In Dubai dabei

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, formulierte Rosa Luxemburg in ihrer posthum erschienenen kritischen Würdigung der russischen Revolution. Und der Satz, der dieser steilen Sentenz vorweg gesetzt ist, klingt wie ein aktueller Kommentar zur World Conference on International Telecommunications: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit“. Als wäre der Satz der neuen chinesischen Führung ins Stammbuch geschrieben, warnt er scheinbar vor jeder Einflussnahme im Internet. Ein offenes, ein transparentes Internet wollen wir – aber will es auch die International Telecommunication Union, einer Unterorganisation von rund 190 Ländern der Welt und zusätzlichen Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

Mehr Transparenz gibt es auf der heute in Dubai beginnenden zehntägigen Konferenz wohl nicht. Trotz der Bemühungen von WCITLeaks und anderen Transparency-Plattformen bleibt weitgehend undurchsichtig, was die Konferenz zur Frage der künftigen Internet-Regulierung beschließen will. Was heraussickert, lässt uns gespannt in Dubai dabei sein: Nicht weniger als die direkte Einflussnahme auf Internet-Angebote, auf das, was Websurfer in ihrem Land sehen und nicht sehen dürfen, steht zur Diskussion. Dabei wäre das noch nicht einmal das schlimmste Szenario: Sollten beispielsweise Telekommunikations-Betreiber mehr Einfluss auf die Ausgestaltung der von ihnen bereitgestellten Webzugänge haben, könnte jeder Provider das über ihn zugängliche Angebot steuern.

Es wäre ungefähr so, als würde Google allein durch seinen geheimen Suchalgorithmus das eine Webangebot promoten und das andere behindern. Aber, hoppla: So ist es ja im tatsächlichen Leben.

Tatsächlich aber ist nicht zu befürchten, dass sich die 190 Länder wirklich auf eine fundamental andere Regulierung des Internet-Datenverkehrs einigen werden. Zwar wollen fast alle Länder einen neuen Vertrag, der das Tor zu einer stärkeren Einflussnahme durch Staaten, Behörden und Unternehmen weit aufstößt. Aber weder die USA, noch die Europäische Union wollen ernsthaft Änderungen am Status Quo. Die Möglichkeit einer stärkeren Einflussnahme durch Staaten oder lokale und globale Provider mag zwar diskutiert werden, dürfte aber kaum konsensfähig sein.

Natürlich ist es eine Überlegung wert, dass diejenigen Unternehmen, die die Infrastruktur als Investition bereitstellen, jenen eine stärkere Kostenbeteiligung aufbrummen wollen, die über zusätzlichen Content als erste von größeren Bandbreiten profitieren – die sozialen Medien beispielsweise, oder die Streaming Media-Anbieter. Sie benutzen die Datenautobahn für ihre Geschäftsmodelle, ohne sich am Ausbau des Datennetzes zu beteiligen. Aber brauchen wir dafür eine Konferenz einer UNO-Unterorganisation. Das müssten doch auch die Marktkräfte regeln können…

Dubai wird möglicherweise eine ganz andere Frage aufwerfen: Ist das Internet überhaupt noch regulierbar – von regierbar ganz zu schweigen? Wir haben neue Sozialisierungsmethoden erfunden wie Graswurzel- oder virales Marketing. Communities führen zu neuen Erscheinungen (und übrigens auch Wortschöpfungen) wie Flash Mobs oder Shit Storms. Wie würde denn ein Shit Storm aussehen, der über die westliche Welt hinwegfegen würde, die einer stärkeren Einflussnahme auf das Internet die Ports öffnete? Die Freiheit im Internet ist doch immer auch die Freiheit der Andersdenkenden, wäre wohl tatsächlich der gemeinsame Konsens.

Es mag vielleicht etwas rosarot klingen – aber alles in allem überwacht das Internet sich doch ganz gut selbst. Der Aufruhr gegen Googles oder sonst wessen Vorstöße auf eine stärkere Beeinflussung des Webs beweist doch eher, wie alert, wie wach die Web-Community hierzulande ist. Das ist ein Standortvorteil, den man nicht unterschätzen sollte. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass Deutschland unter Chinas Jugend einen hervorragenden Ruf hat. Wer hätte das gedacht: Basisdemokratie und Bürgerprotest als Exportprodukt.

Da fällt mir noch eine (etwas angestaubte) jüdische Anekdote ein: Jossele ruft aus den USA bei seinem Bruder in Russland an und fragt, wie es den Kindern geht. „No“, sagt Bruder Ephraim, „Rachel ist in Bulgarien und führt den Sozialismus ein, Nathan ist in Polen und führt den Sozialismus ein und Benjamin ist nach Israel ausgewandert.“ – „Und“, fragt Jossele, „führt er da auch den Sozialismus ein?“ – „Bist du verrückt, doch nicht bei unseren eigenen Leuten!“

Eben. Machen wir uns mal wegen Dubai keine Sorgen. Oder?

Ein Zehnkämpfer der Logistik

Am Donnerstag ist Prof. Dr. Michael ten Hompel nun offiziell in die Hall of Fame der Logistik. (http://www.logistikhalloffame.de/) aufgenommen worden. Zwar regnete es in Strömen, aber der Laureat, strahlte dafür umso mehr.

 Ich erinnere mich an ein Bon-mot, das Professor ten Hompel angesichts eines geschätzten Kollegen aus der Fraunhofer-Gesellschaft brachte, wonach er zwar nicht – wie der werte Kollege – ein „Dr. hc. mult.“ vor dem Namen führe; aber „Dr. ten“ sei ja auch schon was…

 Aber in der Tat sind es viele Disziplinen, in denen Professor Dr. Michael ten Hompel reüssiert. Es ist insofern nur konsequent, dass er nun in die Logistic Hall of Fame aufgenommen wurde. Denn neben seiner Professur und der Leitung des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik steht der Name ten Hompel für:

 …eine erkenntnisreiche Studie zum Thema eLogistik, die zwar in den Zeiten der Dot.Com-Euphorie Anfang des Jahrtausends entstand, aber weitgehend von Wolkenkuckucksheimen befreit blieb. Vielmehr diente die eLogistics 2.0 zur Versachlichung der Debatte.

…die breite Akzeptanz der RFID-Technologie. Er hat früh das Potenzial erkannt, das in der Auto-ID-Technologie steckt. Und mit eigenen Projekten hat er dafür gesorgt, dass diese Technik im Mittelstand ankommt.

…den Tower24. Als Lösung für die „letzte Meile“ konzipiert, ist der Prototyp eines vollautomatischen Paketschalters ein Meilenstein der eLogistic – auch wenn ihm der kommerzielle Erfolg in Konkurrenz zur PackStation nicht beschieden war.

…die Idee der Logistics-Mall. Schon Ende der neunziger Jahre entwarf er die Vision einer Internet-Plattform, über die logistische Dienstleistungen angeboten und abgewickelt werden können. Cloud Computing, bevor es den Begriff gab.

…Auswahlberatung zur Logistik-Software. Auch dies ist eine Web-Plattform, über die Softwarelösungen verglichen und ausgewählt werden können.

…das Internet der Dinge. Die Vorstellung, dass künftig nicht nur Menschen im Internet surfen, sondern auch Maschinen und Waren hat er zu einem ganzheitlichen Konzept erweitert, dessen Realisierung wir gegenwärtig erleben.

…die Initiative Industrie 4.0. Deutschlands wesentliche Stärken werden in dieser konzertierten Aktion der deutschen Wirtschaft zusammengefasst: Prozessoptimierung, Automatisierung, Systematisierung.

…für Logistik als interdisziplinäre Fachrichtung. Logistik ist nicht nur der Transport von A nach B. Es ist Planung, Vorbereitung, Umsetzung, Anlagenbau, Streckenplanung und Kommunikation.

…für Intralogistik. Nahezu alle betrieblichen Aktivitäten sind logistischer Natur. Mit dem Fraunhofer IML ist die Intralogistik zu einer Königsdisziplin des Mittelstands herangereift.

…für Kennzahlen in der Logistik. Logistik kann man nicht nur sehen, man kann sie auch messen. Die Erarbeitung von mittelstandsgerechten Key Performance Indikatoren gehört mit zu den Leistungen im IML.

Ein Zehnkämpfer in der Logistics Hall of Fame – wir gratulieren.

Internet killed the Newspaper Star

Haben Sie den Song noch im Ohr, mit dem die New Wave Group The Buggles 1979 die Charts eroberte: „Video killed the radio star“?  Der Nostalgie-Song beschwor einen alternden Star, der im Radio reüssierte und im Fernsehen floppte. Das ganze wurde mit reduzierter Bandbreite aufgenommen, so dass der akustische Eindruck einer frühen Radioübertragung aus den dreißiger Jahren entstand. Es  war als „Single“ aus einer „LP“ ausgeklinkt worden – Sie wissen schon, diese ewig verkratzenden Vinyl-Dinger. Und wenn man es heute hören will, sucht man bei Google, bis man den richtigen Youtube-Clip gefunden hat…

Der Wechsel vom Konzertsaal zum Aufnahmestudio war nicht das Ende der Musik, sondern der Beginn ihrer Demokratisierung. Der Wechsel vom Musik-Verlag zum Videoclip, von der CD zum mp3-Download war der Beginn ihrer Popularisierung. Zu keiner Zeit wurde auf der Welt mehr Musik gehört als heute. Und zu keinem Zeitpunkt wurde mit Musik mehr Geld verdient – nur nicht mehr von wenigen.

Und zu keiner Zeit wurde auf der Welt mehr gelesen als heute. Bevor es Visionen wie das Internet der Dinge gab, gab es bereits Phantasien vom Internauten, vom im Internet surfenden informierten Menschen, der sich nicht bei Redaktionen bedient, sondern bei Bloggern. Nicht, wer etwas schreiben darf, wird nun gelesen – sondern der, der etwas zu schreiben hat (oder auch nicht und es trotzdem tut).

Mit der Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der wohl beschlossenen Einstellung der Financial Times Deutschland gewinnt in Deutschland eine Debatte an Fahrt, die nach Maschinensturm klingt. Und dieser Blog – ein Kind der Internet-Community – wendet sich entschieden gegen jene Kulturschelte, die dem Web als World Wide Wordprocessor entgegengebracht wird. Es geht nicht um das postulierte Junktim von Qualitätsjournalismus und Zeitungspapier. Es geht auch nicht um den Zusammenhang von Pluralismus und finanzieller Unabhängigkeit. Der Druck einer Zeitung garantierte niemals ihre Qualität, sondern immer nur das ihr zugrunde liegende Geschäftsmodell. Und das war ein Modell der Verleger, nicht der Schreiber.

Denn Verlage leben nicht von Lesern, sondern von Käufern. Im aktuellen Streit um die Zukunft des Journalismus geht es aber gar nicht um Inhalte, sondern um die Verwendbarkeit – die Fungibilität. „Fungibilität liegt vor, wenn die Sachen oder Rechte durch gleich bleibende Beschaffenheit (z.B. nach Zahl, Maß oder Gewicht) im Handelsverkehr bestimmt werden und durch jede andere Sache bzw. jedes andere Recht der gleichen Gattung und Menge ersetzt werden können“, weiß das Gabler Wirtschaftslexikon – und ich bin in der Lage, dieses Zitat schnell und einfach zu verwenden, weil es online verfügbar, also fungibel ist.

Seit es Online-Medien gibt, bin ich in der Lage, jederzeit aktiv am Meinungsstreit teilzunehmen – sozusagen als Teilzeit-Publizist. Ich muss mich nicht länger nach aufwändigen Produktionsprozessen – die Presse – ausrichten, um eine Meinungsäußerung, einen Diskussionsbeitrag, eine Idee in den öffentlichen Diskurs zu werfen. Und ich kann einen guten Gedanken mit meiner Community teilen – natürlich unter Wahrung der Quelle. Dies ist eine Frage der Wahrhaftigkeit, nicht des Mediums. Raubkopiert wurde immer – auch vor Gutenberg.

All dies hat die Diskussion, die Informationsverarbeitung, die Rezeption neuer Texte in meiner Umgebung erheblich vertieft und beschleunigt. Dem gegenüber stehen haptische Erfahrungen, die ich ebenso schätze: das Blättern in einer Zeitung oder das Öffnen eines Buches. Aber es gibt auch die (optische) Erfahrung in Flugzeugkabinen und ICE-Abteilen, die mit nach flüchtigem Durchscannen der Überschriften achtlos weggeworfenen Zeitungen zugemüllt sind. Das hebt zwar die IVW-Auflage, aber nicht die Achtung vor dem Qualitätsjournalismus.

 À propos Haptik: Die ersten drei Jahre Bonnblogs gibt es jetzt als Buch. Aus Gründen der Nostalgie.

Gipfel der Bescheidenheit

Es ist nicht unbedingt so, als wäre vom siebten nationalen IT-Gipfel diese Woche ein Ruck ausgegangen. Eher eine Salve von Impulsen und Impülschen – ein bisschen intelligente Netze, eine Prise Gründerkultur nebst einer Willkommenskultur gegen Fachkräftemangel. Und das ganze wird serviert an einer Kooperation aus klassischer Industrie und ITK.

Nichts war falsch auf dem Essener Gipfel, als Industrievertreter mit der Informationswirtschaft, Gründer mit Investoren und alle zusammen mit der Bundeskanzlerin sprachen. Aber ebenso wenig waren die diskutierten Themen neu – und ebenso wenig waren es die Lösungsansätze.

Es ist alles richtig: Politik und Wirtschaft müssen näher zusammenrücken, um das Großprojekt der intelligenten Vernetzung oder der vernetzten Intelligenz in die Wege zu leiten. Deutschland soll der Welt zeigen, wie effizient eine Ökonomie werden kann, wenn sie ihre Ressourcen richtig einsetzt, Reibungsverluste vermeidet und Synergien nutzt. Das sind die bekannten deutschen Königsdisziplinen – Prozessoptimierung, Logistik, Ressourcenmanagement und nicht zuletzt Kommunikation.

Es ist schon beeindruckend, wenn der Gipfel feststellt, dass 20 Prozent der Leistungszuwächse und Effizienzsteigerungen der Industrie durch Informations- und Kommunikationstechnologie befördert werden. Und es darf auch noch einmal gesagt werden, dass die Industrie der größte Kunde der Informationswirtschaft ist – übrigens: wer denn sonst. Aber nüchtern betrachtet sind diese Erkenntnisse doch so trivial wie die Feststellung, dass Autos nur dank der Petroliumindustrie zu diesem Welterfolg wurden. Ja, stimmt.

Aber wo soll Neues herkommen? Der Gipfel hat richtig erkannt, dass es vor allem darum geht, die richtigen Entscheidungen aus den Vorjahren weiter zu verfolgen. Mit mehr Engagement, mit mehr Fokus und mit weniger Abstimmungsaufwand zwischen Politik und Wirtschaft.

Was zu tun ist, ist reine Kärrnerarbeit. Für das Großprojekt Industrie 4.0 – der Synergie aus Industrie und Ingenium – müssen wir nur die Agenda abarbeiten. Oder um es in für alle verständlichem Fußball-Deutsch zu sagen: „Wir schauen von Spiel zu Spiel und müssen 100 Prozent unserer Leistung abrufen.“

Das Ziel, das der Essener Gipfel formulierte, ist anspruchsvoll: Die weltbeste Netz-Infrastruktur soll hierzulande Produktion und Services befördern. Die Zusammenarbeit zwischen der ITK-Branche und ihrem größten Kunden – der Metall- und Automobilindustrie, der chemischen Industrie und anderer Hightech-Branchen – soll verstärkt werden. Gründern soll der Eintritt in diese Gesellschaft erleichtert werden. Und ausländischen Fachkräften soll der Zugang zu diesem Markt schmackhaft gemacht werden.

Die weitere Beratung und Befassung geht nun in die Ausschüsse. Der IT-Gipfel hat eine breite Aufstellung angenommen. Insofern ist er eher ein IT-Hochplateau.

Eine Überraschung hatte der Gipfel in seinen Communiqués aber doch parat: Wenn wir im Sinne des Projekts „Industrie 4.0“ die Zusammenarbeit  zwischen deutschen Spitzenbranchen intensivieren, dann winkt für Deutschland im internationalen Vergleich ein Platz auf dem Treppchen. Denn aktuelle Statistiken sehen dieses Land bei der Industrie auf Platz fünf, bei der IT auf Platz sechs. Zusammen ergebe das Platz drei. Oder doch nur Platz elf?