„Wir pumpen Milliarden in die KI-Förderung und entziehen ihr hinten ihre wichtigste Ressource: Daten.“ Bitkom-Präsident Achim Berg brachte die Schizophrenie in der deutschen Technologiepolitik bei seiner Keynote am Digitalgipfel in Dortmund auf den Punkt: „Zu oft reißen wir hinten wieder ein, was wir vorne mühsam aufbauen.“
Die Diagnose ist kein Einzelfall, betonte Berg, der zahllose Beispiele für die mangelnde Konsequenz nannte:
- Wir stecken fünf Milliarden Euro in die Digitalisierung der Schulen, verbieten aber den Einsatz von Smartphones im Unterricht.
- Wir wollen Glasfaser in jedem Haus, untersagen aber vielerorts das Microtrenching – also das Auffräsen des Bodens für einen Kabelkanal.
- Wir wollen flächendeckend Mobilfunk, warten aber aus rund 1000 Genehmigungsverfahren wegen örtlicher Einsprüche.
- Wir starten eine Gaia-X und treiben gleichzeitig Rechenzentren durch Europas höchste Energiepreise aus dem Land.
Damit steht die „deutsche Cloud“, die unter dem Namen Gaia-X mit großem Aufwand auf dem Digitalgipfel angekündigt wurde, schon von Anfang an auf der Liste der bedrohten Vorzeigeprojekte. Es ist fast nicht zu glauben, aber während der Bitkom fordert, Deutschland solle „digital by default“ sein, also als „Werkseinstellung“, weisen die Beispiele doch eher auf „Dilettantismus by Default“ hin. Und schon geht es auch bei Gaia-X, dem noch etwas diffusen Konzept für eine datensichere Cloud, in leider bewährter Manier los.
Kaum hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier das Konzept in Dortmund präsentiert und die großen Hyperscaler wie Amazon oder Microsoft eingeladen, an diesem Projekt mitzuwirken, da meldete sich auch schon die deutsche Microsoft-Geschäftsführerin Sabine Bendiek zu Wort und erklärte, warum Gaia-X scheitern werde. Die Daten-Cloud behindere technischen Fortschritt eher, als dass er beflügelt werde. Die Entwicklung dauere mindestens sechs Jahre – und bis dahin sei der Cloud-Zug längst abgefahren. Und nicht zuletzt: das gemeinsame Projekt von Microsoft und der Deutschen Telekom für eine deutsche Cloud sei unter anderem daran gescheitert, dass Anwender zwar den Ansatz „superspannend“ fanden, ihn aber in ihre globale Ausrichtung nicht einpassen konnten.
Das Globalisierungsproblem könnte sich nun erneut stellen. Dabei schwebt Peter Altmaier mit Gaia-X weniger eine Konkurrenz zu den bisherigen Cloud-Providern vor als vielmehr ein technisches und rechtliches Regelwerk für die Speicherung von Daten, damit, wie er blumig formulierte, „aus vielen Datenteichen ein Datenozean“ von europäischem Zuschnitt entstehen könne. Denn, so die Überzeugung des Bundeswirtschaftsministers, wenn mehr Unternehmen im gesicherten Raum Daten untereinander austauschen können, dann haben auch Anwendungen wie künstliche Intelligenz, die auf große Datenvolumina aufbauen, mehr Nutzenpotentiale.
Gaia-X soll also den Weg in die „Vereinigten Daten von Europa“ weisen. Man wird sehen, wie das gehen soll. Denn eine der wichtigsten Herausforderungen bei der weltweiten Vernetzung von Daten sind immer noch die logischen und technischen Methoden, mit denen Daten normalisiert und abgespeichert werden. Und sollte die Herausforderung der unterschiedlichen Formate zu lösen sein, bleiben immer noch die Ressentiments der mittelständischen Anwender. Sie vertrauen schon jetzt ihre kritischen Informationen nur ungern einer Cloud an – geschweige denn anderen Unternehmen.
Doch geben wir Gaia-X eine Chance! Dass von Anfang an mittelständische Anwender wie beispielsweise der Werkzeugmaschinenhersteller Festo an der Konzeption von Gaia-X beteiligt sind, lässt auf einen pragmatischen Ansatz hoffen. Die „Vereinigten Daten von Europa“ wären jedenfalls ein Schritt zur angestrebten „digitalen Souveränität“ bei Hardware, Software und Daten. Wir sollten nur nicht wieder „hinten“ einreißen, was wir „vorne“ mühsam aufbauen.
Dass Peter Altmaiers Start in den Digitalgipfel mit einem Sturz endete, muss nicht als böses Omen gewertet werden. Ihm und dem Projekt Gaia-X wünschen wir gute Besserung.