30 Jahre lang war die CeBIT das Vorspiel zur Hannover-Messe Industrie – ab dem kommenden Jahr wird sie das Nachspiel sein: im Juni. Genau genommen wird sie aber gar keine Messe mehr im klassischen Stil sein, sondern als Event mit Shows, Konferenzen, Konzerten, Freiluftprogrammen, Talkrunden und viel Publikum aufgeführt. In einer hippen, smarten, vernetzten, verteilten und teilenden Gesellschaft ist das wahrscheinlich genau das richtige Format für das angesagteste Thema dieser Welt: die Digitalisierung.
In der Tat dürften die Zeiten vorbei sein, in denen ausschließlich krawattengeschmückte Herren im kleinen Grauen sich um Monitore scharen, um sich die Eigenschaften von Software und Services anhand von gut durchdachten Geschäftsprozessen demonstrieren zu lassen. Die Digitalisierung ist in ihren Auswirkungen viel weniger abstrakt, als es die klassischen Systeme der Bürokommunikation und Unternehmensführung stets waren. Die traditionellen Präsentationsmethoden aber haben sich überlebt – sie schaffen eine surreale Atmosphäre, deren Sterilität nichts mit dem wirklichen Leben verbindet. Der jetzt geplante Event-Charakter dürfte da viel mehr Lebensnähe vermitteln. Schon heute sieht man auf dem Außengelände der CeBIT Ansätze für mehr Realitätsbezug: Drohnen fliegen und autonom fahrende Shuttle rollen über die Messestraßen.
Im Sommer des kommenden Jahres soll dann das Freigelände noch intensiver genutzt werden, um die Digitalisierung des gesellschaftlichen Lebens in allen seinen Facetten erfahrbar und erlebbar zu machen. Wir können damit rechnen, dass die Autobauer die Chance nutzen werden, ihre „Auto-Autos“ im wirklichkeitsnahen Umfeld zu präsentieren. Und auch erste Ein-Mann-Copter werden mehr Platz brauchen, um ihre Flugsicherheit zu demonstrieren. Weitere Präsentationen mit Event-Charakter sind denkbar: Smart Homes, vernetzte Städte, Licht- und Soundshows…
Ohnehin schwärmt jeder Hannoveraner vom Sommer 2000, als die Expo diese steife Landeshauptstadt in eine Weltstadt mit Flair verwandelt hatte. Die Deutsche Messe hat die Chance, dieses Gefühl Hannover und der Welt wieder zurückzugeben. Deshalb wird die CeBIT auch näher an das Expo-Gelände mit seiner Holzbühne als Mittelpunkt rücken.
Aber was geschieht mit dem Messeplatz, der jetzt im Vorfrühling frei wird? Es ist ein durchaus interessanter Timeslot für Messeplaner – wenn auch nicht unbedingt für die Digitalisierung. Die CeBIT hatte an dieser zeitlichen Position schon länger ihre Wirkung als Stimmungsmesse für das Jahr längst verloren. Nach der Computer Electronics Show in Las Vegas, dem Mobile World Congress in Barcelona und der SXSW in Austin, Texas war die CeBIT im Zeitverlauf auf einen undankbaren vierten Platz abgerutscht. Und da auch der Genfer Autosalon immer mehr digitale Themen aufgreift und zudem in München, Köln, Frankfurt und Berlin jede Menge Kleinmessen um digitale Spezialthemen vorgeschaltet werden, hatte die CeBIT ihre Singularität verloren.
Sie wird sie nicht dadurch zurückgewinnen, dass sie an einen anderen Standort im Jahr ausweicht. Aber sie hat die Chance, wieder zu alter Einzigartigkeit zurückzukehren, wenn es gelingt, die angedachten Event-Formate wirklich zum Leben zu erwecken. Freilich droht auch dort unliebsame Konkurrenz: So gehen die Betreiber von Freizeitparks, Kongresszentren und der Sportarenen immer häufiger hin und ergänzen ihren Veranstaltungskalender um messeähnliche Formate. Die Entscheidung der Deutschen Messe, hier völlig neu aufzusetzen und mit den drei Themenbereichen Tech, Talk und Economy alle Facetten abzugreifen, ist also auch der mutige Versuch, hier wieder an die Spitze der Bewegung zu gelangen. Zu diesem Mut muss man dem CeBIT-Chef Oliver Frese gratulieren – denn offensichtlich herrscht unter den Ausstellern nicht einmütige Freude über den Formatwechsel. Das kann nur der Erfolg ändern: „With a little help from my friends“ – so kann die CeBIT, ja muss sie das Woodstock der Digitalisierung werden. Dem Kultcharakter eines digitalen Festivals würde dann vielleicht noch nicht einmal Dauerregen schaden.