Mittelständischer Imperativ

Wenn Kanzlerreden zum Jahreswechsel wiederholt werden, dann ist das ein politischer Skandal. Wenn sich der Wunschzettel des Mittelstands für das kommende Jahr genauso liest wie der der Wunschzettel für das vergangene Jahr, dann ist das kein politischer Skandal. Das aber ist der eigentliche Skandal.

Cloud Computing, Fachkräfte, Mittelstandsfinanzierung, Mittelstandsdefinition der EU und steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung sind die fünf Kernthemen, die der BITKOM in seinem aktuellen mittelstandspolitischen Papier zusammengefasst hat. Formuliert aus der Sicht der ITK-Wirtschaft, haben die Forderungen Gültigkeit für den gesamten Mittelstand. Das ist der Mittelständische Imperativ: Was du für die eigene Branche forderst, sollte stets als Prinzip für den gesamten Mittelstand gelten können.

Allerdings: die meisten Punkte waren in ihren Grundsätzen schon Anfang 2012 auf der Agenda. Was ihnen dieses Jahr Brisanz verleiht, ist die Tatsache, dass die damit verbundenen Handlungsaufforderungen an die Politik in einem Wahljahr auch eine Entscheidungshilfe darstellen werden – über die Wählbarkeit der politischen Konstellationen hierzulande.

Finanzierung: Die Einführung einer unbürokratischen, steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung bleibt ein wichtiger Baustein, um Innovationen im Mittelstand zu erhöhen und weitere Wachstumsimpulse zu setzen. Auch bei der Mittelstandsfinanzierung muss es darum gehen, Investitionen und somit Wachstum zu ermöglichen. Der Mittelstand stellt sich deshalb eindeutig gegen die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer.

Qualifizierung: Handlungsbedarf besteht auch beim Thema Fachkräfte. Die aktuell rund 43.000 offenen IT-Stellen zeigen, dass die erleichterte Zuwanderung von Fachkräften kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel ist. Ein durchlässiges und flexibles Bildungssystem und insbesondere eine verbesserte ITK-Ausbildung entlang des gesamten Bildungswegs sind notwendig.

Definition: Auch die Forderung nach der Ausweitung der EU-Mittelstandsdefinition von Unternehmen mit 250 auf bis zu 499 Beschäftigten bleibt aktuell. Die in Deutschland strukturell oft größeren Mittelständler mit über 250 Beschäftigten sind insbesondere von wichtigen Innovationsförderprogrammen der EU ausgeschlossen. Kurzfristig sollte zumindest die bestehende Übergangsphase für den Wechsel der Unternehmenskategorie von zwei Geschäftsjahren für schnell wachsende Unternehmen ausgeweitet werden.

Cloud Computing: Deutschland muss seinen Einfluss in Europa weiter geltend machen, um moderne Datenschutzregeln auf hohem Niveau in Europa und international zu etablieren und so Vertrauen zu schaffen. Perspektivisch bietet vor allem die 4. industrielle Revolution („Industrie 4.0“), die durch das Internet der Dinge und Dienste ermöglicht wird, insbesondere mittelständischen ITK-Anbietern und dem produzierenden Mittelstand enorme Möglichkeiten zur Gestaltung ganz neuer Geschäftsmodelle und -prozesse. Es gilt, die Chancen dieser Entwicklung früh aufzugreifen und Deutschland mit seinem strukturstarken und innovativen Mittelstand zum Vorreiter der neuen Technologie zu machen.

Freilich, was der ITK-Mittelstand für 2013 und die folgende Legislaturperiode fordert, ist gar nicht einmal anspruchsvoll. Mittelstandsorientierte Politik ist im Prinzip immer mehrheitsfähig. Es bleibt nur angesichts von Ad-Hoc-Maßnahmen für Einzelgruppen einfach keine Zeit für die langfristig wichtigen Themen. Das ist die Ironie der Krise, in der wir uns gegenwärtig befinden. Dass sie schlimmer nicht ausfällt und die Konjunktur weiterhin nicht erlahmt, ist übrigens auch eine Leistung des Mittelstands. Insofern macht er sich das beste Wahlversprechen selbst: Auch das ist ein Mittelständischer Imperativ – hilf dir selbst, dann hilft dir Gott (der, die oder das)!

Mehr eChristmas

Es gab eine Zeit, in der wurde der eCommerce verlacht, weil seine Umsatzzahlen zwar prozentual massiv stiegen, aber real nicht die Bedeutung erreichten, die ihnen selbsternannte Auguren vorhergesagt hatten. Nicht die Analysten kamen ins Gerede, sondern der Handel über das Internet, dem mehr zugetraut worden war, als er tatsächlich zu leisten vermochte. Das war das Ende der Dot.Com-Blase.

Heute zeigt sich, dass dem mCommerce das gleiche Schicksal drohen könnte, denn die Vorhersagen für den mobilen Commerce sind wieder einmal überbordend. Allerdings gibt es diesmal einen entscheidenden Unterschied. Das Handelsgeschäft, das über mobile Endgeräte im Internet initiiert wird, ist offensichtlich tatsächlich sehr viel kraftstrotzender, als es vor einem Jahrzehnt der schwächliche eCommerce war. Nur – das hatte damals keiner der Analysten vorhergesagt.

Ein Grund für die seinerzeitige Ent-Haltung gegenüber dem Internet-Handel dürfte in der Haltung liegen, die der Internet-Käufer einzunehmen hatte. Vor zehn Jahren nämlich saß er am PC, also am Schreibtisch oder in einer Wohnnische und klickte sich durch die Shop-Angebote. Heute hingegen sitzt (oder liegt?) er entspannt auf der Couch mit dem Smartphone oder Tablet in der Hand und lässt sich von seiner Lieblings-App Kaufvorschläge anhand seiner Vorlieben, seinem Kaufverhalten und den Wunschlisten seiner Freunde vorlegen. Das ist nicht nur einfacher, sondern auch entspannter.

Tatsächlich beschäftigen sich Psychologen, die schon seit Jahrzehnten jeden Winkel der Ladenfläche verkaufsfördernd ausleuchten und beschallen lassen, nun mit der Kaufhaltung ihrer Couch-Kunden. Die, so ließ Google jetzt in einer Befragung ermitteln, treffen nämlich Kaufentscheidungen deutlich spontaner – also aus dem Touch-Impuls – heraus, wenn sie die Ware in einer komfortablen App quasi „auf dem Tablett“ präsentiert erhalten. Und in der Tat: Drei Viertel der Tablet-Benutzer verwenden ihren Flachmann zum Einkaufen. Und Branchen-Insider schätzen sogar, dass praktisch die Hälfte aller mobilen Bestellungen von einem iPad abgesendet wurden.

Und so wird der mobile Commerce – oder Couch-Commerce, was allerdings eher immobil wäre – zur sich selbst verstärkenden Welle. Denn Smartphones und Tablets gehören zu den zwei großen Rennern im diesjährigen Weihnachtsgeschenk. Wenn dann diese Präsente ausgepackt und eingeschaltet werden, werden ja auch sie zum Einkaufen von der Couch aus verwendet.

Einen ersten Hinweis auf diesen sich selbst verstärkenden Effekt könnten die angehobenen Prognosen geben. Der Bundesverband des Deutschen Versandhandels hat seine Umsatzerwartung von 5,5 Milliarden Euro auf 5,6 Milliarden Euro erhöht – und das wäre immerhin ein Anstieg um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und das, obwohl die Eurokrise und die Sorge vor einem Wirtschaftsabschwung die Kauflust nicht gerade beförderten. Doch immerhin: für November und Dezember rechnet der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels mit einem Umsatz von 80,4 Milliarden Euro – das wäre immerhin ein Plus von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie hoch der Anteil des  Couch-Commerce dann tatsächlich sein wird, dürften erst die Post-Christmas-Shopping-Tage zeigen, wenn die neuen Smartphones und Tablets ausprobiert werden und das Umtauschgeschäft beginnt – für alle anderen Geschenke natürlich nur. Auch hier stehtübrigens der eCommerce hilfreich zur Seite: Vier Millionen Deutsche planen nach einer Umfrage des BITKOM; nach Weihnachten Geschenke auf Tauschbörsen weiterzuvertickern.

Frohe Weihnachten wünscht

Heinz-Paul Bonn

Mehr Leitung, weniger Leute

Eigentlich ist es kaum zu fassen: Deutschland ist einer der größten Telekommunikationsmärkte der Welt – und der Platzhirsch im Lande kämpft mit sinkenden Umsätzen. Doch heftiger Preiskampf im eigenen Land, schwieriger Zugang zu Wachstumsmärkten in Schwellenländern, das (vorerst) ohneiPhone-Spritze lahmende Geschäft im weltgrößten Telekommunikationsmarkt USA und schließlich ein überdurchschnittlich hoher Personalkostensockel machen es der Deutschen Telekom so richtig schwer durchzustarten.

Das soll jetzt anders werden: Rund 30 Milliarden Euro will der Konzern in den kommenden drei Jahren in den Ausbau der Infrastruktur stecken – und damit neue Umsatzquellen und Wettbewerbsvorteile erlangen. Dazu gehört der Ausbau des schnellen VDSL-Netzes. Zudem soll die Vectoring-Technologie, die eine Erhöhung des Durchsatzes auf 100 Megabit pro Sekunde erlaubt, forciert werden. Dann, so hofft Telekom-Chef René Obermann, sei der Tempo-Rückstand gegenüber den Kabelanbietern ausgeglichen. 24 Millionen Haushalte sollen in den Genuss des Turbo-Internets gelangen.

Auch mobil soll mit der Verbreitung der LTE-Technik kräftig zugelegt werden: 85 Prozent der Smartphone-Benutzer – also praktisch der deutschen Bevölkerung – sollen bis 2016 in den Genuss der Long Term Evolution gelangen. Dann sind 300 Megabit pro Sekunde keine Utopie mehr. Wie ernst es die Telekom mit diesen Investitionen meint, beweist die Tatsache, dass die liebgewordene 70-Cent-Dividende auf einen halben Euro gekappt wurde, um so die nötige Liquidität zu behalten.Allerdings: Auch Vodafone und O2 (Telefonica) investieren hier.

Der Unterstützung der Regierungsbehörden und Wirtschaftsverbände dürfte sich René Obermann indes sicher sein. Denn der flächendeckende Ausbau des Internets ist das Kernstück der vierten industriellen Revolution, auf die sich der siebte deutsche IT-Gipfel im November eingeschworen hat. Deutschland soll die modernste Web-Infrastruktur der Welt erhalten und mehr und mehr Kooperation und Kollaboration über das Internet erlauben.

Aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Organisationen soll durch die höheren Bandbreiten beflügelt werden. Vor allem der unablässige Austausch von Daten und Datenpaketen zwischen Maschinen wird die „Industrie 4.0“ beflügeln. Zwar rechnet man insgesamt mit einem Investitionsvolumen von 130 Milliarden Euro, ehe die vierte Generation flügge geworden sein wird. Aber eine Fraunhofer Studie im Auftrag des Branchenverbands BITKOM hat schon jetzt errechnet, dass sich allein in der Aufbauphase schon gesamtwirtschaftliche Effekte von rund 330 Milliarden Euro ergeben. Verbesserte Prozesse in der Supply Chain, die Vermeidung von Doppeluntersuchungen im Gesundheitswesen, weniger Staus im Personal- und Güterverkehr und eine Verringerung beim Stromverbrauch sind die Effekte, die dieses Einsparungspotenzial bringen.

Doch auch wenn die vierte industrielle Revolution neue Umsätze in die Kassen der Deutschen Telekom spülen wird – mehr Leitung allein reicht nicht beim Streben nach mehr Profitabilität. In den vergangenen fünf Jahren hat der Telekommunikationskonzern bereits 20.000 Personalstellen abgebaut – auf nunmehr 121.000 Mitarbeiter. Gerüchte, dass weitere 12.000 Arbeitsplätze zur Disposition stehen, seien „völliger Unsinn“, heißt es aus Firmenkreisen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die dialektische Abwärtsspirale von „abstrus“ über „durchaus möglich“ bis zur vollendeten Tatsache schnell drehen kann. Mehr Leitung, weniger Leute – auch das ist eine Konsequenz aus „Industrie 4.0“

Teilen und mitteilen

Ostern ist ja bekanntlich am ersten Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond. So verlangt es die neutestamentarische Überlieferung. Weniger bekannt ist, dass das Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation – das CeBIT in Hannover –  jeweils ungefähr drei Wochen vor diesem astronomischen Ereignis angesetzt wird. Die Sterndeuter aus dem Messeturm in Hannover haben deshalb für das kommende Jahr den Messebeginn ebenfalls früh gelegt: ab dem 5. März teilen die geschätzten 4200 Aussteller wieder ihre Errungenschaften mit erwarteten mehr als 300.000 Besuchern.

Aber ist die CeBIT überhaupt noch zeitgemäß? Ist ein fester Messeplatz in einer zunehmend virtuell gut eingerichteten Welt noch lebensnah? Ist eine Computerschau mit Ausstellungsständen und Reklameaufwand in der Zeit der Social Media und des Cloud Computings nicht ein Anachronismus?

Man könnte meinen, dass die CeBIT von jenen Kopfgeburten, die sie selbst hervorgebracht hat, allmählich aufgefressen wird: OnDemand-Computing, Virtualisierung, Web-Communities – dies alles sind immerhin technische und gesellschaftliche Erscheinungen, die auf der CeBIT selbst erst das Licht der Vermarktungswelt erblickt haben. Doch jetzt ist die Messe gelesen…

Einspruch, Euer Ehren! Das Erfolgsgeheimnis der CeBIT war immer eine Atmosphäre des Teilens und Mitteilens. Längst sind die Marketiers, sind die Entwickler mit den Vorbereitungen für ihre Messebotschaften und Präsentationen befasst. Die CeBIT ist ein Kulminationspunkt für Entwicklungsleistungen. Es mag absurd klingen: Aber die Dinge werden fertig weil die Messe droht. Das Ereignis in Hannover ist insofern ein wesentlicher und globaler Synchronisationspunkt. Am 5. März sind wir fertig – komme, was da wolle.

Und die CeBIT ist und bleibt ein Gegenentwurf zur Beiläufigkeit der im Vorbeigehen über die sozialen Medien verbreiteten Botschaften. Was dort en passant, so im Vorbeigehen, gebloggt und gepostet wird, ist eine Botschaft aus dem Handgelenk. Die Botschaften, die wir auf der CeBIT teilen und mitteilen, sind hingegen Marksteine. Sie setzen die Orientierungspunkte für die IT-Konjunktur.

Und die boomt unverändert und braucht für das kommende Jahr die CeBIT als Medium der Selbstmotivation. Denn IT geht eigentlich immer. In der Krise müssen wir investieren, um uns auf raue Zeiten einzustellen. Im Boom können wir investieren, weil wir uns auf das Wachstum einstellen müssen. 71 Prozent der vom Bitkom befragten IT- und TK-Unternehmer sehen folglich keinen nennenswerten Konjunktureinbruch im kommenden Jahr. Sie erwarten im Gegenteil mehr Umsatz als im laufenden Jahr, das mit einem Umsatzplus von 2,8 Prozent deutlich über den Erwartungen – auch des Bitkom – lag. Zwar wird die 2-Prozent-Hürde im kommenden Jahr eher nicht übersprungen – aber ein satter Zuwachs auf neue Bestmarken ist doch drin.

Denn die teilende Gesellschaft, die nicht nur neue Geschäftsmodelle für die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen findet, sondern auch nach neuen, besseren Methoden, um Wissen zu teilen und Arbeitsprozesse auf viele auszudehnen, findet auf der CeBIT ihr prägendes Motto: Shareconomy – teilhabende, mitteilende Wirtschaft.

Das ist nicht das Motto einer Technologie, nicht einer neuen Disziplin, sondern eines gesellschaftlichen Wandels, der sich derzeit vollzieht und dem die CeBIT einen Namen gegeben hat. Nach einer IBM-Studie unter 1700 CIOs weltweit sind Partizipation, Vernetzung und Meinungsfreude die neuen Währungen der IT-Strategen. Für sie sind Soziale Netzwerke, offene Firmenkultur, Partnerschaft weniger eine Technikleistung als vielmehr eine Geisteshaltung. Ihre technische Basis hingegen – zum Beispiel Cloud Computing, Big Data, Business Process Optimization und Knowledge Management – sind die Exponate auf der CeBIT 2013.

Shareconomy – die Wirtschaft, die teilen und mitteilen lernt, ist eine Basiströmung für die kommenden Jahre. Und wer hat´s erfunden? Die Hannoveraner!