Startups gelten in der Regel als Gradmesser für den Innovationsstandort Deutschland. Erst kürzlich hat die Ampelkoalition dazu ihr zentrales Strategiepapier vorgelegt, nach dem die Bundesregierung unter anderem ein sich selbst verstärkendes Ökosystem für Gründerinnen und Gründer schaffen will und nicht zuletzt zehn Milliarden Euro in einem für Jungunternehmen ausgelegten Fördertopf der Kreditanstalt für Wiederaufbau bereitstellen will. Ob damit die Zahl der Startup-Gründungen im Jahr endlich einmal über die 3000er-Marke steigt, bleibt fraglich. Denn auch wenn die Bedingungen stimmen, fehlt oft der Mut zum Risiko, wie eine McKinsey-Studie zeigt. Die Deutschen, so heißt es lapidar, sind generell einfach eher risikoavers.
Das war mal anders – sonst gäbe es nicht die Abertausend traditionsreichen Familienunternehmen, die das Rückgrat des Mittelstands bilden. Allerdings: der Median für die Gründungsjahre der rund 30.000 mittelständischen Unternehmen im Familienbesitz liegt ungefähr bei 40, sprich: die Hälfte der Firmen ist jünger als 40 Jahre. Es brauchte also vier Jahrzehnte, um in Deutschland die Hälfte der Familienunternehmen ins Leben zu rufen. Die Zeit wäre kürzer, der Median also kleiner, würde in Deutschland eifriger gegründet.
Man könnte die hohe Zahl der offensichtlich in Überlebensstrategien versierten Traditionsunternehmen auch so interpretieren: Deutschlands Unternehmensstruktur ist überaltert. Aber das würde den bemerkenswerten Überlebens- und Erneuerungswillen in den alten Gründerfamilien ignorieren. Es ist der Innovationsgeist des Mittelstands, der dazu beiträgt, dass sich Unternehmen immer wieder neu erfinden, inhaltlich verjüngen und dabei nachhaltig wachsen. Das liegt vor allem an den beiden Königsdisziplinen im deutschen Mittelstand: Produktinnovation und Prozessinnovation. Die erste zielt auf Wachstum, die zweite auf Effizienz. Beides sind die zentralen Überlebensstrategien im Mittelstand.
Doch das wird immer schwieriger, wie eine soeben vorgelegte Studie im Auftrag des Bundesverbands Merger and Acquisitions ergab: Denn nicht nur beklagen demnach die Unternehmer eine wachsende Komplexität im Handlungsumfeld, die sich sowohl auf gesetzliche Regularien, auf Branchenspezifika wie auch auf technische Herausforderungen bezieht. Viel stärker wiegt noch die Tatsache, dass nur jeder fünfte Unternehmer in der eignen Familie einen Nachfolger entdeckt, während nur ein Drittel der Unternehmen sich überhaupt planvoll auf eine mögliche Nachfolgeregelung vorbereitet sieht.
Auch hier zeigt sich: auch die Nachfolgegeneration bleibt risikoavers – trotz täglicher Berichte über ertragreiche Börsengänge, erfolgreiche Einhörner und der positiven Erfahrungen in der eigenen Unternehmerfamilie. Neben dem sattsam bekannten Fachkräftemangel manifestiert sich hier ein kritischer Führungskräftemangel. Gehen uns die Unternehmer aus?
Nun, es ist auch kein Zuckerschlecken, angesichts von explodierenden Energiekosten, galoppierenden Rohstoffpreisen, Qualifizierungsdefiziten und Bürokratieüberschuss ein Unternehmen zu gründen oder zu führen. Doch das war es während der Wirtschaftswunderjahre auch nicht. Und dennoch war damals die Stimmung besser als heute in den Zeiten von Kriegen, Klima, Kostenexplosion und sonstigen Krisen. Da helfen dann auch die Abertausend Absolventen für Betriebswirtschaft und Entrepreneurship nicht. Da helfen nur Zuversicht und Optimismus. Weil die fehlen, denken mehr und mehr Unternehmer ausweislich der M&A-Studie über Firmenverkäufe nach.
Da lässt sich durchaus gegensteuern und besteuern. So wie Startups-Gründungen nun mit Recht gefördert werden, müssen auch die Innovationsprogramme für den Mittelstand ebenso aufgestockt werden wie die Entlastungspakete für die wirtschaftliche Mitte. Und wer bei der Reform der Erbschaftssteuer gleich den Wutbegriff von der Reichensteuer im Munde führt, verkennt, dass es sich heute kaum noch jemand leisten kann, sein Unternehmen zu vererben, weil die nachfolgende Generation ihren Einstieg ins Unternehmertum unter einer hohen Steuerlast beginnt.
Wir brauchen eine Politik, die verhindert, dass uns die Unternehmer ausgehen. Sonst gehen auch noch die Lichter aus.