Such, Maschine, such!

Ein hinreichendes Niveau an Bildung hatten lange Zeit ja bekanntlich jene erreicht, die wussten, wo was steht. In unserer postmodernen, postfaktischen Zeit ist es hingegen vollkommen ausreichend, wenn Google weiß, wo was steht. Der jeweilige Bildungsstand ist folglich nicht mehr unbedingt human, sondern höchstens humanoid, wenn nicht sogar nur noch hybrid.

Bei der Integration von Unternehmensanwendungen scheint sich diese Tendenz auch durchzusetzen: zu Beginn der ERP-Ära gab es für Alles und Jedes dedizierte Anwendungen mit eigener Datenhaltung, die schließlich von allumfassenden Komplettsystemen abgelöst wurden, deren Versprechen die alles zusammenfassende Datenbasis war. Jetzt gehen mehr und mehr Unternehmen hin und kaufen Services aus der Cloud hinzu – und gefährden die eigene homogene Datenstruktur.

Die postmoderne – aber noch lange nicht postfaktische – Unternehmenslösung, die Services für Spezialanforderungen aus dem Web heraus ergänzt, verspricht mehr Agilität. Denn die monolithischen Strukturen der Großanwendungen lassen sich auch mit modernsten Entwicklertools nur noch sehr langsam und nach aufwendigen Integrationstests erweitern. Das hemmt so manche Innovation. Der Griff zu Cloud-Services liegt da nahe – vor allem dann, wenn die zusätzlichen Funktionen nur eine taktische und keine strategische Bedeutung haben, selten genutzt werden oder aber eine permanente Pflege durch Dritte erfordern – die komplexen Anforderungen bei der Zollabwicklung gehörten dazu oder neuerdings Big Data-Anwendungen für vorausschauende Analysen.

Doch das Mehr an Agilität wird möglicherweise durch ein Weniger an Datenkonsistenz erkauft. Am Ende könnten Abteilungen in Unternehmen zu unterschiedlichen Erkenntnissen und Aktionen kommen, weil sie nicht mehr auf eine identische, konsistente Datenbasis zurückgreifen. Dann ist die Frage, wo was steht, plötzlich doch wieder von zukunftsentscheidender Bedeutung.

Nach Ansicht der ERP-Analysten von IDC gehört die Wahrung der Datenintegrität in einer hybriden Umgebung zu den nächsten ganz großen Herausforderungen. Das Internet der Dinge mit seinen Milliarden Maschinendaten wird dieses Phänomen weiter verstärken. Denn die heutigen monolithischen ERP-Systeme können schlechterdings gar nicht schnell genug buchen, um diese Datenschwemme aufzunehmen. Viele ERP-Anbieter flüchten sich deshalb in Vorschaltsysteme – Digital Hubs oder Manufacturing Execution Systems -, mit denen die Datenflut abgefangen und erst als aggregierte Erkenntnisse weitergeleitet werden.

Was bisher nur für die Übernahme und Zusammenfassung von Maschinendaten gedacht ist, könnte aber zu einem zentralen Baustein postmoderner ERP-Systeme avancieren: Datensammler, die aus den Daten der hybriden Lösungen wieder homogene Informationsbasen schaffen. Sie könnten einer der ersten Bausteine eines zukünftigen ERP-Systems sein, das IDC ein wenig hochtrabend „Intelligent ERP“ nennt – womit aber eben nicht intelligente Systeme gemeint sind, sondern solche, die wissen wo im Web und on Premises was steht.

Weitere Bausteine sind schon längst da. Predictive Analytics, mit denen aus den bestehenden Daten Aussagen über die zukünftige Entwicklung generiert werden können, gehören ebenfalls in das postmoderne ERP-Bestiarium. Und – wenn auch erst am Horizont zu erkennen – schließlich wird das Enterprise Resource Planning zum selbstlernenden System, das seine eigenen Algorithmen auf der Basis der gemachten Erfahrungen anzupassen in der Lage ist. Machine Learning ist bereits jetzt das ganz große Ding, wenn es darum geht, Roboter noch hilfreicher agieren zu lassen. Klassische Systeme entwickeln sich nicht mehr weiter, nachdem der letzte Programmierer das Interesse an ihnen verloren hat. Lernende Systeme aber erkennen Veränderungen und passen sich ihnen an.

Ist es nicht genau das, wovon ERP-Anwender seit über drei Jahrzehnten träumen? Das Marktumfeld verändert sich – das ERP-System auch. Nach diesem Geschäftsmodell erhalten sich Tausende von Softwarehäusern am Leben, die ihren Kunden die Anpassungen als teure Dienstleistung verkaufen. Sollte das etwa auch ein Geschäftsmodell sein, das vom Aussterben bedroht ist? Wo steht das denn?

 

 

IT´s a Game Changer!

Woche für Woche kommen Studien auf den Schreibtisch, nach denen – je nach Geschäftsmodell des Auftraggebers – der deutsche Mittelstand entweder bei Investitionen in den digitalen Wandel gut im Schnitt liegt oder hoffnungslos hinterher hinkt. Nun, abgesehen davon, dass „gut im Schnitt“ noch lange nicht „Leader of the Pack“ ist und Hinkende nur wenig Aussicht darauf haben, zum Hauptfeld der Durchschnittlichen aufzuschließen: wie können sich seriös gebende Meinungsforscher und Beratungshäuser in ihrem Urteil eigentlich so unterscheiden? Nur im US-Wahlkampf lagen die Auguren weiter weg von der Realität.

Über die Fehlprognosen vor der Präsidentenwahl in den USA wurde bereits viel spekuliert, über die starken Abweichungen beim Urteil über „Industrie 4.0“ oder andere Auswirkungen des digitalen Wandels gibt es hingegen weniger Mutmaßungen. Deshalb hier ein Versuch: Es kommt immer drauf an, was man zählt und wie bewertet! Nicht neu? Mag sein – aber dann wäre es höchste Zeit, mit einem bewährten Fehler aufzuräumen.

Der digitale Wandel tritt nämlich in vier Aggregatzuständen auf, die ein Unternehmen entweder in Kältestarre verharren lassen oder aber fließend auf Veränderungen reagieren lassen. Am Ende steht jedenfalls ein superschnell reagierendes Plasma-Unternehmen, das nicht nur sich selbst, sondern auch seine Umgebung völlig verwandelt.

Versuchen wir es – etwas weniger metaphorisch – mit einer Taxonomie des digitalen Wandels:

  • Die Stagnation ist demnach die unterste Stufe des Umgangs mit dem digitalen Wandel.
  • Veränderungen führen im harmlosen Fall zu Transitionen, zu organisch und kontinuierlich sich entwickelnden Übergängen von einem Zustand in einen anderen.
  • Sind die Übergänge so umfassend, dass sich nicht nur ein neuer Zustand, sondern auch ein neues Geschäftsmodell entwickelt, kann man von einer Transformation, einer Umgestaltung, sprechen.
  • Werden ganze Lebens- und Gesellschaftsbereiche so tiefgreifend verändert, dass sich auch ihre jeweiligen Funktionsprinzipien ändern, ist dies Disruption.

Sehr gut lässt sich dies in der Automobilbranche erkennen, wo strenge Abgaswerte nicht dazu geführt haben, dass Unternehmen Technologien für Innovationen eingesetzt haben, sondern dafür, die Vorschriften zu umgehen und weiter stagnieren zu können. Wer mit Blick auf die Antriebstechnik Hybridmodelle anbietet, versucht eine vorsichtige Transition zur Elektromobilität umzusetzen. Die tatsächliche Transformation aber erfolgt erst, wenn (teil-)autonome Fahrzeuge im Verkehr den Fahrer entlasten. Die wirklich tiefgreifende Veränderung aller vom Auto erfassten Lebensbereiche ereignet sich mit dem Paradigmenwechsel, in dem nicht mehr Fahrzeuge, sondern Fahrzeiten verkauft werden – unabhängig davon, ob es sich um Personentransporte, Botengänge oder Frachten im Rahmen einer Logistikkette handelt.

Der Käufer von Fahrzeiten hat dann die totale Entscheidungshoheit über seine Mobilität und die seiner Güter. Er (oder sie) kann aggressiv oder defensiv durch den Verkehr pulsen, er kann ökologisch oder ökonomisch sinnvoll die Waren transportieren. Er kann kurzentschlossen Essen bestellen, spontan Spritztouren einschieben oder ein Cam-Car vor seinem Haus abstellen. Es ist jedenfalls der Konsument, der die Art und Weise der Nutzung bestimmt und damit zugleich das Tempo und die Tiefe des digitalen Wandels.

Nach diesem Muster wandeln sich praktisch alle Branchen und Lebensbereiche. Sie werden dadurch vorangetrieben, dass Konsumenten, also Nachfrager, digitale Antworten der Anbieter auf die bereits vorhandene digitale Ausstattung einfordern. Je mehr Smartphones verkauft werden, je mehr Wearables Gesundheitsdaten ermitteln, je mehr Smart Homes nach Verknüpfungsmöglichkeiten suchen – desto tiefgreifender müssen Unternehmen reagieren. Sie werden vom Pfad der Transition zur Transformation getrieben und müssen zugleich visionär genug sein, die drohende Disruption ihrer Geschäftsmodelle vorauszusehen. Oder sie stagnieren gemütlich im Hier und Gestern. Da weiß man wenigstens, was man hat – beziehungsweise hatte.

BDI 4.0

„Wir sollten dem ´President-elect´ ein Angebot der Zusammenarbeit machen!“ Dieses Zitat schmückte am heutigen Montag die Startseite des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Erst beim zweiten Lesen wurde mir klar, dass es sich nicht um den zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum BDI-Präsidenten gewählten Prof. Dieter Kempf handelt, sondern um den künftigen Hausherrn im Weißen Haus. Doch auch der neue Hausherr im Haus der Industrie braucht Angebote der im BDI organisierten Branchenverbände, um das ganz große Ziel unter seiner Ägide auf die Datenautobahn zu bringen: die Digitalisierung der Wirtschaft.

Kaum jemand scheint dazu besser geeignet, als ein Vertreter der Informationswirtschaft, die nicht nur eine der größten Branchen in Deutschland ist – sowohl gemessen am Umsatz als auch an Arbeitsplätzen – , sondern auch als Enabler der wichtigste Player für die Transformation der Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle in praktisch allen anderen Industriesegmenten. Dies gilt für das Gesundheitswesen ebenso wie für die Automobilindustrie, für die Dienstleistungsbranche ebenso wie für das Unterhaltungssegment.

Dieter Kempf ist dafür in doppelter Hinsicht ein idealer Präside. Als langjähriger Vorstandsvorsitzender und zuvor schon an der Seite des seligen Heinz Sebiger bestimmte er nicht nur die Geschicke der Datev – dem viertgrößten deutschen Softwarehaus. Er ist damit auch einer der prominentesten Fürsprecher und Buchhalter des deutschen Mittelstands: 2,5 Millionen Unternehmen (von insgesamt 3,3 Millionen in Deutschland) machen bei der Datev oder mit Datev-Software ihre Buchführung. Und zwölf Millionen Menschen erhalten Monat für Monat ihre Lohn- und Gehaltsabrechnung über die Nürnberger Genossenschaft. Mehr Digitale Transformation müsste man in Deutschland wahrlich suchen.

Der Begriff „Industrie 4.0“, die Vorstellung, dass die Digitalisierung unseren gesamten Lebensstil, vielleicht sogar unsere Lebensbedingungen, verändern wird, entstand während Kempfs Zeit als Präsident des Digitalverbands Bitkom. Als einen Vertreter der „Klick and Forward“-Gesellschaft haben ihn nun die Repräsentanten der „Brick and Mortar“-Industrien auf den Schild gehoben. Es ist für den BDI durchaus ein Signal, dass nun nicht die klassische Industrielle Fertigung, sondern die Informationswirtschaft in der Spitze vertreten ist. – Zuletzt war dies mit dem Ex-IBMer Hans-Olaf Henkel bis 2000 der Fall.

Der BDI ist die Klammer der deutschen Wirtschaft – und ihr Präsident ist dies allemal. Das haben Kempfs Vorgänger im Amt allesamt bestens verstanden und umgesetzt. Das hat sich in Krisen ebenso bewährt wie in den anstrengenden Zeiten, in denen es nur bergauf geht. Jetzt aber ist mit der Digitalen Transformation, die die Bundeskanzlerin seit jüngster Zeit gerne und richtigerweise ´disruptiv´ also kreativ zerstörend nennt, eine Herausforderung zu bewältigen, die alle Teile der deutschen Wirtschaft zum Umdenken und Neudenken, zum Umsetzen und Neustart veranlasst. Der BDI setzt sich damit als „Bundesverband der deutschen Industrie 4.0-Bewegung“ an die Spitze des Aufbruchs. Und das ist gut so.

Jetzt geht es in der Tat darum zusammenzuarbeiten. Denn jetzt gilt es, in allen Branchen das technisch Mögliche und das geschäftlich Vernünftige zu tun, um im globalen Wettbewerb die Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu nutzen. Der scheidende Präsident Ulrich Grillo hat dazu die Voraussetzungen geschaffen – die Themen der Digitalen Transformation sind längst auf der Agenda des BDI angekommen. Jetzt gilt es, in die Verbände und Branchen einzuwirken. Der freundliche Bayer, Dieter Kempf, könnte dafür genau der richtige Kämpe sein.

 

Anne Will: Angela Auch

Es ist, als wäre der diesjährige IT-Gipfel so etwas wie der Bundestagswahlkampf im Kleinen gewesen. Sogar im ganz besonders Kleinen: im Saarland nämlich, wo die Ministerpräsidentin Annegret Kramm-Karrenbauer dafür ausgezeichnet wurde, dass in ihrem Bundesland ein MINT-frischer Atem durch die Schulen weht. MINT – dies sei für alle bildungsfernen Leser erklärt – fasst die Bildungsbereiche zusammen, die angeblich für unser Land so zukunftsversprechend sind: also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. – Als wenn Wirtschaftswissenschaften, Ethik, Geschichte, Sprachen und Soziologie nicht ebenso wichtig wären für eine Gesellschaft, die auf gemeinsame Werte setzt statt auf gemeine Worte.

Nun ist dies ja kein allgemeinpolitischer Blog, sondern ein Meinungsbeitrag zur Informationswirtschaft. Und die hatte vergangene Woche mit dem Gipfeltreffen aus Digitalpolitik und IT-Wirtschaft ihr alljährliches Hochamt – zum zehnten Mal innerhalb von elf Jahren. Einmal, 2013, fiel der Gipfel, wenn man so will, ins Wasser, weil die Bundestagswahl eine komplizierte Gemengelage hinterlassen hatte und die Koalitionäre mit sich selbst beschäftigt waren statt mit der Digitalen Agenda. 2017 soll dies nicht so sein, kündigte die Bundeskanzlerin an – denn schon im Juni werde man sich bei den dann zum Digitalgipfel umgetauften „Plattform-Gesprächen“ um das Thema eHealth kümmern.

Wer es hören wollte, konnte da schon wahrnehmen, was die Kanzlerin schließlich am Sonntag um 19 Uhr vor der Bundespressekonferenz und dann ab 21:45 Uhr bei Anne Will verkündete: Sie tritt noch einmal an. Und irgendwie hegt kaum jemand Zweifel, dass es ein „Merkel 4.0“ auch tatsächlich geben wird.

Sie wäre die Kanzlerin des langen Atems, die nicht nur die Finanz-, Euro und Schuldenkrise weggeatmet hat und nun die Wertekrise der westlichen Welt beatmen soll. Sie will auch ein Lebenswerk als Digitalkanzlerin vollenden und die Deutschen in die Gigabitgesellschaft führen. Begonnen hat sie damit in Saarbrücken, wo das Thema Bildung in Schule und Beruf im Mittelpunkt stand. Angefangen beim mit fünf Milliarden Euro ausgestatteten Digitalpakt bis zum angekündigten Weißbuch zur Arbeitswelt 4.0 sollen die Deutschen auf lebenslanges Lernen ausgerichtet werden. Bildung soll digitaler werden und vor allem individueller.

Und nun also das Gesundheitswesen. Die Einführung der digitalen Patientenkarte, an der bis heute kaum etwas wirklich digital ist, sei ein Beispiel dafür, wie Digitalprojekte nicht laufen sollen, sagte Angela Merkel. Das dürfte durchaus selbstkritisch gemeint sein, denn als Kanzlerin hat sie elf Jahre der 15jährigen Leidensgeschichte der Gesundheitskarte mit verantwortet. Es sei das Vertrackte mit der Digitalisierung, dass sie eben auch mehr Transparenz schaffe, die nicht jeder wolle, erklärte die Kanzlerin die Hemmnisse.

Aber so vertrackt wird es weiter gehen: der Digitale Wandel unserer Gesellschaft wird zu mehr Transparenz, zu mehr Einsicht durch Durchsicht auf allen Ebenen, in allen Branchen und Lebensbereichen führen. Deshalb müsse man auch den Grundsatz der Datensparsamkeit überdenken. Denn allzu viel Datenschutz behindere das „Big Data Management“, wie die Kanzlerin es nannte.

Nie war ein IT-Gipfel so politisch wie dieser. Die Bundesregierung war so zahlreich vertreten, dass das Kabinett in Saarbrücken beschlussfähig gewesen wäre. Aber Beschlüsse wurden nicht gefasst – dazu ist der IT-Gipfel auch nicht da. Er ist ein großer Abstimmungsmarathon zwischen Wirtschaft und Politik. Er ist so etwas wie der Herbst-Anker zur Frühjahrs-CeBIT, ein Leistungsnachweis beim Abarbeiten der Digitalen Agenda. Und die ist lang genug. Beim Umgang mit dem Digitalen Wandel steht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Dafür sind alle Anstrengungen gerade gut genug. Ein auf den Weg gebrachtes „Deutschland 4.0“ wäre der krönende Abschluss einer dann 16jährigen Kanzlerkarriere.