Aus gutem Grund: Mehr Zeit für Gründer

Am Ende hieß es nicht „Es ist geschafft“, sondern nur „Wir sind geschafft!“ In elf Stunden war die Verhandlungsrunde zur großen Koalition alle Punkte des 177 Seiten starken Koalitionspapiers noch einmal durchgegangen. Einen überraschend großen Raum nimmt im Papier die digitale Wirtschaft ein. Ob alles kommt, bleibt abzuwarten. Ob alles gelingt, darf bezweifelt werden. Aber dass die künftige Bundesregierung eine Reihe von Antworten auf anstehende Fragen rund um das digitale Leben sucht, stimmt in jedem Fall hoffnungsfroh.

Neben den bereits gewürdigten Maßnahmen (siehe Bonnblog vom 25. November) zur Infrastrukturverbesserung – etwa durch flächendeckende Breibandvernetzung – oder die Digitalisierung der traditionellen Industrie – Stichwort: Industrie 4.0 – überrascht, dass die große Koalition in nahezu allen Lebensbereichen eine „digital Awareness“ zeigt. Das Internet ist eindeutig in den Köpfen der Politiker angekommen und erzeugt dort Machbarkeitsüberlegungen.

So werden neben dem Fahrzeug- und Maschinenbau ausdrücklich auch die Logistik und das Gesundheitswesen als Zielbranchen genannt, die „global wettbewerbsfähig bleiben“ sollen und deshalb durch Spitzenforschung und Clusterbildung besonders gefördert werden. Es klingt zwar ein bisschen wie Buzzword-Bingo, also der Suche nach den sechs beliebtesten Begriffen, aber Unterstützung soll die digitale Wirtschaft vor allem in den Disziplinen „intelligente Mobilität“, „Smart Grids“, „Cloud Computing“, „Big Data“, „Green IT“ und „IT Sicherheit“ erfahren.

Und dafür soll ein neuer Gründungsgeist durch Deutschland wehen, der die Zahl von derzeit 10.000 Neugründungen pro Jahr um 50 Prozent – also 15.000 Gründungen jährlich – erhöhen helfen soll. Erreicht wird dies durch weniger Bürokratie in einer „One-Stop-Agency“, die den Verwaltungsprozess zur Firmengründung auf 72 Stunden begrenzen soll. Gleichzeitig soll mit einer „Gründungszeit“ quasi eine Geburtshilfe für Start-ups „aus der Beschäftigung heraus“ erleichtert werden, indem in Teilzeit das bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Test neuer Ideen am Markt vereinbar gemacht werden soll.

Auch bei den Fördermaßnahmen für Start-ups sieht die designierte Bundesregierung Handlungsoptionen. So will sie eine leichtere Streuung von Wagniskapital ermöglichen und gleichzeitig die Besteuerung von Venture Capital so austarieren, dass auch Business Angels, die sich in mehreren Jungunternehmen finanziell engagieren, zusätzliche Anreize wahrnehmen können. Dazu gehört auch die Prüfung eines „Markt 2.0“ genannten Börsensegments, das es jungen Unternehmen erleichtern soll, frisches Kapital zu erzielen. Und nicht zuletzt: Neben der privaten Initiative sollen auch die bisherigen staatlichen Fördermaßnahmen so ausgerichtet werden, dass sie von der Aufstellung des Geschäftsplans bis zum IPO alle Phasen des erfolgreichen Gründungsprozesses begleitet.

Das alles soll auf den Weg gebracht werden, nachdem die sozialdemokratische Basis ihr Mitgliedervotum abgegeben haben wird und den Weg zur Wahl Angela Merkels am 17. Dezember zur Bundeskanzlerin freigemacht hat. Dass der mutmaßliche Vizekanzler Siegmar Gabriel dann aus einem zum Superministerium ausgebauten Wirtschaftsressort heraus die von ihm mitverhandelte digitale Agenda auch umsetzt, sollte nicht bezweifelt werden.

Allerdings sind dies nur Rahmenbedingungen, die eine Stimmung für mehr Internet in der Politik und mehr Unternehmensgründung in der Wirtschaft bereiten soll. Ideen entwickeln, Märkte erkennen, Chancen umsetzen und Kapital riskieren – das verlangt eine Kultur des Zupackens, des Wagen-Wollens. Da ist jeder gefragt. Es reicht nicht der sehnsuchtsvolle Blick ins Silicon Valley. Denn Gründe fürs Gründen gibt es hierorts genug. Man muss nur was unternehmen wollen. Damit es am Ende doch heißt: „Es ist geschafft!“

Risiko? Welches Risiko?

Die weltweit größten Cloud-Anbieter kommen aus den USA – dies gilt trotz Datev, trotz SAP, trotz Deutscher Telekom, die hierzulande mit hohen Investments das Geschäft mit der Datenwolke vorantreiben wollen. Der Aufwand, den sie dazu marketingtechnisch betreiben müssen, hat jedoch in den vergangenen Monaten dramatisch zugenommen. Der Grund: Die Cloud, der ohnehin vor allem im Mittelstand größte Skepsis entgegengebracht wurde, leidet unter einem massiven Imageverlust. Und auch der kommt vor allem aus den USA – aus den Ausspäheinrichtungen der NSA und aus dem Weißen Haus, das mit lauwarmen Reaktionen Ressentiments schürt.

Dabei sehen die aktuellen Nutzungsdaten gar nicht mal so schlecht aus: Nach Ermittlungen der Marktbeobachter von PricewaterhouseCoopers (PwC) nutzt derzeit jedes zehnte Unternehmen die Wolke. 78  Prozent allerdings sehen keinen Bedarf. Die Gründe: Angst vor Kontrollverlust über die eigenen Daten und mangelnde Datensicherheit. Auch die Sorge, bei Netzausfall von den eigenen Daten abgehängt zu sein, geht um.

Kontrollverlust? Setzt der Verlust der Kontrolle nicht den Besitz der Kontrolle voraus? Es ist aber eklatant, dass gerade im Mittelstand der bekundeten Sorge um Datensicherheit gleichzeitig eine oftmals nicht eingestandene Sorglosigkeit bei Infrastrukturmaßnahmen zur Datensicherheit gegenüber steht. Der TÜV Rheinland kommt anlässlich seiner jüngsten Risikostudie zu dem Ergebnis, „dass den Mittelstand eine hohe Risikobereitschaft auszeichnet – 43 Prozent aller Befragten schätzen sich im Vergleich zu ihren Mitbürgern als risikofreudiger ein.“ Das ist auch eine der Stärken des Mittelstands.

Der TÜV Rheinland warnt aber gleichzeitig: „Paart sich geringe Risikosensibilität mit hoher Risikobereitschaft, kann dies die Existenz von Unternehmen massiv gefährden.“ Großer Nachholbedarf besteht laut Studienergebnis beim Thema Risikomanagement. 25 Prozent aller befragten Unternehmen haben kein Managementsystem und rund 30 Prozent nehmen keinerlei Risikosteuerung vor. Standardisierte Messmethoden und Analysen werden nur von neun Prozent umgesetzt. Ökologische und soziale Faktoren spielen auch hier kaum eine Rolle, geeignete flächendeckende Maßnahmen in diesen Bereichen sind stark defizitär. Insgesamt sehen über zwei Drittel der Befragten noch Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Sicherung der Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens.

Zwar bezieht sich die Studie des TV Rheinland auf die Risikowahrnehmung im Allgemeinen – ich meine aber, dass sie im Besonderen auf den Umgang mit der IT und darin mit dem Cloud Computing zutrifft. Wer Ressentiments gegenüber dem Cloud Computing hegt, sich gleichzeitig aber in einer vermeintlichen Sicherheit bei der hauseigenen Informationstechnik wähnt, geht aller Wahrscheinlichkeit ein deutlich höheres Risiko ein, als wenn er professionellen Cloud-Anbietern – und seien es amerikanische Anbieter – vertraut.

Denn das wahre Gefährdungspotenzial offenbart die polizeiliche Kriminalstatistik. Sie berichtet für das Jahr 2012 im Vergleich zu 2011 einen Anstieg im Bereich der IuK-Kriminalität um rund 7,5 Prozent auf rund 64000 Fälle – das sind immerhin mehr als 300 Fälle pro Werktag. Besonders bemerkenswert ist dabei der Anstieg im Bereich von Datenveränderung und Computersabotage um 134 Prozent auf fast 11000 Fälle. In 16000 Fällen von Ausspähung und Abfangen von Daten wurden im gleichen Zeitraum ermittelt.

Die mit Cloud Computing assoziierten Risiken sind also längst – und eben auch ohne Cloud Computing – Realität. Und auch unterhalb der „Risikoschwelle Cloud Computing“ gibt es genügend Risikopotenzial. 21 Millionen Smartphones wurden im vergangenen Jahr verkauft. Zusammen mit Tablet-Computern sorgen sie für einen neuen Trend am Arbeitsplatz – »Bring your own device« -, der nicht nur dazu führt, dass die Grenzen zwischen privater und beruflicher Nutzung von moderner Informations- und Kommunikationstechnik immer weiter verwischen. Neben höheren Freiheitsgraden, die durch eine steigende Flexibilität entstehen, ergibt sich auch ein höheres Sicherheitsrisiko durch Verlust von Geräten, Abhören im öffentlichen Raum oder unkontrolliertem Mailverkehr.

Daraus ergeben sich nicht nur Anforderungen an die IT-Infrastruktur, sondern vor allem an die Definition von Arbeitsregeln, Standards und Prozesse. Die Diskussion um Sicherheit wird dagegen nahezu ausschließlich über die Technik geführt. Tatsächlich aber legt die Risikostudie des TÜV Rheinland eher nahe, dass insbesondere das Management und die Prozessverantwortlichen ein stärkeres Risikobewusstsein erreichen müssen. Denn nur ein bekanntes Risiko kann man auch vermeiden. Das gilt mit und ohne Cloud.

Diskutieren Sie mit mir über die Auswüchse der digitalisierten Welt – am 8. November beim Thementag Cloud Computing in Köln. Weitere Informationen,  Agenda und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier.

Spioniert ihr noch oder klaut ihr schon?

Es ist ja in Blogs, Posts und News jeden Montag eine gute Übung, das am Wochenende in TV-Talkshows Abgehörte zu kommentieren. Wir wollen da auch nicht länger zurückstehen mit unserem Fazit: Für Verschwörungstheoretiker herrscht Hochkonjunktur! Geht es nach den Talkrunden, dann verheimlichte uns bis vorgestern die katholische Kirche den Milliardenreichtum ihrer Bistümer und bis gestern verheimlichte uns die US-amerikanische Botschaft in Berlin das Vorhandensein ihrer Ausspäheinrichtungen.

Mal abgesehen von der Frage, welchen Unterschied im Grundrechtanspruch es eigentlich machen soll, ob das Handy der Kanzlerin oder meins ausgespäht wird, bleibt zu diskutieren, wie ein von Kontinentaleuropa ernst genommenes Grundrecht im internationalen Maßstab gegen die Möglichkeiten der Technik und die mangelnde Ethik der Technologie-Supermächte gewahrt werden soll. Mehr Kryptografie, wie es die Telekom will? Mehr europäisches Engagement in IT-Technologie, wie es der geschäftsführende Wirtschaftsminister will? Oder mehr Aussperrung für Ausspäher, wie es der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar Sonntagabend bei Günther Jauch wollte?

Seine Einlassung zu Ausweisung amerikanischer Technologie-Unternehmen sollte eigentlich das Eröffnungsstatement für die nächsten Talkshows zur Ausspähaffäre werden. Denn die Hilflosigkeit, mit der die Europäer, offensichtlich allen voran die Deutschen, gegenüber den negativen Folgen der globalen Digitalisierung reagieren, ist fast schon beschämender als die ohnehin schon schändliche Tatsache, dass der Technologiewettlauf ins Internet hoffnungslos verloren gegeben worden ist.

Spioniert ihr noch oder klaut ihr schon? Sich gegen Ausspähung nicht zu wehren, ist selbstmörderisch – für den Rechtsstaat ebenso wie für die Wirtschaft. Denn neben der Intimsphäre jedes einzelnen Menschen ist das Insiderwissen jedes einzelnen Unternehmens das schützenswerte Gut eines Gemeinwesens. Beides ist jetzt gefährdet. Und während das Ausspähen von Kanzlerworten ein Vertrauensbruch ist, ist das Klauen von Know-how schlicht Diebstahl. Und beides ist ein Rechtsbruch.

Dagegen gibt es Mittel: Gesetze taugen nur so viel, wie zu ihrer Durchsetzung auch unternommen wird. Wenn die Kanzlerin jetzt eine Resolution in die UN-Vollversammlung einbringen will, wonach Ausspähung und Datenklau im Stil des 21. Jahrhunderts geächtet werden soll, dann ist das eine Initiative. Wenn die künftige Bundesregierung eine europäische Technologie- und Wirtschaftsoffensive lostreten würde, mit deren Hilfe wir uns aus dem Technologiediktat befreien könnten, dann wäre das die andere, wesentlichere Initiative. Mit „Industrie 4.0“ gibt es immerhin einen Ansatz für eine solche Aufholbewegung. Doch fehlt ihr bislang der politische Impetus.

Die Informations- und Kommunikationstechnik führt uns in den kommenden Jahren unweigerlich in die Cloud. Inwieweit wir Europäer bei ihrer Gestaltung mitreden oder nur abgehört werden, liegt an uns. Wir brauchen kein Lamento auf der Fernseh-Couch, sondern einen handfesten Plan zur Wiedererlangung europäischer Technologieführerschaft. Wer führt, wird nämlich nicht angeführt – nicht einmal von Freunden.

Und deshalb ist es auch das schädlichste Signal, als Technologieunternehmen öffentlich darüber zu sinnieren, seinen Firmensitz in die USA und sein Marktzentrum nach China zu verlagern. Aber darüber zu reden, ist ja nur noch eine Plattitüde…

Diskutieren Sie mit mir über die Auswüchse der digitalisierten Welt – am 8. November beim Thementag Cloud Computing in Köln. Weitere Informationen,  Agenda und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier.

Blackhole by Design

20 Millionen Euro Umsatz pro Jahr aus einem einzigen Softwarepaket – das ist für ein mittelständisches Softwarehaus, von denen es in Deutschland Zehntausende gibt, eine feine Sache. Für SAP, das heute einen Quartalsumsatz von mehr als vier Milliarden Euro ausweisen wird, sind es die berühmten Peanuts. Alles andere als Erdnüsse dagegen sind die nach unterschiedlichen Quellen auf drei Milliarden aufgelaufenen Investitionen, derer es bedurfte, um die erste (nahezu) komplette Cloud-Software fürs Enterprise Resource Planning, Business by Design, zu entwickeln, mit einer Cloud-Infrastruktur zu versehen und schließlich zu vermarkten.

Nur um die Dimensionen zu verdeutlichen: Würde sich nichts ändern, brauchte SAP  150 Geschäftsjahre, um mit By Design Umsätze in der Größenordnung der mutmaßlichen Investitionen zu erreichen. Kein Wunder, dass Produkt- und Technologie-Vorstand Vishal Sikka dieses Schwarze Loch aus seinem Kosmos entfernen will und jetzt das Aus für die Cloud-Software verkündet hat, wie am Wochenende nahezu alle Wirtschafts-Plattformen in Prints und Posts verkündeten.

Aber hat er das wirklich getan? Die offizielle Welt der SAP rotierte am Wochenende, um diese Fehlinterpretation zu korrigieren. Und die Medien schwenkten um: Nicht Business by Design werde eingestellt, sondern die Technologieplattform, auf der es beruht, wird runderneuert – mit der In-Memory-Datenbank Hana als neue Basis.

Zwei Grundprobleme, mit denen SAP seit der vollmundigen bis vorlauten Markteinführung von Business by Design 2007 zu kämpfen hatte, sollen behoben werden.

Erstens: die Nachfrage in der Cloud konzentrierte sich nicht auf monolithische Großanwendungen wie ERP, sondern auf Teilbereiche wie CRM, Projektmanagement, Finanzen, die als Cloud-Services in Ergänzung zu bestehenden standortgebundenen IT bereitgestellt werden, sowie auf hochspezialisierte Apps, die für den mobilen Nutzer zur Verfügung stehen. Deshalb kaufte SAP die Cloud-Spezialisten SuccessFactors und Ariba, die solche Teilaspekte bereits ideal abdeckten.

Zweitens: Die Kommunikation zwischen Anwendungsserver und Datenbankserver entpuppte sich als Flaschenhals in der Cloud, der für Wartezeiten sorgte, die an den Beginn des Internet-Zeitalters erinnerten. SAP hatte dies zunächst mit Zusatzinvestitionen in die Rechenzentrumskapazität auszugleichen versucht. Doch dann kam Hana, die die nervigen Datenbankaufrufe massiv beschleunigte.

Es ist nur konsequent, wenn SAP jetzt für Business by Design ein technologisches Revirement beschließt, und die SAP Hana Cloud Platform als Performance-Fundament für alle Zukunftsprodukte des Unternehmens – also eben auch für Business by Design – in die Architektur einziehen will. Das soll jetzt geschehen. In der Zwischenzeit bekommen ByD-Kunden ein weiteres Release – mit alter – beziehungsweise im Marketingdeutsch: bewährter – Technik.

Wenn SAP intern von Echtzeit in „Google-Geschwindigkeit“ spricht, dann offenbart sie, wer im Markt die eigentliche Standardkerze ist, an der SAP künftig die eigene Strahlkraft messen will. Es sind weniger die anderen ERP-Boliden wie Microsoft, Oracle oder Infor – es sind die Internauten der dritten Generation wie Facebook, SalesForce oder eben Google, an denen sich SAP messen lassen will. Das hatten schon die angekündigten Wachstumsraten anzeigen sollen: 10.000 Kunden und eine Milliarde Umsatz waren für das Jahr 2010 angekündigt worden. Doch das stürmische Cloud-Geschäft blieb aus – auch weil sich SAP – anders als ihre Web-Idole – technologisch an die Vergangenheit geklammert hatte.

Das soll jetzt anders werden: Und zwar erst einmal im Alleingang. Partner dürfen Add-Ons entwickeln wie bisher. Der Weg zu einer echten offenen Plattform, auf der andere ihre Lösungen aufsetzen und gemeinsam mit SAP vermarkten ist noch weit. Aber das ist kein Wunder. Erst muss mit Hana das Schwarze Loch gestopft werden.