Deutschland hat einen traditionellen Ruf als Servicewüste. Das Wort hat der Wirtschaftswissenschaftler Hermann Simon vor einem knappen Vierteljahrhundert in einem Beitrag für den Spiegel geprägt, als er vor allem die Tatsache bemängelte, dass viele Unternehmen es nach dem Verkauf eines Produkts an Kundenorientierung fehlen lassen. Noch immer ist Service nicht nur eine Frage der Einstellung, sondern vor allem eine Frage der Profitabilität. Doch heute gibt es zumindest eine technische Infrastruktur, mit der Service-Orientierung profitabel gestaltet werden kann – wenn die Einstellung stimmt.
Denn es ist inzwischen nahezu selbstverständlich, dass Produkte ihren eigenen Internet-basierten Service nach sich ziehen. Sie offerieren Abo-Services für Verbrauchsgüter, Instandhaltungs-Services bei Fehlern, Beratungsdienste bei Anwenderfragen, Informationsdienste für vernetzte Dinge. – Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Während cloud-basierte Geschäftsmodelle längst das Service-Umfeld von Hardware-Produkten revolutioniert haben, ziehen erst allmählich die Software- und Systemhäuser nach. Der Grund: Sie galten mit ihrem Beratungs- und Betreuungsansatz lange Zeit als blühende Oasen in der Service-Wüste. Doch erst allmählich gelingt ihnen beim Consulting der Strukturwandel vom Handlungsreisenden zum Cloud-Service.
Denn lange – möglicherweise zu lange – hat das klassische Geschäftsmodell funktioniert, bei dem ein Systembetreuer vor Ort die IT-Belange des Kunden bedient und möglichst gleich mit Nachfolgeaufträgen zurückkehrt. Während die großen Systemhäuser noch immer in Hundertschaften an Beratern kostenpflichtig bei Konzernkunden aufschlagen und für ein halbes Jahr ganze Gebäudetrakte okkupieren, stehen die persönlichen Betreuer von mittelständischen Anbietern ihren Kunden praktisch rund um die Uhr zu Verfügung, lesen ihnen jeden Dienstleistungswunsch von den Lippen ab und gehören irgendwann praktisch zum Inventar. Beide Geschäftsmodelle gehören angesichts von Cloud-Services allmählich der Vergangenheit an.
Denn Releasewechsel, Software-Updates, Individualanpassung oder Netzwerk-Management erfolgt immer zuverlässiger über Cloud-Services, die größtenteils automatisiert von den Hyperscalern wie Amazon, Microsoft, IBM oder Deutsche Telekom offeriert werden. Diese Dienstleistungen – und nicht unbedingt die mutmaßlichen Kostenvorteile durch die Verlagerung der IT von onPremises in die Cloud – liefern die Motivation für viele Anwender, ihre Infrastruktur auszulagern. In der Folge verlieren klassische Software- und Systemhäuser wichtige Umsatzpotentiale im Service-Bereich, wenn sie nicht selbst auf Managed Services und IT-Monitoring umschalten.
Dabei müssen sie nicht einmal selbst in den kostspieligen Aufbau von eigenen Cloud-Infrastrukturen investieren. Vielmehr gehört es zu den Geschäftsmodellen der Hyperscaler, die Services von Dritten auf ihren Plattformen zu unterstützen. Zwei Beispiele: Von Auto1 bis Zalando hat sich der größere Teil der aktuellen Startups für Amazon Web Services als Plattform entschieden – und darauf seine Service-Angebote aufgebaut. Umgekehrt präferiert der größere Teil der CIOs jüngsten Umfragen zufolge Microsoft Azure als Plattform für die eigene Digitalstrategie. Die blühenden Oasen in der Service-Wüste liegen längst unter der Cloud.
Denn Amazon, Microsoft und andere wollen vor allem ihre Plattformen verkaufen. Das Geschäft mit den Services überlassen sie schon aus Renditegründen lieber ihren Partnern. Das ist für Software- und Systemhäuser durchaus lukrativ – denn allein Microsoft generiert 90 Prozent seines Umsatzes über Partner, von denen sich die Cloud-orientierten Dienstleister der größeren Rendite und des größeren Umsatzwachstums erfreuen können. Über kurz oder lang werden sich die Hyperscaler auf Plattformen für globale Anbieter und ganze Industrien zurückziehen, während das Geschäft mit dem Individualkunden wieder zum Software- und Systemhaus-Partner zurückkehrt. Ganz allmählich reduziert Microsoft beispielsweise sein direktes Engagement im Small and Medium Business Segment und überlässt das Lösungsgeschäft lieber neuen Azure-orientierten Lösungshäusern. Und Amazon setzt mit seinen Web Services weiter auf die Dynamik der Startups, die sich ihre Services selbst bauen.
Damit wiederholt sich eine Entwicklung, die sich bereits zum Ende der Mainframe-Ära und am Ende der Midrange-Systeme abzeichnete: Hardware-Marktführer wie IBM haben sich aus dem Lösungsgeschäft zurückgezogen, um sich auf die eigenen Plattformen zu konzentrieren. Die Kundenbetreuung überließen sie den Software- und Systemhäusern. Die müssen jetzt ganz einfach die Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Die blühenden Oasen liegen jetzt unter der Cloud.