180820 Gates

Information At Your Fingertips

 

Es war ein unglaubliches Versprechen, das Microsoft-Gründer Bill Gates vor einem knappen Vierteljahrhundert in seiner Keynote auf der Computermesse Comdex in Las Vegas formulierte: Jeder erhält die Informationen, die er (oder sie oder es) benötigt, genau im richtigen Umfang zur richtigen Zeit und am richtigen Ort. „Information at your fingertips“ nannte er das. Dass er dabei vergaß, das Internet als notwendige Infrastruktur zu erwähnen, ist längst ein Treppenwitz der Geschichte. Aber selbst wenn er es erwähnt hätte, wären ihm andere Begriffe nicht in den Sinn gekommen, weil es sie vor 25 Jahren noch gar nicht gab: Cloud Computing, Mobile Computing, Internet of Things und Artificial Intelligence.

Erst diese vier lassen die Vision von damals Wirklichkeit werden. Dass inzwischen drei davon zu unserem Alltag gehören, zeigt, wie viel sich im letzten Vierteljahrhundert getan hat: Wikipedia statt Encyclopedia Britannica, Instagram statt Diashow, Facebook statt Tagebuch, Industrie 4.0 statt Massenware. Doch der flächendeckende Einsatz von künstlicher Intelligenz lässt weiter auf sich warten. Allgegenwärtig sind selbststeuernde Computer und Roboter in Zukunftsstudien und – je nach Vorurteilen – Utopien und Dystopien. Der Grund ist freilich einfach zu erkennen: Ohne Digitalisierung keine Daten, ohne Daten keine Analyse. Das dauert.

Dennoch füllen sich die Stellenausschreibungen mit neuen KI-orientierten Jobprofilen wie Data Scientist, Entwickler für Machine Learning oder KI-Beauftragte. 70.000 neue Jobs, so hat IBM jetzt ermittelt, werden im KI-Umfeld bis zum Jahr 2020 allein in den USA ausgeschrieben werden. Die meisten davon werden wohl kaum mit ausreichendem Skill aufgefüllt werden. Denn der Bedarf wird sich nach dieser Prognose jedes Jahr verdoppeln. Nur eine Jobkategorie im IT-Umfeld wächst noch schneller: Spezialisten für Cybersicherheit.

Tatsächlich ist die digitale Transformation erst mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz wirklich rund. Denn wenn jedes Gerät, jede Maschine und jede Ware im Unternehmen künftig in der Lage ist, Auskunft über Ziel und Zustand zu geben, braucht es eine Instanz, die aus diesen Daten Informationen generiert. Doch diese Instanz gibt es bislang noch nicht. Weder Unternehmenslösungen wie Enterprise Resource Planning oder Customer Relationship Management sind auf diese Herausforderung vorbereitet, noch sind es die Datenbanksysteme und Kommunikationsplattformen. Und auch die Visionäre sind Mangelware. „Information at your fingertips“ ist noch immer so weit entfernt, wie es vor 25 Jahren war.

Möglicherweise verbergen sich hinter KI genau jene Killeranwendungen, die der Digitalisierung erst zum Durchbruch verhelfen. Vorausschauende Wartung ist ein Beispiel, wie erst durch intelligente Auswertung der Daten monetarisierbarer Nutzen entsteht, die Automatisierung von Buchungsvorgängen in der Buchhaltung und im Controlling ein weiteres. Kommunikationsprozesse können durch Sprachassistenten standardisiert und systematisiert werden. Fertigungsprozesse werden weniger durch Roboter als vielmehr durch agile Steuerungssysteme revolutioniert.

Noch fehlt es in vielen Unternehmen an der Vorstellungskraft, eine Welt zu imaginieren, in der smarte Systeme Steuerungsaufgaben übernehmen. Insofern hätte der deutsche Mittelstand wieder einmal recht mit seiner zögerlichen Haltung gegenüber dem digitalen Wandel. Denn mittelständische Unternehmen, erst recht, wenn sie familiengeführt sind und auf langfristige Ziele setzen, investieren nicht in neue Technologien um der Innovation willen. Der Grenznutzen muss stimmen. Und Maschinen, die Daten produzieren, sind wertlos, solange niemand mit diesen Daten etwas anfangen kann. Doch allein die schiere Masse an Daten, die wir künftig erzeugen, verlangt nach neuen Analysemethoden auf der Basis künstlicher Intelligenz.

Deshalb führt die Frage, ob KI-Systeme eher Job-Killer oder eher Job-Creator sind, in die Irre. Denn ohne autonome, agile und selbststeuernde Systeme ist die digitalisierte Welt witzlos. Und erst dann werden wir das Vermächtnis von Bill Gates einlösen können: „Information at our fingertips“.

 

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