220905 Meseberg

Der Geist von Meseberg weht analog

Es gab den Geist von Spiez und den Geist von Malente, den Geist von Flug 401, den Geist des Weines, den Geist von Canterbury – und jetzt gibt es den Geist von Meseberg. Der weht – wie alle seine Vorgänger – eher analog. Und bei der jetzt vorgestellten Digitalstrategie, die der Autobahn-Minister Volker Wissing letzte Woche präsentierte, scheint die Ampel-Koalition sogar von allen guten Geistern verlassen zu sein. So wenig Digitales in einer Digitalstrategie war nie.

Dabei ist die Liste der Anekdoten, in denen der Amtsschimmel analog wiehert ellenlang: Zum Beispiel beim Online-Rezept, das in vielen Arztpraxen erst einmal ausgedruckt und abgeheftet werden muss, bevor es verarbeitet werden kann. Zum Beispiel beim Bau von Windkraftwerken, wo 15 Aktenordner mit zusammengenommen mehreren Zehntausend Seiten die  Voraussetzung für ihre Bewilligung darstellen. Zum Beispiel bei der Datenerhebung zur neuen Grundsteuer, bei der eigentlich im Bund alle Daten vorliegen, nur eben nicht digital, weshalb jetzt die Grundbesitzer alles zusammensuchen und erfassen sollen. Und wer stürzt dabei ab – natürlich der Elster-Server.

Wir sind auf dem Weg ins Digital noch lange nicht über den Berg. Aber wir sind angesichts der Krisen-Anhäufung in diesen Tagen bei praktisch nichts wirklich überm Berg. Weder bei Corona, noch beim Gas, bei der Inflation oder bei der wachsenden Kriegsangst. Um der Fairness halber sei gesagt: Niemand beneidet die Ampel-Koalitionäre derzeit um ihre Ministerposten. Viele der Herausforderungen kamen völlig unerwartet und ebenso viele Herausforderungen wurden von der Vorgänger-Regierung geerbt. Wir haben uns vieles – wie die Abhängigkeit der Wirtschaft vom billigen russischen Gas zeigt – selbst eingebrockt.

Deshalb müssen die nächsten Schritte nicht nur in die richtige Richtung gehen, sondern zugleich wuchtig sein, wie es Bundesfinanzminister Christian Lindner – beflügelt vom Geist von Meseberg – nach der Klausurtagung der Bundesregierung formulierte. Und schon am Wochenende –  in der Nacht von Samstag auf Sonntag – einigte man sich auf die Eckpfeiler des 65 Milliarden Euro schweren dritten Entlastungspakets. Was ist für uns drin?

 

  • Für einen Basisverbrauchan Strom soll ein vergünstigter Preis gelten. Darüber wäre der Preis nicht begrenzt. Zudem soll die anstehende Erhöhung des CO2-Preises bei Energie auf 2024 verschoben werden.
  • Das Kindergeldsoll zum Jahresbeginn um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind steigen.
  • Studierende und Auszubildende sollen zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 200 Euro erhalten. Pensionierte bekommen einmalig 300 Euro – einkommenssteuerpflichtig.
  • Ab 2023 soll die Besteuerung von Rentenbeiträgen wegfallen.
  • Das geplante Bürgergeld soll für Bedürftige von 449 auf 500 Euro angehoben werden.
  • Sozialleistungen sollen der tatsächlichen Inflationsrate angepasst werden.
  • Das Wohngeld wird auf einen weiteren Kreis ausgedehnt. Zusätzlich sollen Bezieher von Wohngeld einmalig einen Heizkostenzuschuss erhalten.
  • Und für die Wirtschaft gilt: Das Gespenst von der „Übergewinnsteuer“ ist verscheucht, dafür kommt eine „Erlösobergrenze“ für Energieerzeuger.

Ach ja – und das Neun-Euro-Ticket soll in veränderter Form wiederkommen, wenn Länder und Kommunen mitmachen. Erste Erfahrungen zeigen allerdings, dass das Ticket in den bisherigen drei Monaten unerwartete bis unerwünschte Nebenwirkungen zeigte: Zugpendler stiegen aufs Auto um, weil die Züge überfüllt waren, Punks punkteten auf Sylt und die Omnibusbetreiber registrierten einen Umsatzeinbruch um zwei Drittel, weil niemand mehr Busreisen buchte, ein Teufelskreis.

War sonst noch was? Ach ja, das Digitalpapier aus dem Verkehrsministerium, mit dem die digitale Agenda der Bundesregierung für die kommenden Jahre festgeschrieben werden soll. Darin liegt bereits der mögliche erste Designfehler: Denn in diesen stürmischen  Tagen, in denen Innovationen und Inventionen nur einen Mausklick weit weg zu liegen scheinen, ist eine langfristige Festlegung kaum möglich. Und wissen wir denn, ob wir in der nächsten Zeit eher in Effizienz oder Wachstum, eher in Insourcing statt in Outsorcing, mehr in Automation als in Qualifikation investieren sollten? Aber, wie der zuständige Minister Volker Wissing formulierte: „Wir verlieren uns nicht in Zukunftsvisionen“. Schade eigentlich.

Denn von diesen Fragestellungen ist die Bundesagenda fürs Digitale völlig unbeleckt. Hier geht es – fast wie im Bundeswehrbeschaffungsamt – eher  darum, eigene Standards wie Gaia-X zu definieren als die Dinge zu übernehmen, die bereits auf der Stange hängen. Das Fazit des Hightech-Verbands Bitkom ist denn auch ernüchternd: „Insgesamt fehlt es der Digitalstrategie in zu vielen Bereichen an Ambitionen.“

Das zeigt sich auch am Beispiel der drei zentralen Hebelprojekte, die die Bundesregierung voranbringen möchte, um damit ganz Deutschland digital voranzubringen: der Ausbau von Gigabitnetzen und Datenräumen, international einheitliche Normen und Standards sowie sichere digitale Identitäten – so genannte eIDs – und moderne Register. Leider fehlen hier konkrete zeitliche und inhaltliche Zielsetzungen, so dass nicht viel mehr bleibt als eine Absichtserklärung.

Die Digitalstrategie der Bundesregierung ist leider alles andere als wuchtig. In ihr weht doch noch viel Analoges. Und auch der Geist von Meseberg ist noch lange nicht digital.

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