Föderale Förderszene

Deutschland hat in Europa auch bei Startups die Nase vorn: Das geht aus Zahlen des Analystenhauses Ernst & Young hervor. Danach ist zwar London unverändert das Epizentrum der europäischen Gründerszene – unter den wichtigsten zehn Standorten in Europa befinden sich aber mit Berlin, München und Hamburg gleich drei Startup-Zentren. Zusammen genommen bringen sie es auf knapp zwei Milliarden Euro Investitionssumme allein im ersten Halbjahr.

Dabei ist Berlin trotz der stark föderalen Förderszene in Deutschland mit nur knappem Abstand die Nummer Zwei hinter London. Während Gründer in London in den ersten sechs Monaten 1,646 Milliarden Euro zusammentrommelten, waren es im gleichen Zeitraum in Berlin 1,47 Milliarden Euro. Paris als Drittplatzierter ist mit 683 Millionen da schon weit abgeschlagen. München (Platz 5 mit 183 Millionen Euro) und Hamburg (Sechster mit 178 Millionen Euro) folgen im ehrfürchtigen Abstand.

Dabei hat Berlin im europäischen Vergleich den größten Umsatzsprung getan: im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres waren es in der deutschen Hauptstadt „nur“ 531 Millionen Euro, die den Startups auf die Sprünge helfen sollten – ein Plus von 177 Prozent also. London hat im Vergleich dazu lediglich um 139 Prozent zugelegt, allerdings deutlich mehr Finanzierungsrunden absolviert. In Berlin fließt also im Durchschnitt mehr Geld pro Finanzierungsrunde.

Das Bild vom föderalen Förderstaat Deutschland wird auch durch den an diesem Montag erscheinenden fünften Deutschen Startup-Monitor (DSM) gefestigt, der neben den Startup-Hochburgen Berlin, München und Hamburg auch die Metropolregion Rhein/Ruhr sowie die Industriezentren Stuttgart/Karlsruhe und Ingolstadt/Nürnberg hervorhebt. Demnach sind zwar 16,8 Prozent der deutschen Startups in Berlin angesiedelt. In der Rhein/Ruhr-Region sitzt aber schon jedes neunte Startup. Im Ländervergleich liegt NRW mit 14,4 Prozent aller Startups auf Patz zwei hinter Berlin, aber vor Bayern (13,4 Prozent), Baden-Württemberg (12,4 Prozent) und Niedersachsen mit zwölf Prozent.

Das ist umso bemerkenswerter, als die deutschen Startups außerhalb Berlins der Industrie folgen. Und tatsächlich heben der Deutsche Startup Verband und KPMG als Autoren des Deutschen Startup Monitor hervor, wie stark die Geschäftsideen hierzulande auf Business-to-Business-Modelle abzielen und Industriekunden als wichtigsten Markt ansehen. Startups wie der Lieferservice Delivery Hero, der im Mai noch einmal fast 390 Millionen Euro einsammeln konnte, sind eher die Ausnahme. Deutschland bleibt also seinen traditionellen industriellen Stärken auch im Gründungsgeschehen treu, wenn mehr als zwei Drittel der Startups auf Business-Kunden abzielen.

Dabei unterscheidet der DSM feinsinnig zwischen Nutzern und Kunden – und kommt damit dem Plattform-Gedanken moderner Web-Angebote nach. So zielt zwar mehr als die Hälfte der Startups auf den privaten Nutzer, erwartet aber, dass Industrieunternehmen daraus den Nutzen ziehen und zahlen. So richten sich beispielsweise Mobilitätsangebote an den privaten Menschen, Nutznießer sind jedoch stets die Betreiber großer Infrastrukturangebote wie Auto-Flotten, Parkhäuser, Navigations- oder Verkehrsleit-Systeme.

Und damit zeigen Startups, dass sie keineswegs eine digitale Spielerei sind, sondern inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil des digitalen Wandels, in dem sich die Gesamtwirtschaft befindet. Im Übrigen haben Startups in Deutschland laut DSM jeweils mehr als 13 Arbeitsplätze geschaffen und planen im Durchschnitt noch einmal je zehn Mitarbeiter einzustellen. Voraussetzung ist freilich, dass sich der eklatante Fachkräftemangel in Deutschland mildern lässt. Allein im ITK-Sektor sind derzeit 50.000 Stellen unbesetzt. Da ist es kein Wunder, dass sich Startups mehrheitlich dafür einsetzen, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Ohnehin kommt jeder zehnte Gründer in Deutschland aus dem EU-Ausland.

Sowieso hat es den Anschein, dass die Startup-Szene in Deutschland eher trotz der aktuellen politischen Lage so sehr aufblüht. Denn es sind zusätzlich zum Fachkräftemangel die drei Klassiker der Wirtschaftsklagen, die auch die Gründer mehrheitlich umtreiben: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern und ein komplizierter Zugang zu Wachstumskapital. In allen vier Punkten wird die neue Bundesregierung – voraussichtlich in den Farben von Jamaika – deutliche Zeichen setzen müssen.

Übrigens, wenn am 24. September nur die Startups gewählt hätten, müsste sich FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner heute fragen, ob er mit der Union oder mit den Grünen als Mehrheitsbeschaffer unter seiner Führung koalieren sollte. Auch diese Erkenntnis verdanken wir dem Deutschen Startup-Monitor.

Startups sind doch irgendwie anders. Aber auch das gehört zu unserem föderalen Fördersystem.

 

Ein Paradox wird fünf Jahre alt

Wer ein Startup gründet, will ungebunden sein, will im wahrsten Sinne des Wortes etwas unternehmen. Dazu ist er oder sie bereit, Risiken einzugehen, die mehr oder weniger gut kalkuliert sind, finanziell mehr oder weniger gut abgesichert und mit mehr oder weniger guten Marktchancen ausgestattet sind. Aber immer sind es Risiken, die nicht allein eine unternehmerische Ungewissheit beinhalten, sondern oft auch das ungeheure Wagnis, für eine ganze Branche etwas nie Dagewesenes zu denken, auszuprobieren, in einen neuen Geschäftsprozess, ja nicht selten in ein ganz anders gelagertes Geschäftsmodell zu gießen und kreativ zerstörerisch einen Markt umzukrempeln.

Nichts, so sollte man meinen, liegt einem Startup-Gründer ferner, als sich in einem Verein zu organisieren. Aber genau das haben ein paar junge Gründer vor genau fünf Jahren getan: Sie schufen mit dem Bundesverband der Deutschen Startups e.V. ein Paradoxon – eine Interessensvertretung für eine damals von der Politik und der etablierten Wirtschaft kaum wahrgenommenen Unternehmer-Kaste, die aber auch mit „dem Establishment“ gar nichts zu tun haben wollte.

Die gegenseitige Ablehnung – oder sagen wir besser: Nicht-Kenntnisnahme – sollte sich schnell ändern – nicht nur dank des nimmermüden Einsatzes des Gründungsvorstands, dessen Mitglieder rund um Florian Nöll auch heute die Interessen der Gründerszene vertreten. Sondern auch, weil der Verband schnell auf eine repräsentative Anzahl von Mitgliedern anwuchs. Heute sind annähernd 700 Startups im Verband vereint – eine erstaunliche Marktabdeckung, die andere Branchenverbände auch nach Jahrzehnten nicht erreicht haben. Dabei setzen die Definitionen für ein Startup laut Satzung enge Grenzen: Das Geschäftsmodell muss beispielsweise skalierbar sein, und das Startup darf das fünfte Jahr nicht überschritten haben – danach gehört es zum wirtschaftlichen Establishment.

Neben dem Deutschen Startup-Monitor, dessen fünfte Auflage gerade in der Schlussredaktion ist und der Jahr für Jahr einen ziemlich präzisen Überblick über die Gründerszene in Deutschland gewährt, gehört die Formulierung der „Deutschen Startup Agenda“ zu den großen Standortbestimmungen des Verbands. Sie ist die Richtschnur, an der sich auch die Digitale Agenda der Bundesregierung immer wieder messen lassen kann und muss. Denn sie fordert nicht nur ganz allgemein mehr Gründergeist in deutschen Köpfen, sondern bezieht auch klar Stellung zu konkreten Themen rund um Besteuerung, Bürokratiefolgen, Wettbewerb, Datenschutz und Datensicherheit, sowie zur Netzpolitik. Es kommt nicht von Ungefähr, dass sich die Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (aber auch ihr Vorgänger im Amt, Sigmar Gabriel) eng mit den Themen des Startup-Verbands synchronisiert.

Ich selbst habe den Verband und seinen Vorsitzenden Florian Nöll im Gründungsjahr auf einer ersten Erkundungsreise mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler kennengelernt. Ziel war das Silicon Valley, das für viele Gründer in Deutschland unverändert Ort der Inspiration und der Irritation zugleich ist. Seitdem hat der Verband nicht nur weitere Reisen in das Tal der Möglichkeiten unternommen, sondern auch zum „Silicon Apple“ (New York) und nicht zuletzt nach Israel. Für viele Startups bedeuten diese Reisen die einzigartige Chance, in einer Frühphase der Gründung – im Startup-Sprech „Seed-Phase“ genannt – internationale Kontakte anzuknüpfen. Die Beziehungen zu Startups in Tel Aviv, aber auch in London, Brüssel, Paris und anderen europäischen Gründerzentren gehören zu den wichtigen Leistungen des Verbands.

Wie sehr das Paradoxon des Startup-Verbands – also der Vereinigung der Unvereinbaren – inzwischen an Reputation und Integration gewonnen hat, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass zahlreiche Unternehmen aus der Wirtschaft inzwischen als Fördermitglieder die Arbeit unterstützen. Ihre Motivation ist dabei durchaus von legitimem Eigeninteresse geprägt: Sie suchen den frühen Kontakt zu den aufstrebenden Gründern, die angetreten sind, die etablierten Branchen von Grund auf neu zu denken. Auch hierin besteht eine der großen Leistungen des Verbands: er bringt Startups und Mittelstand miteinander ins Gespräch. Und er unterstützt die „Startup-Labs“ und Acceleratoren der großen internationalen Konzerne bei der Sichtung ihrer Partner von morgen.

„Heute Startup – morgen Mittelstand“ – das ist der Grundtenor, in den Florian Nöll und ich die Gründerszene gestellt haben. Das Buch zeigt nicht nur die Gedankenwelt der Startup-Szene auf, sondern betont auch die wirtschaftliche Bedeutung der Gründer für den aktuellen Wirtschaftsstandort Deutschland. Eine Zahl mag dies verdeutlichen: im Durchschnitt schaffen Gründer 14 Arbeitsplätze! Aber Startups sind auch der Garant für einen auch morgen noch prosperierenden Wirtschaftsstandort Deutschland: Sie schaffen die Arbeitsplätze von morgen.

Happy Birthday Deutscher Startup-Verband, herzlichen Glückwunsch dir, lieber Florian, und deinem Team.

Übrigens: das Buch: „Heute Startup – morgen Mittelstand“ kann man hier bestellen.

 

 

 

Verbandskasten

Die Digitalisierung ist immer und überall! Sie betrifft alles und jeden. Weil sie überall greift und angreift, kann sich ihr niemand entziehen. Es gibt praktisch keinen Lebensbereich mehr, in dem man nicht irgendwie Stellung beziehen muss über das Ausmaß und die Wirkungsweise der Digitalisierung. Man konnte vor zwei Jahrhunderten völlig unbeeindruckt von der Dampfmaschine weiter leben, vor 100 Jahren auch ohne Elektrifizierung arbeiten, vor 50 Jahren auch ohne Großrechner erfolgreich sein oder vor 25 Jahren auch ohne das Internet am Weltgeschehen teilnehmen. Doch selbst wer heute auf Smartphone, Computer oder soziale Vernetzung verzichtet ist dennoch ein zumindest passiver Player in der digitalen Welt.

Wenn aber die Digitalisierung in die Zuständigkeit von jedem Einzelnen fällt, dann ergibt auch ein zentrales Ressort für die Digitalisierung keinen Sinn. Gerade weil die Digitalisierung Themen der inneren Sicherheit und juristische Implikationen nach sich zieht, weil sie einen Infrastrukturausbau verlangt und unser wirtschaftliches Gefüge berührt, gibt es in der jetzigen Bundesregierung gleich vier Ministerien, in denen die Digitalisierung beheimatet ist. Und eigentlich sollten es sogar viel mehr sein: die Veränderungen in der Arbeitswelt betreffen das Ministerium für Arbeit und Soziales, die geforderte Bildungsoffensive das Bildungsministerium, die Digitalisierung des Gesundheitswesens das Gesundheitsministerium und nicht zuletzt sind das Außen- und Verteidigungsministerium mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Außenbeziehungen befasst. Wie auch immer die neue Bundesregierung aussehen wird – die Digitalisierungsbranche bekommt es mit immer mehr Ansprechpartnern zu tun. Kein Wunder also, dass beispielsweise der IT-Verband Bitkom sich einen zentralen Ansprechpartner in der Politik wünscht und deshalb ein Digitalisierungsministerium fordert.

Aber ist der Bitkom, der sich selbst auch gerne als Hightech- oder Digitalverband titulieren lässt, denn noch selbst der alleinige oder zumindest dominierende Fürsprecher der Digitalisierungsbestrebungen? Anders als bei der Computerisierung geht die Digitalisierung heute nicht von einer Gruppe von Anbietern aus, sondern von den Anwendern, die überhaupt erst einmal eine Digitalstrategie mit Blick auf ihre Branche und ihre Geschäftsmodelle entwickeln müssen, ehe sie an die Umsetzung gehen können. So beschäftigen Versicherungen mehr Softwareentwickler als die meisten Softwarehäuser, weil ihr Produkt ganz wesentlich auf Berechnungsverfahren für Risiken und Margen beruht. Ein Maschinenbauer reichert sein Produkt durch Steuerungen und Sensoren an, ein Automobilbauer seine Modelle durch Fahrassistenzsysteme und Infotainment-Anlagen. Und auch die Gesundheitsdienstleister optimieren ihren Service durch elektronische Patientenakten, verbesserte Kommunikation und Big Data-Analysen. Und umgekehrt sind viele Startups von heute gar nicht so sehr mit der Entwicklung von Software befasst, als vielmehr mit der Digitalisierung und Umwälzung eines Geschäftsprozesses. Und so verwischt die Grenze zwischen Anbietern und Anwendern von Informationstechnik in dem Maße, in dem Software, Chips und Netz Bestandteil des Produktangebots werden. Jede Organisation, jede Branche ist ihr eigener digitaler Mittelpunkt, ihr eigener „Digital Hub“.

Ein Digitalverband mit Alleinvertretungsanspruch müsste also über das klassische Kastendenken hinausgehen und jeden digitalen Player in seine Reihen aufnehmen und in seine Lobbyarbeit einbeziehen. Das wäre das Ende des Spartenverbands und der Beginn eines „Bundesverbands der digitalen Industrie“. Aber den BDI gibt es schon. Er muss nicht noch einmal erfunden werden. Und es gibt auch die Digital Hubs schon, die auf Initiative des Bitkom auf dem Digital-Gipfel beschlossen und inzwischen an zahlreichen Standorten mit Branchenschwerpunkten umgesetzt worden sind. Unter der Führung eines Digitalverbands sind die Digital Hubs der Lösungsweg für eine generelle Vertretung digitaler Interessen, weil sie die vertikale Branchenausrichtung mit der horizontalen Sicht auf die Querschnittstechnologie Digitalisierung verbinden.

Das alles wird der neue Bitkom-Präsident Achim Berg in seiner Dokumentenmappe vorfinden, wenn er jetzt eine Woche nach seiner Wahl die Arbeit aufnimmt. Er muss das Profil des Verbands schärfen und gleichzeitig über die ganze Bandbreite der Digitalisierung ausweiten, ohne es aufzuweichen. Und da ist es durchaus ein Glücksfall, dass mit Achim Berg ein Mann an der Spitze des Bitkom steht, der mehrfach Schreibtisch, Branche und damit Perspektive gewechselt hat: von der Bürokommunikation über Telekommunikation zur Software und schließlich über die Dienstleistung zu Private Equity.

Dabei ist es auffällig, dass diese Selbstfindung im Bitkom durch die Repositionierung der CeBIT gespiegelt wird. Auch in Hannover gilt es, das Profil der Sparten-Messe für „Bürokommunikation, Informationsverarbeitung und Telekommunikation“ – dafür stand das CeBIT-Kürzel schließlich einmal – gegenüber der Industrie-Messe zu behaupten. Denn auch dort zeigt sich, dass die Digitalisierung das klassische Kastendenken aufgehoben hat und in jeder Halle und in jedem Außengelände zu besichtigen ist.

So lösen sich unter der Digitalisierung auch die klassischen Verbands-Kasten auf: die Automobilhersteller im VDA, die Maschinenbauer im VDMA, die Elektroniker im ZVEI, die Mittelständler im BVMW oder die eCommerce-Treibenden im eco und die Startups im BVDS – sie alle „machen in Digitalisierung“. So vielfältig die Ressortzuteilung in der Bundesregierung, so variantenreich ist die Interessensvertretung in den Verbänden. Ein Digitalverband muss die Partikularinteressen der einzelnen Verbands-Kasten bündeln, kanalisieren und steuern. Da wartet ein Berg an Arbeit.

 

Fürchtet Euch nicht

„Und ob ich schon wanderte im finsteren (Digi)Tal, fürchte ich kein Unglück.“ Es scheint, als sollte die Zeile aus dem 23. Psalm zu Beginn des Digital-Gipfels der Bundesregierung stehen. Denn zum Auftakt des ab morgen stattfindenden Spitzentreffens hagelt es mal wieder schlechte Umfragewerte – nicht für Politiker, sondern für die Deutschen im Allgemeinen.

Das schlechteste Zeugnis haben sie sich dabei selbst ausgestellt. Auf die Frage des Hightech-Verbands Bitkom nach der eigenen Digitalkompetenz haben sich die Deutschen über 14 ein mäßiges „ausreichend“ ausgestellt. Dabei sah die Rentnergeneration (ab 65 Jahre) sich „mangelhaft“ auf das Leben in Digitalien vorbereitet. Und selbst die jüngeren Jahrgänge (14-29 und 30-49) mochten ihre Kompetenzen lediglich als „befriedigend“ deuten.

Im Gegensatz zu früheren Meinungsäußerungen sind die Deutschen aber gegenüber der Informationstechnik nicht mehr rundweg ablehnend – es ist also ein weiter Weg seit der bundesweiten Verweigerung von Volksbefragungen und Internetzugängen. 77 Prozent der 14- bis 29jährigen gaben an, dass die Digitalisierung eine große Bedeutung in ihrem Leben hat. Bei den 20- bis 49jährigen ist dieser Zustimmungswert sogar noch höher: 82 Prozent. Aber drei von fünf Rentnern gaben an, dass die Digitalisierung keine Bedeutung für sie hat.

Das wächst sich aus – könnte man meinen. Doch das wäre nicht nur zynisch, sondern auch gefährlich. Denn die Diskrepanz zwischen Neigung und Kompetenz ist durchaus eklatant. Gerade weil die Digitalisierung eine so hohe Bedeutung in Gesellschaft, Wirtschaft und im Privatleben erreicht hat, sollte die Digitalkompetenz dringend ausgeweitet werden. Das beginnt in der Schule, wo der – wohlgemerkt: richtige – Umgang mit Computern und vernetzten Systemen schon früh nahegebracht werden sollte, setzt sich bei der Berufswahl und Berufsausbildung fort und schließt schließlich das berufliche Leben mit ein. Gerade bei mittelständischen Betrieben wird ja allgemein konstatiert, dass es an belastbaren Digitalstrategien fehlt.

Da ist es sinnvoll, wenn Bildungsministerin Johanna Wanka Milliarden in die Digitalausstattung der Schulen stecken und – als zweite Seite der Medaille – auch die Digitalkompetenz der Lehrer voranbringen will. Da ist es auch löblich, dass mit den Digital Hubs zwölf Standorte hervorgehoben werden, deren Kernkompetenz in „digital plus X“ – also beispielsweise Mobilität, Logistik oder Finanzwesen – weiter gestärkt werden sollen. In einer dieser Regionen mit ausgewiesener hohen Kompetenzdichte – der Region Rhein-Neckar im Länderdreieck Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – soll nun auch der Digital-Gipfel als Nachfolge-Event des nationalen IT-Gipfels tagen.

Dort werden aber in echter deutscher grüblerischer Manier Themen diskutiert, deren Fragestellung schon bange machen muss: „Verschlafen wir die Digitalisierung?“, „Verfügen wir über die neuesten Technologien?“, „Verfügen wir über die entscheidenden Kompetenzen?“, „Gelingt der Sprung von der Innovation zu Wachstum und Beschäftigung?“

„Ja, ja, ja und nochmals ja“, möchte man den Diskutanten zurufen – darunter das halbe Bundeskabinett, die Ministerpräsidenten der drei gastgebenden Länder und jede Menge Unternehmens-Vorstände. „Fürchtet euch nicht!“ Und vor allem: „Lasst das Lamentieren.“ Die Deutschen sind besser als der Ruf, den sie sich selber geben.

Einem Briten würde es auch nach Brexit und Wahlchaos nie in den Sinn kommen, sich selbst mangelnder Kompetenzen zu bezichtigen. Ein US-Amerikaner wird auch jetzt immer noch den Toast ausgeben: „Right or wrong, my country!“ Und in Frankreich singen Schüler spontan die Marseillaise, wenn sie sich über den Ausgang der Präsidentschaftswahl dort erleichtert zeigen. Die Deutschen, so scheint es, kennen nur die beiden Extreme – Sack und Asche oder Großmannssucht. Nur einen realistischen Blick auf uns selbst – das kriegen wir nicht hin.

Dabei ist die richtige Einschätzung der Notwendigkeiten ohne Panikmache und ohne Größenwahn die Herausforderung, die der Digital-Gipfel meistern muss. Es gilt, die richtigen Weichen richtig zu stellen und nach der Bundestagswahl darauf aufzubauen. Vier Leistungen fordert Bitkom-Präsident Thorsten Dirks im Vorfeld des Gipfeltreffen: eine grundsätzliche Neuausrichtung unseres Bildungssystems, eine konstante Datenpolitik, Ökosysteme der digitalen Transformation und die leistungsfähigste Infrastruktur. Das klingt ein wenig abstrakt, ist aber im Kern durchaus richtig – wenngleich erst die konkrete Umsetzung zeigen wird, ob der eingeschlagene Weg zukunftsweisend ist.

Ein Beispiel: In der aktuellen Debatte wird die Bildungsfrage gern auf die Aussage verkürzt, dass nur der erfolgreich sein kann, der zu programmieren versteht. Das ist Unsinn. Code ist nur eine Disziplin – und vielleicht nicht einmal die entscheidende. Wichtiger noch scheinen mir die Fähigkeit zu sein, andere Menschen zu verstehen, Geschäftsideen zu entwickeln, technische und kulturelle Zusammenhänge zu begreifen und zu wissen, wie man im Wirtschaftsleben agiert. Das sind die Fähigkeiten, die vor der Gründung eines erfolgreichen Startups stehen. Wer weiß, was zu tun ist, findet auch Partner, die es tun. Dazu braucht man Kreativität, Mut und Verantwortungsbewusstsein. Deshalb: „Fürchtet Euch nicht!“