Mobile Quartalszahlen

War das jetzt ein Versehen oder ein Versuch, als Google Mitte Oktober seine Quartalszahlen verfrüht publizierte und dabei den halbgaren Zustand des Communiqués für jedermann durch die in Versalien geschriebene Zeile „Zitat von Larry steht noch aus“ („Pending Larry Quote“) sichtbar machte?  Witzbolde hatten auf Twitter schnell den Account „Pending Larry“ eröffnet und die Ereignisse mit Häme und Hohn kommentiert. Die Investoren freilich gerieten ob der schwachen Zahlen in Panik und vernichteten kurzerhand 20 Milliarden Dollar an Börsenwert.

Googles doppelte Quartalspanne offenbarte nämlich nicht nur schlechtes Zeitmanagement, sondern – schlimmer noch – ein Problem mit dem sich abzeichnenden Strukturwandel. 15 Prozent weniger Einnahmen im Kerngeschäft mit Anzeigen im Suchmaschinenumfeld lassen an einem Ausrutscher zweifeln. In der Tat gibt es ein hausgemachtes Strukturproblem mit der World Wide Werbung: Je mehr Smartphones mit kleineren Bildschirmen als Internet-Zugang der ersten Wahl genutzt werden, umso weniger Platz ist für Werbeeinspielungen. Googles Erfolg bei Smartphones gefährdet Googles Erfolg beim Advertising.

Strukturprobleme dieser Art treten neuerdings in sagenhaftem Tempo über das Internet auf. Sie verlangen blitzschnelle Reaktionen der Web-Entrepreneurs. Davor ist auch Mark Zuckerbergs Facebook nicht gefeit. Nachdem die Aktie hemmungslos überbewertet an die Börse ging, erholt sich Facebook erst allmählich aus dem Kurstal. Und jetzt freuen sich die Aktionäre trotz eines Quartalsverlusts von 59 Millionen Dollar über die ersten Anzeichen dafür, dass Facebook sein Einnahmenloch im mobilen Internet zu schließen beginnt. Auch hier sind die geringeren Werbeeinnahmen auf den kleineren Bildschirmen der Smartphones die Ursache. Doch im Quartalsbericht steht es schwarz auf weiß: 150 Millionen Dollar Umsatz durch das mobile Geschäft nach praktisch Null vor einem Jahr.

Auch Microsofts Umsatzeinbruch erklärt sich mit dem Strukturwandel zum Mobile Business. Neben dem schwindsüchtigen PC-Geschäft setzte im ersten Geschäftsjahresquartal nun ganz allgemein das Warten auf Windows 8 seine Duftmarke – mit einem Umsatzeinbruch von acht und einem Gewinneinbruch von 22 Prozent. Eine Schlappe hatten die Analysten erwartet – aber dass sich der Trend zu mobilen Geräten derart deutlich in der Microsoft-Bilanz niederschlagen würde, kam nun doch überraschend.

Microsofts Suchmaschinenpartner Yahoo sieht hingegen gerade im mobilen Geschäft eine „wunderbare Welle zum Reiten“, wie Marissa Mayers bei der Bekanntgabe der weiter durchwachsenen Quartalszahlen erklärte. Zwar stagnierte das Geschäft im dritten Geschäftsjahresquartal, aber nach Alibaba-Verkäufen zeigte sich der Gewinn stattlich. Jetzt soll das Wachstum aus neuen Umsatzquellen kommen, die auf Smartphones und Tablets ausgerichtet sind, kündigte die Ex-Google-Managerin an.

Und noch ein mobiles Problem, das sich längst zu einem Milliardengrab entwickelt hat. Die Telekom muss erneut Abschreibungen auf ihre US-Tochter T-Mobile (diesmal 7,5 Milliarden) vornehmen, um Wertberichtigungen angesichts eines schlecht laufenden US-Geschäfts zu bilanzieren. Fast eine halbe Million Kunden verlor T-Mobile USA im zurückliegenden Quartal – vornehmlich, weil dort immer noch kein Apple iPhone im Angebot ist.

Das wiederum treibt Apples Quartalszahlen auf eine neue Bestmarke: nach einem Plus von 27 Prozent liegt der Apple-Umsatz bei 36 Milliarden Dollar – beflügelt durch das jüngste iPhone-Modell. Dafür schwächeln die iPADs und lassen Analysten Übles für das vierte Geschäftsjahresquartal erwarten. Bei nur 14 Millionen verkauften Tablet-PCs sank der Börsenkurs zunächst einmal. Doch mit dem preisgünstigeren Modell des iPAD Mini hat Apple auf die Verwerfungen im mobilen Geschäft bereits reagiert. Dennoch hat Apple seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr um drei Milliarden Dollar gesenkt. „Die Zahlen zeigen, dass kein Unternehmen gegen die allgemeine Wirtschaftsentwicklung immun ist“, kommentierte Trip Chowdry von Global Equity Research zu dem Quartalsbericht. „Apple liegt da auf einer Linie mit HP, IBM und Intel.“

Übrigens: Auch Larry Ellison hatte bereits die Zahlen zum vierten Geschäftsquartal vorzeitig bekanntgegeben – allerdings absichtlich, nachdem Keith Block als Nordamerika-Vertriebschef das Unternehmen kurzerhand verlassen musste. Auch bei Oracle werden Probleme mit dem Strukturwandel deutlich: Die Unternehmensrechner von Sun Microsystems lassen sich nur noch schwer verkaufen – und nur die starken Softwareumsätze sorgen für ein versöhnliches Ergebnis.

Ansonsten warten wir immer noch auf das offizielle Statement von Larry Page. Auch wenn es ihm die Sprache verschlagen haben mag: die beste Antwort sind wiedererstarkte Quartalszahlen im mobilen Geschäft – in drei Monaten, aber nicht früher.

IT is India

Es ist eine bemerkenswerte Perspektive: „Indien verfügt in Kürze über eine ausreichende Anzahl hervorragend ausgebildeter Software-Entwickler, um den Weltbedarf decken zu können“, erklärte letzte Woche der indische Minister für Informationstechnologie, Kapil Sibal, in einem Gespräch mit Wirtschaftsminister Philip Rösler. Die Ankündigung war eher als Verheißung gemeint, denn als Drohung. Denn die Vorstellung, dass es auf globaler Ebene einen Ressourcenmangel im IT-Umfeld praktisch gar nicht gibt – beziehungsweise geben müsste -, ist faszinierend.

IT-Outsourcing (oder eher Sourcing), Off-Shore-Development oder Knowledge Process Outsourcing (Call Center) sind seit den 1990er Jahren bereits bestens bewährte Kooperationsfelder. Sie sind die Ursache für eine beeindruckende Exportquote bei Dienstleistungen. Nachdem 2004 Services erstmals mehr als 50 Prozent zum Bruttoinlandprodukt Indiens beigetragen haben, wurde der Subkontinent ein Jahr später bereits zum weltweit führenden Exporteur von Software und IT-Services – mit mehr als einem Drittel des gesamten Weltbedarfs. Und demnächst traut sich Indien also 100 Prozent zu. Mehr geht ja wohl nicht.

Dazu freilich müsste sich bei künftigen Kunden noch ein deutlicher Mind-Shift vollziehen. Während Partnerschaften mit indischen Konzernen bislang in der Regel nur performten, wenn große Skaleneffekte erzielt werden konnten, sollen künftig auch kleine Projekte und Aufgaben zwischen mittelständischen Unternehmen vorangetrieben werden.

Nun kann man dem einiges entgegenhalten – insbesondere die historisch gefestigte Einsicht, dass der Verzicht auf Produktion in der Regel dem Verlust an Wissen vorausgeht. Sprich: Die Axt im Haus erspart den Zimmerman nur, wenn man sie auch zu gebrauchen weiß.

Ich hatte als Begleitung von Vizekanzler Philip Rösler jetzt die Ehre, diesen Mittelstandsaspekt näher auszuführen. Mein Vorschlag: über die jeweiligen Branchenverbände BITKOM und NASSCOM sollten Partnerschaften zwischen kleinen und mittleren Unternehmen motiviert werden. Dabei sollte es nicht allein um Outsourcing-Themen gehen, sondern um gemeinsame Vertriebs- und Entwicklungsanstrengungen.

Denn eines scheint mir entscheidend: Eine zukunftsorientierte Partnerschaft zwischen beiden Ökonomien kann sich nicht darauf stützen, dass die einen die Arbeit für die anderen erledigen – und damit sukzessive Knowhow abziehen. Es muss umgekehrt deutschem Ingenium auch der Zugang zum indischen Markt gewährt werden. Kaum ein Schwellenland verfügt über eine derart hohe Zahl an bestens ausgerüsteten Produktionsunternehmen – zum Beispiel im Bereich Chemie/Pharma -, die internationalen Standards genügen. Dies sind nicht notgedrungen Tochtergesellschaften globaler Konzerne, sondern klassisch mittelständische Unternehmen, mitunter inhabergeführt, nicht selten im Privatbesitz. Sie haben einen erheblichen Bedarf an Unternehmenslösungen, wie sie gerade in Deutschland entwickelt und implementiert werden.

Um den mittelständischen Charakter dieser Partnerschaft zu unterstreichen, hat sich Minister Sibal für einen schlanken Abstimmungsprozess  ausgesprochen, der in den kommenden Monaten die Themen- und Aktionsfelder ausloten soll. In Dreiergruppen sollen so grundlegende Themen wie eCommerce, eGovernment, eHealth abgesteckt und konkrete Handlungsvorschläge vorgelegt werden. Die Minister Rösler und Sibal waren den aus der Theorie der Schwarmintelligenz entlehnten Dreier-Arbeitsgruppen gegenüber sehr aufgeschlossen – offen blieb allerdings bislang ihre Besetzung.

Ein Deutscher, ein Inder, ein Schriftführer – wäre die naheliegende Belegung. Ein anderer ebenso pragmatischer Vorschlag wäre hingegen – ein Anbieter, ein Anwender, ein Berater. Wollen wir nur hoffen, dass die klassische Ausstattung die Ausnahme bleibt: ein Beamter, ein Politiker, ein Jurist.

Gartner hat Bock auf Prognosen

Was macht man, wenn die eigenen Prognosen eingetreten sind? – Man erfindet neue Vorhersagen! Und was macht man, wenn die Prognosen nicht eintreten? – Man erfindet noch mehr Vorhersagen!

Eine Mischung aus Review und Preview lieferten die Weisen von der Gartner Group auf dem jetzigen Gartner Symposium IT Expo 2012 in Orlando, Florida. Einiges sind klassische No Brainer – wer das nicht vorhersieht, hat die Welt nicht verstanden. Andere aber haben es in sich. Schauen wir doch mal rein.

Nächstes Jahr soll das Mobiltelefon den Personal Computer als wichtigstes Internet-Endgerät ablösen (abwarten) und dabei sollen vier von fünf Mobiles Smartphones sein (sehr wahrscheinlich). Nur jedes fünfte Smartphone jedoch werde auf Windows 8 laufen (nanana – das mag noch für 2013 gelten, mit jedem neuen Jahr aber wird sich Microsoft durchsetzen).

Der PC wird nicht unbedingt an Bedeutung verlieren, aber seine Funktion als Personal Server neu definieren (totgesagt ist er ja schon seit den Neunzigern). Zwar werden die Zeiten der fetten Clients durch die Ära der Personal Cloud ersetzt. Aber als Bindeglied und Synchronisator zwischen den diversen Endgeräten wird er noch persönliche Dienste leisten (höchst wahrscheinlich, weil es jetzt schon so ist).

AppStores werden nicht nur das Individuum, sondern auch Unternehmen versorgen (wahrscheinlich und unkritisch). IT-Manager stehen damit vor neuen Herausforderungen (das stimmt immer, denn sie sind seit Client/Server und Internet permanent im Hamsterrad der Veränderungen). Zu den Neuerungen gehört die Einrichtung von Unternehmens-AppStores, das Management unterschiedlicher Vertrags- und Bezahlmodi und die Integration unterschiedlichster Anwendungen (stimmt, aber ist es auch richtig?).

Das wird bis zum Cloud Service Brokerage weiter getrieben. Die IT-Abteilung wird Vermittler und Enabler von zusätzlichen Personal Productivity Products (aber war sie das nicht schon immer?)!

Das Internet der Dinge wird kommen (das hat dieser Blog schon oft genug vorhergesagt)!

Big Data wird strategisch – nach ersten Einzelprojekten wird die Massendatenverarbeitung in der Wolke zur „strategischen Infrastruktur“ (genauso läufts immer – über das Projekt zum Prozess). Im Zuge dieser Strukturierung werden Information Warehouses außerhalb der Unternehmens-IT errichtet (abwarten, noch sind das Vertrauen und die Gesetzeskonformität nicht überall gegeben). Der Vorteil werde aber darin bestehen, dass Big Data-Dienstleister zusätzliche Anstrengungen unternehmen werden, um Analysen transparent und nachvollziehbar zu machen (ja, das wäre dann Marketing).

Und warum wird jedermann dies auf seinem mobilen Client nachvollziehen können? Weil In-Memory-Computing nicht nur im SAP-Umfeld, sondern überall reüssiert (angesichts der Verkaufserfolge von HANA eine logische Schlussfolgerung). Analysen werden eine Sache von Minuten, statt Stunden (unwahrscheinlich – denn die Analysen werden im Gleichschritt immer komplexer).

Summa summarum wird sich aus einer heterogenen Wolken-Welt ein neues Ökosystem ergeben, dass die Services vieler (auch der kleinen und mittleren Anbieter) in einen Gesamtzusammenhang stellt (eine Vorstellung, die wir schon bei Client/Server und bei SOA hegten).

Alles das wird eintreten, da können wir zusammen mit der Gartner Group sicher sein – nur nicht genauso wie vorhergesagt. Sondern ein wenig anders – dies ist auch eine Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Abgespeckt und abgepackt

Gäbe es einen Nobelpreis für Prozessinnovationen, dann hätten deutsche Ingenieure Jahr um Jahr gute Chancen auf diese Auszeichnung. Denn das permanente Herumbosseln an Prozessen, Projekten und Strategien ist eine geradezu sprichwörtliche Paradedisziplin der Deutschen. Kein Wunder also, dass der plakative Titel „Industrie 4.0“ so gar nichts Futuristisches an sich hat. Industrie 4.0 ist bereits heute –in zahllosen Einzelprojekten zwischen Achim und Zugspitze.

Und tatsächlich gibt es doch so etwas wie eine Mini-Nobelauszeichnung der Prozessoptimierung. Verliehen wird er jedes Jahr im Oktober in Berlin, wenn die Bundesvereinigung Logistik zum Deutschen Logistiktag einlädt. Aus einigen guten Dutzend Bewerbungen wählt die hochkarätig besetzte Jury die erfolgreichsten Strategien und Geschäftsideen aus. Dabei haben alle Projekte bereits die wichtigste Auszeichnung erhalten – nämlich die erfolgreiche Praxiserprobung.

Dabei ist es faszinierend, dass die Projektarbeiten stets multidisziplinär sind. Ohne IT geht kaum noch was. Aber ohne intensive Verhandlungen zwischen Lieferanten und Kunden, zwischen Partnern in der Supply Chain läuft auch nichts. Industrie 4.0 geht nicht ohne Kommunikation 4.0.

Das macht der diesjährige Preisträger, der Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck, auf eindrucksvolle Weise deutlich. Ausgezeichnet wurde sein Konzept, die rund 3500 verschiedenen

Packmittel – vom Fass bis zur Ampulle, von der Blisterfolie bis zum Schraubverschluss – nicht mehr in großer Stückzahl auf Lager vorzuhalten, sondern Just-in-Time durch die Lieferanten heranbringen zu lassen.

Der Ertrag ist beträchtlich: Merck konnte nach der Umstellung das gebundene Kapital von 14,5 Millionen Euro nahezu halbieren. Aber der Erfolg birgt auch Risiken. Denn jeder Logistikleiter weiß: ein Tag ohne Packmittel ist ein Tag ohne Umsatz. Neben diesem betriebswirtschaftlichen Grundsatz gelten für Pharmahersteller wie Merck zusätzliche gesetzliche Richtlinien, die zur besonderen Qualitätssicherung anhalten. Auch Packmittel müssen geprüft, getestet und zertifiziert werden – und das Charge für Charge.

Das geht nicht ohne die Mitarbeit der Lieferanten, die einerseits Qualitätsprüfungen im Warenausgang vornehmen, andererseits aber auch höchste Qualitätserwartungen erfüllen. Überprüft wird dies durch regelmäßige Audits, in denen die Lieferanten Sorgfalt und Compliance nachweisen. Dafür zahlt man dann auch im Zweifel mal etwas mehr für die Kiste…

Das aber ist vielleicht der wahre Standortvorteil, den die Deutschen genießen können: ein dicht geknüpftes Netz aus Hochleistungs-Lieferbeziehungen. Exzellenz ist keine Einzelleistung, sondern ein Teamplay. Merck spart, weil nicht an der Kommunikation gespart wird.

Die Automobilindustrie hat vorgemacht, wie ein minutiöses Taktgefühl im Wertschöpfungsprozess nicht nur zu günstigeren Produktionen, sondern auch zu zusätzlichen Leistungen führen kann. Dabei ist der Taktgeber nicht mehr das Fließband, sondern die Informations- und Kommunikationstechnik. Erfolgreiche Lieferbeziehungen schlagen mit dem Puls der Mikroprozessoren – egal, ob sie in einem Server, einem Laptop oder in einem Smartphone arbeiten.