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Schneller als der Markt

 

Wenn von Hidden Champions die Rede ist, geht die Suche nach Beispielen meist vom Maschinenbau aus, setzt sich im Apparatebau und in der Automobilzulieferindustrie fort oder wird beim Werkzeugbau fündig. Dass es ausgerechnet im IT-Bereich deutsche Hidden Champions mit Bedeutung auf dem Weltmarkt gibt, kann man dagegen erst erkennen, wenn man mehr als einen flüchtigen Blick an SAP und SAG vorbei auf die Softwareszene wirft: dann sieht man ein gutes Hundert Softwarehäuser mit internationalen Niederlassungen und Tausenden Kunden, das bevorzugt ERP-Lösungen für ausgewählte Branchen bei kleinen und mittleren Unternehmen installiert.

Die abas Software AG ist so ein Anbieter, der mit 450 Mitarbeitern und 27 Niederlassungen 4000 Kunden weltweit bedient. Jetzt wird das Unternehmen durch die Forterro Group, einem weitgehend unbekannten Zusammenschluss mehrerer europäischer Softwarehäuser übernommen. Und den Statements, die bei solchen Anlässen die Zufriedenheit der CEOs auf beiden Seiten des Deals zum Ausdruck bringen soll, lässt sich entnehmen, dass abas trotz der massiven Produktneuheiten der letzten Monate mit dem Tempo der Innovationen, die sich durch Digitalisierung, Cloud-Computing und dem Internet der Dinge bei Kunden ereignen, nicht mehr aus eigener Kraft mithalten kann. Der Markt wächst so schnell, dass – wieder einmal – eine Konsolidierungswelle unter den Anbietern anrollt. Sie macht auch vor den Größten nicht halt, wie die beschlossene Partnerschaft zwischen den ehemaligen Erzrivalen Microsoft und Oracle zeigt.

Oracle ist nur ein Beispiel für die vielen Partnerschaften, die Microsoft in den vergangenen Wochen geschlossen hat: SAP, Sony, Dell EMC, NVIDIA, ja sogar Apple sind auf der Anbieterseite plötzlich Partner. Und große Kunden wie Volkswagen, BMW, Airbus oder Vattenfall schmieden mit ihrem Technologieanbieter Partnerschaften zur Entwicklung völlig neuer Cloud-Anwendungen und Geschäftsmodelle. Mehr dazu lesen Sie im aktuellen Blog Reise durch die Intelligent Cloud von Microsoft Director Oliver Gürtler. Er sieht nicht nur einen klaren Migrationspfad der Anwendungen in die Cloud – er erwartet auch einen wachsenden Bedarf an modernisierten, ja völlig neu konzipierten Unternehmensanwendungen. Auf die Migration folgt die Transformation.

Knapp zehn Milliarden Dollar werden in diesem Jahr für Application Transformation ausgegeben. In fünf Jahren soll dieser Markt ein Volumen von mehr als 16 Milliarden Dollar angenommen haben. Bemerkenswert ist dabei, dass die Wachstumsrate bei kleinen und mittleren Anwendern höher ist als der Durchschnitt. Sprich: hier ist der Bedarf – wenn nicht sogar Nachholbedarf – nach Runderneuerung am größten. Kleine und mittlere Unternehmen müssen (zusammengenommen) mehr investieren als der Markt, weil sie sonst mit der Geschwindigkeit des Marktes nicht mehr mithalten können.

Keine Branche ist davon ausgenommen. Doch während – wieder einmal – alle Welt auf den Automobil- und Maschinenbau schaut, dürfte es vor allem der Dienstleistungsbereich im Gesundheitswesen sein, der unter der Cloud explodiert. Kein Wunder: agile Formen des Personalmanagements, bessere Durchgängigkeit der Patienteninformationen zwischen den Akteuren des Gesundheitswesens, schnellere und genauere Diagnose und Therapieplanung, intensivierte Patientenversorgung im Krankenhaus und ambulant – alle diese Tätigkeitsfelder sind derzeit – wenn überhaupt – nur durch Insellösungen versorgt.

Angesichts dieser Marktexplosion gibt es nur zwei Strategien: Spezialisierung auf enge Anwendungsbereiche für die Cloud oder die Bereitstellung der technologischen Plattform für die Cloud. Und genau das ist die Chance für die Hidden Champions. Partnerschaften, die unter der Cloud geschlossen werden, führen zu einer Kombination aus vertikaler Anwendung und horizontaler Technologie. Allen voran haben Amazon mit AWS und Microsoft mit Azure diese Mechanismen der Plattform-Ökonomie verstanden und sammeln Champions um sich herum. Wer schneller sein will als der Markt, muss auch schneller sein als der Wettbewerb bei Partnerschaften und Übernahmen. Wachstum aus eigener Kraft wäre in jedem Fall zu langsam.

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