200202 Ginni

Irren Bleibt Menschlich

Was hat ein CEO zu erwarten, der über Jahre hinweg schrumpfende Umsätze zu verantworten hat? Nun, IBMs Chefin Virginia „Ginni“ Rometty hat sage und schreibe 22 Vierteljahresberichte mit „Negativwachstum“ nicht nur überlebt, sondern – nach einer kurzen Erholungsphase – noch einmal weitere sechs aufeinanderfolgende Quartale mit einem Umsatz-Minus verantwortet. Erst im zurückliegenden Drei-Monats-Zeitraum kam ein kleines Plus von einem Promille heraus. Jetzt erklärte die 62jährige ihre Mission bei IBM für beendet. Sie wird am 6. April den Chefsessel räumen und noch bis zum Jahresende beratend den Turnaround des IT-Methusalems begleiten.

Es klingt nach einer ziemlich schrägen Manager-Karriere. Doch Ginni Rometty hat eine Ära bei IBM geprägt, die von einem beispiellosen Turnaround gekennzeichnet ist. Sie steht damit in der Ahnenreihe des IT-Konzerns auf Augenhöhe mit Louis Gerstner Jr. der von 1993 bis 2002 einen dramatischen Konzernumbau zu einem modernen, serviceorientierten Unternehmen schaffte. Damals, als Nachfolger des glücklosen John F. Akers, musste Gerstner die ausschließliche Ausrichtung auf Mainframes ausgleichen. Ab 2012, als Nachfolgerin von Sam Palmisano, hat Ginni Rometty den Wandel zu einer cloud-orientierten Service-Firma eingeleitet. Palmisano, der 2005 das PC-Geschäft an Lenovo veräußert hatte, gelang der Schwenk zur Software- und Service-Company nur unvollständig, sodass bereits damals der Umsatz stagnierte. Ginni Rometty startete unter anderem einen Totalumbau des Vertriebs. Ihr Werk wird jetzt Arvind Krishna, der bislang das Cloud-Geschäft verantwortete, fortführen. Dass dabei weiterhin der Schwerpunkt auf die Cloud gelegt werden wird, ist eine sichere Prognose.

Arvind Krishna gilt als Architekt des größten Deals in der Ära Rometty: für 34 Milliarden Dollar übernahm IBM im Oktober 2018 den Anbieter für Open-Source-Lösungen, Red Hat. Die Übernahme, die im Sommer 2019 abgeschlossen wurde und jetzt offensichtlich erstmals auch positive Wirkung auf die Quartalsergebnisse zeitigte, gilt als ein couragierter Schritt ins Freie. Es war der spektakulärste von Ginni Romettys insgesamt 65 Firmenkäufen in acht Jahren. Nun rückt Red Hat´s CEO James Whitehurst als IBM President nach. Damit stehen die beiden renommiertesten Cloudianer bei IBM dem Unternehmen künftig vor.

Tatsächlich müsste IBM im Cloud-Geschäft eine beispiellose Aufholjagd starten, wenn „Big Blue“ noch zu den führenden Hyperscalern im Cloud-Business – Amazon und Microsoft – aufholen sollte. Gerade eben hat Microsoft einen 62prozentigen Umsatzzuwachs seiner Cloud-Plattform Azure bekanntgegeben, und damit den Abstand zum Cloud-Primus Amazon, dessen Geschäft mit Amazon Web Services im letzten Quartal um 31 Prozent stieg, erneut verkürzt. Selbst der abgeschlagene Dritte, Google, liegt noch weit vor IBM. Alle drei – Microsoft, Google und seit wenigen Tagen auch Amazon – haben eine Marktkapitalisierung von mehr als 1000 Milliarden Dollar erreicht. Der Vierte im Bunde ist Apple. Von solchen Zahlen ist IBM Lichtjahre entfernt.

Deshalb kann die ausschließliche Verlagerung auf das Cloud-Business bei IBM auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Unter Ginni Rometty investierte IBM massiv in die Entwicklung von künstlicher Intelligenz – allen voran mit dem Flaggschiff-Produkt Watson, das in 20 unterschiedlichen Industrien neue Chancen eröffnen soll. Doch zuletzt mussten die Watson-Projekte – zum Beispiel im Gesundheitswesen, bei Banken und Versicherungen, in der Energiewirtschaft und in der Landwirtschaft – zurückstecken, weil die angekündigten Erkenntnisziele nicht erreicht wurden.

Doch KI wird auch weiterhin ein Forschungs- und Umsatzschwerpunkt für Arvind Krishna sein. Hinzu kommen Zukunftstechnologien wie Blockchain und Quantencomputing. In den IBM Forschungslabors wird hart daran gearbeitet, dass mit künstlicher Intelligenz und Computer-Services aus der Cloud ganze Lebensbereiche umgewandelt werden. So arbeitet IBM an der gesamten Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft vom Acker bis zum Regal, wo durch KI und Computereinsatz Ressourcen geschont, Krankheiten ausgeschlossen und insgesamt Fehler vermieden werden. Auch künftig soll das Kürzel IBM bedeuten: Irren bleibt menschlich.

 

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