Ich habe gerade einen Blog darüber geschrieben, dass wir Deutschen uns durch unser Bräsigsein immer tiefer im digitalen Dschungel verheddern. Und kaum habe ich mich wieder beruhigt, da lese ich erstens, dass das 5G-Internet nicht an jeder Milchkanne nötig sei – obwohl doch genau das der Clou am Internet der Dinge ist. Und kaum habe ich mich davon erholt, muss ich erfahren, dass die CEBIT nun den Weg alles Irdischen gehen soll. Jetzt will ich mich aber nicht mehr beruhigen!
Doch bevor ich mich im besten Gernot-Hassknecht-Stil darüber aufrege, dass wir es wieder geschafft haben, eine IT-Ikone wie die CEBIT, immerhin einst Weltmesse der Informationswirtschaft, den anderen hervorragenden, aber ungenutzten IT-Erfindungen aus Deutschland hinterher zu werfen, möchte ich einer wichtigen Pflicht nachkommen:
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CEBIT; lieber Oliver Frese,
Euch möchte ich von ganzem Herzen danken für mehr als ein Vierteljahrhundert Dienst an Ausstellern und Besuchern, an Pressevertretern und Politikern. Ihr seid ein großartiges Team und habt etwas Besseres verdient als eine Beerdigung der CEBIT im Massengrab der versunkenen IT-Welten. Nach Orgatech in Köln und Systems in München wird nun der Sarg auch für die dritte, die schönste, die wichtigste und die erfolgreichste Computermesse aller Zeiten hinabgelassen. Geht nicht zur Gamescom, dem nächsten potentiellen Opfer, sondern findet einen ehrenwerten Platz auf der Industriemesse. Denn ohne IT ist die Industrie tot. Vielen Dank für viele tolle Gespräche, für hervorragenden Service und aufopferungsvolle Arbeit.
So. Aber jenen Messebeiräten, die über Jahre hinweg eine Veränderung der Messe in eine modernere, hippere Welt verhindert haben, die sich über Besucher mit Turnschuhen mokiert haben, die einen fairen Wettbewerb der CeBIT Home mit der IFA in Berlin verhindert haben und die CEBIT mit sinnlosem Köpfezählen kaputtgeredet haben – euch danke ich nicht.
Für viele war es schon zu viel, dass sich der IT-Mittelstand in den achtziger Jahren auf der CEBIT etabliert hatte, eine Entwicklung, die ich stets gefördert und gefordert habe. Mit Gemeinschaftsständen, mit denen Anpacker wie 1&1-Gründer Ralph Dommermuth in den neunziger Jahren ganze Hallen mit mittelständischen Softwarehäusern aus ganz Europa gefüllt hat, die schließlich auch von großen Anbietern wie IBM, Microsoft, SAP oder Deutsche Telekom kopiert wurden, ist die CEBIT groß und größer geworden.
Hier wurde der PC geboren und lockte nicht mehr nur die IT-Nieten in Nadelstreifen aus ihren RZs, sondern die Turnschuhträger, die in den neunziger Jahren eine völlig neue IT-Industrie schufen. Hier hätte auch das Internet gefeiert werden sollen, das eine komplette Digitalwirtschaft geboren hat. Aber für die Gründer der Startup-Szene und die Hippster von heute war die CEBIT bereits zu angestaubt. Angestaubt, weil sie auch von denen vernachlässigt wurde, die sich gegen eine Veränderung stemmten: Das Internet der Dinge wurde verdaddelt, weil dafür die Industriemesse auserkoren wurde. Für künstliche Intelligenz stirbt die CEBIT zu früh. Diese Messe hatte nicht einmal eine Chance.
Sie wurde nur noch palliativ behandelt mit einem letzten „Schöner-Sterben“-Versuch im Sommer. Es scheint, als hätte ein Arzt eine Langzeittherapie nach den ersten Dosen Frischzellen abgebrochen, weil ihm der Mut fehlte für eine vielleicht riskante Operation. Dem Patienten wurden die lebenserhaltenen Apparate abgeschaltet – ohne in die Patientenverfügung zu schauen. Die Messe wurde einfach aufgegeben und wirkt damit wie ein Symbol für die Saft- und Kraftlosigkeit der Deutschen beim Umgang mit dem digitalen Wandel.
Dies ist gottseidank nur ein Nachruf auf die CEBIT. Aber wenn wir so weitermachen, werden wir auch einen Nachruf auf den IT-Standort Deutschland schreiben müssen.
Ruhe nicht in Frieden, liebe CEBIT.
Lieber Heinz-Paul, danke für diesen treffsicher Beitrag und insbesondere dem Dank an all jene, die Jahr für Jahr die CeBIT ermöglicht haben. Ich habe gestern an jene wenige in Hannover geschrieben, zu denen ich noch im freundschaftlichen Kontakt stehe. Gruß Michael
Lieber Herr Bonn,
Sie haben es wieder einmal perfekt auf den Punkt gebracht: ein totales Versagen der Ewig-Gestrigen
und Besserwisser, nichtzuletzt auch der Politik.
Gerade Politiker, die von der IT so viel Ahnung haben wie die berühmte Kuh vom Radfahren, betonen bei allen Gelegenheiten, wie wichtig in einer globalen Welt die Digitalisierung sei.
Seit Jahren trompeten diese Herrschaften ihre
Phrasen und Unverbindlichkeiten in die Welt –
und setzen sich danach wieder auf ihre warmen Sessel. Anpacken? Entscheiden? Umsetzen?
Um Gotteswillen, man könnte ja etwas falsch machen und wer weiß, was in der nächsten Legislaturperiode mit dem eigenen warmen Sessel passiert. Lieber Sprüche klopfen, den Standort Deutschland preisen und dabei ein wichtiges Gesicht machen.
Na dann, liebe CEBIT, Du warst informativ, kreativ,
ein Leuchtfeuer in der deutschen IT-Welt – aber
Du passt nicht mehr zu einem Land der
Bräsigkeit, Ängstlichkeit und Verzagtheit.
Vielleicht fliegt deine Seele in die USA oder nach Indien oder nach China – im Land der „Dichter und Denker“ ist jedenfalls kein Platz mehr für dich.
Sei nicht traurig, liebe CEBIT, einen besseren Platz als im Land der Zögerlichen und Mutlosen findet sich in der Welt allemal.
Und Deutschland? Schläft einfach weiter und wundert sich eines Tages, wie das alles passieren konnte.
Lieber H.-P. Bonn,
vielen lieben Dank für diesen Beitrag. Ergänzend wäre noch darauf hinzuweisen, dass die großen Erfolge der CeBIT ohne hochgradig engagierte echte Freunde, zu denen ich Sie zuallererst zähle, reine Phantasie geblieben wären.
Mit auf diejenigen, denen Sie nicht danken, es tut etwas weh, nach der Absage miterleben zu müssen, dass nun einigen Wortführern klar wird, was sie mit ihrem dummen Gequatsche vernichtet haben.
Lieben Gruß
Ihr
Sven Prüser 🙂
Lieber H.-P. Bonn,
vielen Dank für diesen netten Nachruf.
Irgendwie können wir es immer noch nicht glauben. Gerade jetzt, wo die Digitalisierung erst so richtig beginnt und wo sich Welten grundsätzlich verändern, hätte es einer Messe bedurft, die ganzheitlich und modern mit dem Thema umgeht – einer CEBIT eben. Wie oft haben wir versucht, am Beginn solcher Veränderungen, die betreffenden Branchen zusammen zu bringen. Man erinnere sich an die CeBIT 2011 mit dem CeBIT life Konzept. Hier schafften wir eine Plattform auf der sich Industrien und Anwender der Bereiche Smart Home, Web & Media, CeBIT sounds und anderen treffen konnten, um gemeinsam Strategien für die Zukunft und die damit kommenden Veränderungen zu entwickeln. Leider wurden viele unserer Angebot nicht so angenommen, wie erwartet. Das ist schade. Und für mich und meine Kollegen/innen unbegreiflich.
Ihre Martina Clausen
Lieber Herr Bonn,
danke für Ihren äußerst emotionalen Beitrag. Ich habe ihn direkt in meinen Blogs auf Twitter und Facebook gepostet.
Schon im Gründungsjahr 1986 war ich in Halle 1 auf dem futuristischen „Enterprisestand“ meines damaligen Arbeitgebers 3M aktiv. Ich hatte gerade mein Studium erfolgreich beendet.
Überschattet war die Messe mit dem tragischen Tod von Heinz Nixdorf, einem, wenn nicht dem deutschen IT Pionier. 7 weitere erfolgreiche und spannende Jahre folgten. Danach habe ich die Entwicklung der Cebit aus den USA, von der anderen Seite, als Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, beobachten dürfen. Ich weiss noch wie die COMDEX Macher immer wieder neidisch nach Hannover geschaut haben, um von uns zu lernen. Man hatte immer das Gefühl, die Cebit war für alle anderen IT- und Kommunikationsmessen weltweit Inspiration und Impuls zugleich.
Ab dem Jahr 2004 hatte ich dann bis 2018 Cebit Pause. Ich weiss garnicht wie ich das geschafft habe:-).
Dieses Jahr, mit der neuen Cebit, kam es dann zur Umsetzung meiner Vision der Kommune.Digital. Wir waren gerade gegründet und hatten den Mut, als kleines StartUp, einen 350m² Stand organisieren. Wo? Natürlich in der Behördenhalle 14 auf der neuen Cebit18. Alle schauten auf uns! Wir haben es nie bereut. Denn wir haben es mit unserem Konzept geschafft die Aufmerksam des traditionellen Behördenapparats auf uns zu lenken. Unser Partnerkonzept ist voll aufgegangen. Bei uns auf dem Stand war immer „Halligalli“! Jeden Tag waren hunderte von Behördenentscheider aus Kommunal-Deutschland auf unserem Stand und informierten sich in 35 Vorträgen und an den Partnerständen über die Möglichkeiten der ganzheitlichen, kommunalen Digitalisierung.
Wir waren nun bereits in intensiven Planungen für die Cebit2019. 18 Partnerstände und 38 Vorträge, sowie unser erfolgreicher Smart City Wettbewerb „Impulse. Digital“ sollten, wie in diesem Jahr, für eines der Highlights der Cebit19 sorgen.
Und jetzt das! Unsere Mit- und Mutmacher, wir alle, sind sprachlos und enttäuscht.
Michael Hoppe
Lieber Herr Bonn,
endlich mal ein etwas anderer Beitrag zur Absage der CEBIT. Ein Beitrag der daran erinnert, was die CEBIT viele Jahre für die IT-Branche und natürlich auch für Deutschland war; dafür vielen Dank!
Bleibt zu hoffen, dass all die langjährigen Nörgler und Kritiker, die heute – für mich mehr scheinheilig als glaubwürdig – der CEBIT nachtrauern, Ihren Blog lesen und sich „ertappt“ fühlen. Man kann nun lange darüber sinnieren, ob die CEBIT eine Überlebenschance gehabt hätte. Dass aber nur 1 Jahr nicht ausreichen kann, eine so umfangreiche Transformation – bislang sicher einzigartig in der Messelandschaft – erfolgreich zu etablieren, das zumindest dürfte Konsens sein. Dafür jedoch hätten ALLE an einem Strang ziehen müssen, die Branchengrößen der IT, der Mittelstand und natürlich auch die Politik.
Dass der IT-Standort Deutschland, das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover eine große Marke und eine gewichtige Plattform für die Diskussion der Digitalisierung verloren hat, das bleibt unbestritten. Wie so oft merkt man erst was fehlt, wenn man es verloren hat . . .
Doris Petersen