden zugutekommt.

Freilich: Der Wettbewerbsvorteil, den Künstliche Intelligenz bieten kann, gründet auf Daten in großen Volumina. Wer sie hat, hats gut, denn ohne Daten keine Erkenntnis. Und aus schlechtem Datenmaterial entstehen auch keine guten Analysen. Nur wer hat, dem wird gegeben. Oder deftiger als Bauernweisheit: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Das Phänomen hat auch einen wissenschaftlichen Hintergrund: Soziologen sprechen in Anlehnung an das Gleichnis von den anvertrauten Talenten im Matthäus-Evangelium vom „Matthäus-Effekt“, wenn Erfolge auf vorhergegangenen Erfolgen aufbauen und sich potenzieren.

Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen jetzt ihre Daten normalisieren und für KI-Systeme verfügbar machen. Das gilt ebenso für Produktionsdaten als auch für Informationen aus der Kundenkommunikation oder für aktuelle Zahlen aus der Beschaffung. Wer KI-Systeme wie ChatGPT lediglich benutzt, um schicke Memos zu schreiben, die von einer anderen KI gelesen und beantwortet werden, springt zu kurz. Jetzt geht es darum, den eigenen Datenschatz zu heben. Und dabei ist Schnelligkeit oberste Bürgerpflicht.

Diese Erkenntnis ist ganz offensichtlich unter den KI-Vorreitern im Mittelstand angekommen, wie eine Studie unter rund 100 Mittelstandsmanagern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ergab, die von der Steinbeis Business School Augsburg durchgeführt wurde. Danach setzen neun von zehn Befragten KI bereits in der Fertigung ein oder wollen dies kurzfristig tun. Knapp zwei Drittel der Manager sieht darüber hinaus KI in der Logistik als Schlüsselposition. Das restliche Drittel erkennt zumindest Ansatzpunkte. Ganz ähnlich sehen die Zahlen beim Supply Chain Management aus, wo neben der Logistik auch die Beschaffung und die Kundenkommunikation eine Rolle spielen.

Allerdings: Diese 100 Mittelständler stellen noch eine Minderheit dar. Sie sind die Schnellen, die KI stärken wird. Doch die Mehrheit der mittelständischen Unternehmen – nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union – gehört zu den Zauderern, wie die Online-Marktforscher von YouGov im Auftrag des Hosting-Anbieters Ionos in einer internationalen Studie in Europa und den USA herausfand. 45 Prozent der Deutschen – und damit etwa so viele wie im internationalen Vergleich – haben noch keinerlei Erfahrung mit Künstlicher Intelligenz gemacht. Weitere 40 Prozent setzen KI im Unternehmenskontext ab und zu ein. Doch nur 14 Prozent der rund 4800 Befragten gaben an, schon häufig KI innerhalb des Unternehmens zu nutzen.

Dabei wird offenkundig, dass die für Ionos befragten Mittelständler genau das Falsche tun. Sie nutzen auf Internet-Inhalten aufbauende Sprachassistenten lediglich für Memos, Recherchen, Formulare oder Bilder. Entsprechend zeigen sich auch Qualitätsprobleme: Die Hälfte der Mittelständler ist mit dem Content unzufrieden, drei  Viertel fürchten Falschinformationen oder fehlende Qualitätskontrollen.

Hier schlägt der Matthäus-Effekt bereits voll durch. Er stärkt die Schnellen, die ihren eigenen Datenschatz heben, und schwächt die Zauderer. So heißt es in Matthäus 25,28: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“

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