Software as a Slow Seller

Einen 15 Milliarden Dollar schweren Markt hatte der damalige SAP-Chef Henning Kagermann gesichtet, als er im Herbst 2007 mit Business by Design die Segel für ein neues Sales Race im Softwaremarkt setzte. 60.000 bisher von SAP nicht betreute Unternehmen allein in Deutschland und den Vereinigten Staaten waren das Ziel. Heute sind es in allen von ByD unterstützten Ländern ein halbes Tausend Firmen, die sich die Software als Service aus der Steckdose runterholen. Die Software kommt, aber sie kommt nur allmählich auf Touren.

Man muss nicht gleich von Misserfolg reden – aber eines wird doch deutlich: Das Neukundengeschäft ist hart und wird auch „as a Service“ nicht gerade zum Selbstläufer. Das ist kein ByD-Mysterium und erst recht kein SAP-Phänomen. Der Blick auf Microsofts Bilanzen zeigt, dass das Neukundengeschäft kaum Impulse für die Bilanz bringt. Der Schwung, den beispielsweise Windows 7 in die Umsätze brachte, kompensierte gerade mal die durch Vista verursachten Ausfälle. Auch bei Microsoft wird im großen Stil bei Bestandskunden modernisiert und ausgetauscht. IBM positioniert mehr als 60 Prozent seiner Infrastrukturumsätze bei langjährigen Mainframe- und Serverfarm-Kunden.

In einer aktuellen Studie, die soeben auf dem Gartner Outsourcing & Vendor Managemetn Summit in Orlando vorgestellt wird, zeigen die Analysten auf, wie zäh das Geschäft mit der weichen Ware ist. Praktisch alle Global Player generieren ihr Wachstum aus der bestehenden Kundenbasis heraus. Neugeschäft entsteht vor allem durch den Zukauf zusätzlicher Leistungsbereiche – allen voran Business Intelligence, die bei allen ERP- und Infrastrukturanbietern das Geschäft belebt. Die Einkaufstouren der vergangenen Monate haben klar erkennen lassen: Das Komplettangebot wird abgerundet. Der Wettlauf um die Whole-Position zielt nicht auf die Weltherrschaft in unbekannten Lebensräumen, sondern auf die Hegemonie im eigenen Einflussbereich.

HP, IBM, Microsoft, Oracle und SAP zäunen ihre Bestandskunden ein – on premise sozusagen. Denn sie versprechen auch weiterhin Nettomargen von attraktiven 35 Prozent im Softwaregeschäft. Dieses Melkgeschäft darf der Wettbewerb nicht stören. Der Markterfolg von Salesforce.com hat gezeigt, wie gefährlich es sein kann, das eigene Kundenterritorium nicht genügend abgeschirmt zu haben. Denn es war vor allem der Ease-of-Use des neuen CRM-Angebots, der die Siebels dieser Welt alt aussehen ließ und Salesforce ein Eindringen in fremde Bestände erlaubte. Das On-Demand-Modell hat diesen Prozess vielleicht beschleunigt, aber nicht wirklich verursacht.

Denn Software ist und bleibt ein Slow Seller. Zwar kommt das Wachstum künftig as a Service, aber Marge bringt erst die Langfrist-Beziehung. Das ist das Naturgesetz des Softwareverkaufs, das auch durch die Cloud nicht vernebelt wird. OnDemand-basierte Geschäftsmodelle werden erst nach drei Jahren attraktiv – für den Anbieter. Deshalb: Wo heute Wartungsgebühren und Migrationskosten den Anbieterwechsel, wenn nicht unmöglich machen, so doch erschweren, werden morgen die Ausstiegsklausen der Service Licence Agreements zu suchen sein.

Je höher die Investments aus Anbietersicht sind, umso einfallsreicher ist der Artenschutz für Bestandskunden. Während heute vor allem Commodity-Angebote den Eindruck erwecken, der Anbieterwechsel sei on demand ohne weiteres möglich, zeigen die ersten Erfahrungen mit komplexeren Lösungen, dass der Abschied von einer OnDemand-Plattform genau so schwer ist wie der Ausstieg aus einem OnPremise-Investment. Und der Markt für ERP-Lösungen ist im Lebenszyklus-Modell der Gartner Group noch weit von der Euphoriephase entfernt. Henning Kagermanns 15-Milliarden-Dollar-Markt existiert mit Sicherheit. Die Frage ist nur: Wann?

Das Milliardenspiel

Ist das jetzt eine gewonnene Milliarde oder nur eine nicht verlorene Milliarde? Oder handelt es sich bei der Sensationsstrafe, zu deren Zahlung an Oracle SAP verurteilt worden war, lediglich um eine  Schimäre, um nicht zu sagen: Scheinbuchung. SAP hatte bislang keine Rückstellungen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar errichtet – und hat deshalb jetzt auch keine entsprechenden zusätzlichen Mittel frei.

Dennoch, mit einem leichten Hüpfer reagierte die Börse auf die Entscheidung der kalifornischen Distriktrichterin Phyllis Hamilton, das Aufsehen erregende Strafmaß als „extrem überzogen“ zu kassieren und auf vorerst 272 Mio. Dollar festzusetzen. Was nun passieren wird, liegt wohl mehr oder weniger in Larrys Hand. Entweder gibt sich Oracle mit der guten Viertelmilliarde zufrieden – oder rollt den gesamten Prozess noch einmal auf.

Es gibt viele Gründe für Larry Ellison, Oracles charismatischem Führer, den „Softwareklau“ durch SAPs Tochter TomorrowNow nicht auf sich beruhen zu lassen. Bei Wiederaufnahme des Verfahrens kann noch einmal die ganze Breitseite an Vorwürfen gegen den Erzrivalen vorgebracht werden – und das, obwohl SAP die eigene Schuld längst eingestanden und sich zu entschuldigen versucht hatte. Aber gerade jetzt, wo SAPs Co-CEP Bill MCDermott große Positivwerte in den USamerikanischen Medien für sich und seine Firma verbucht, wäre ein neuerliches Verfahren ein Rückschlag für das Amerikageschäft der Walldorfer Software-Company. Und das ist durchaus im Interesse des Erzrivalen Oracle.

Mindestens ebenso interessant aus Ellisons Perspektive dürfte es deshalb sein, nicht nur Bill McDermott noch einmal vor die „Bench“ zu zerren, sondern einen zweiten Versuch zu unternehmen, den jetzigen HP-Lenker Léo Apotheker in den Zeugenstand zu rufen. Der hatte sich, weil kurz nach Amtsantritt bei HP und auf weltweiter Kennenlerntour unauffindbar, bisher einer Aussage zu den Vorwürfen um TomorrowNow entziehen können. Ob das noch mal gelingt, darf bezweifelt werden.

Damit bleiben die drei Rivalen – SAP, Oracle und Hewlett-Packard – weiterhin auf verhängnisvolle Weise miteinander verwoben: sie können voneinander nicht lassen.

  • Auf SAPs Versuch, sich von Oracle-Datenbanken zu befreien, reagierte Ellison mit dem Zukauf von Softwarehäusern. Diese Software-Konkurrenz mag Teile in der SAP zur – inzwischen ja eingestandenen – Spionage verleitet haben.
  • Mit der Übernahme von Sun Microsystems durch Oracle erhöhten sich zugleich die Reibungspunkte mit HP. Als dort Mark Hurd der Chefsessel vor die Tür gestellt wurde, nahm Larry Ellison den verletzten Freund in seine Führungsriege. Seit dem stehen auch Oracle und HP gegen einander vor Gericht.
  • Und schließlich verdichten sich die Gerüchte, wonach HP auf der Suche nach einem Software-Standbein ist – und SAP würde nicht nur perfekt passen. Es ist auch die Company, die Apotheker aus dem Effeff kennt.

Nicht einmal auf hoher See können sich die Protagonisten und Antagonisten dieser verzwickten Dreierbeziehung aus dem Weg gehen, wie wir aus dem Anekdotenschatz der IT-Szene wissen. Die Kontrahenten sind, wie es Franz Werfel so umwerfend formulierte, “zwistiglich vereint“. Aber dieses Beziehungs-Paradox kann nicht durch Gerichte aufgelöst werden, sondern nur durch unternehmerische Entscheidungen um die richtige Cloud-Strategie. Das ist das wahre Milliardenspiel.  Es wird derzeit wie es scheint auf der Klaviatur persönlicher Animositäten gespielt.

Mehr Jobs für alle

Die Nachricht vom bevorstehenden Abschied hat die ganze Szene in Verzweiflung gestürzt. Nach 35 Jahren soll nun also Schluss sein. Die bayerische Kult- und Anarchoband „Biermösl Blosn“ ist nicht mehr. Die Brüder Well aus Günzlhofen nahe dem namengebenden Biermoos verabschieden sich von ihren Fans. Kann es nach den Biermösl Blosn überhaupt noch politisch inspirierte Volksmusik geben?

Die Nachricht traf umso härter, als einen Tag zuvor auch Steve Jobs seinen Abschied nahm. Und seit dem läuft die Medien- und IT-Welt gaga. Die Financial Times Deutschland änderte ihr Layout, aber nicht etwa für einen Abschiedsbrief an den charismatischen Apple-Chef, sondern um in einem offenen Brief an dessen designierten Nachfolger („Sorry, Mr. Cook“) klar zum Ausdruck zu bringen: Du wirst es nicht bringen. Du hast es nicht drauf. Das ist ein Job für Jobs und sonst niemand.

Auch das öffentlich-rechtliche Nachrichtenwesen geriet aus der Peilung. Der lifestyle-orientierte SWR brachte die Jobs-Meldung als Top-News, danach folgte die Einschätzung des Magazins Forbes, dass Angela Merkel die mächtigste Frau der Welt sei, und danach kam noch irgendwas mit Libyen.

Ja, glauben wir denn wirklich allen Ernstes, dass Apple ohne Jobs den Bach runtergeht? Dass jetzt die Zeit der iDeen vorbei ist? Wenn Jobs wirklich der Jahrhundertunternehmer ist, den die Medien ihm jetzt zuschreiben, wie kann er dann einen solchen Anfängerfehler machen und angesichts seiner Krankheit keinen geeigneten Nachfolger aufgebaut haben. Hat er aber.

Unternehmenslenker prägen ihre Firma und den Markt, für den sie arbeitet. Aber sie sind nicht unersetzlich. Wie geradezu austauschbar dieser Posten bei aller Prägung und Prägnanz sein kann, beweist insbesondere Hewlett-Packard, das mit äußerst charismatischen und richtungsweisenden Konzernchefs seit einem Jahrzehnt die Branche in Aufregung oder zumindest in Amüsement hält. Carly Fiorina schmiedete den größten PC-Hersteller, Mark Hurd baute den umfassenden Hardware-Konzern und Léo Apotheker macht in Software.

Keiner von diesen hat jene geradezu messianischen Salbungen erhalten, die jetzt Steve Jobs zugeschrieben werden. Und doch haben sie ihre Zeit geprägt und prägen sie noch. Denn der Unverzichtbarkeitsmythos ist kurzlebiger als man in der Sekunde des Abschieds zu glauben meint. Microsoft ohne Bill Gates? IBM ohne Thomas J. Watson? Google ohne Eric Schmidt? Geht doch, oder? Oracle ohne Larry Ellison wird auch gehen.

Und doch brauchen wir diese charismatischen Firmenlenker, die mit dem arroganten Allmachtsanspruch nicht dem Markt den nächsten Trend von den Lippen lesen, sondern soufflieren. Wir brauchen aber nicht einen Steve Jobs für immer, sondern viele Jobs für alle. Wir brauchen mehr Spitzenmanager mit dem Willen zum Gestalten – und nicht Gestalten mit dem Willen zur Konzernspitze. Wir sollten nicht dem einen nachweinen, sondern die anderen aufbauen.

Dies soll die Lebensleistung von Steve Jobs nicht schmälern. Vom iMac bis zum iPad hat er zwei Generationen ihre Identifikationstechnologie geschenkt. Sein souveräner Abschied angesichts einer seriösen Erkrankung reißt ihn nicht aus unserer Mitte. Er verlässt das Hamsterrad des Erfolgs aus eigenen Stücken, ehe er hinausgeschleudert werden kann. Das ist die wahrhaft charismatische Leistung.

Oder wie schon die Well-Brüder in ihrem Fensterln-Lied „Window 98“ hellsichtig stabreimten: „Aus! Apple! Amen!“

Kampf in den Wolken

Wir kennen das aus Actionfilmen: Der Kampf in den Wolken verlangt Flugmanöver voller Finten und Finessen. Den Immelmann zum Beispiel, der einen halben Looping mit einer halben Schraube kombiniert und so die schnelle Richtungsänderung ohne Tempoverlust erlaubt. Muss man schon drauf haben, wenn man den Gegner in den Wolken abhängen will. Aber Vorsicht: Man kann bei diesem Manöver ganz schnell an Höhe verlieren…

Léo Apotheker hat mit zwei halben Kursmanövern einen Immelmann für HP versucht. Die Ankündigung, eventuell das PC-Geschäft abzustoßen (halber Loop), verbunden mit der Ankündigung, das britische Softwarehaus Autonomy zu schlucken (halbe Schraube) hat Analysen schockiert. Die HP-Aktie verlor brutal an Höhe, der neue Kurs – raus aus dem Consumer-Markt, rein ins Enterprise-Business – ist gefährdet.

Motorola hatte schon zum Jahresbeginn seine Flugformation aufgelöst und die eine Staffel auf Comsumer-Absch(l)üsse (Motorola Mobility), die andere auf Enterprise-Ziele (Motorola Solutions) ausgerichtet. Das gewagte und schon 2008 diskutierte Manöver kam offensichtlich zu spät: Google hat Motorolas Consumer-Staffel mit einem Flächenabwurf von 12 Milliarden Dollar noch in der Startphase erwischt und reiche Beute gemacht: 17000 Patente. Die Zukunft der Enterprise-Staffel ist nun ebenfalls ungewiss.

Dabei ist es ganz richtig, vor schwierigen Flugfiguren erst einmal ordentlich Ballast abzuwerfen. IBM hat dies längst getan, als es sein PC-Geschäft ausklinkte und seitdem in der Enterprise-Stratosphäre seine Kreise zieht. Die PC-Staffeln haben längst ihre Schubkraft für die Bilanzen eingebüßt, wie Microsoft jetzt schmerzlich im Windows-Markt spürt: Im zweiten Quartal des Jahres wurden 43 Prozent aller Smartphones mit Googles Android ausgestattet, 61 Prozent aller TabletPCs kommen von Apple. Und Windows 8 liegt noch flugunfähig im Hangar. Microsoft steckt im Zweifronten-Krieg zwischen Consumer-Markt und Enterprise-Business.

Und genau aus diesem Dilemma will Léo Apotheker jetzt seine Company mit der Immelmann-Kurve befreien: Raus aus dem Consumer-Markt, der längst zwischen Google, Apple und Microsoft aufgeteilt sein dürfte. Dafür aber rein ins Business-Segment, wo IBM, Oracle und Microsoft schon sind. Für diesen Kampf der Giganten ist „HP-minus-PC-plus-EnterpiseSearch“ aber eigentlich zu schwach – denn für die Lufthoheit im obersten Marktsegment braucht es mehr als Prozessoren, Speicher, Betriebssysteme, Services und Systemmanagement. Dem HP-Geschwader fehlt eine eigene Datenbank ebenso wie ein BI-/ und Reporting-Werkzeug zur Luftaufklärung. Eine eigene Anwendungs-Suite wird ebenso vermisst wie die Middleware zur Anwendungsintegration.

All dies hat SAP – haben Apothekers alte Kampfgefährten! Deren Führungsstab will gerade vom Boden der OnPremise-Lösungen abheben, um über ByDesign in die Wolken aufzusteigen. Dabei sollen Apps für den mobilen Entrepreneur für die nötige Wendigkeit beim Instrumentenflug sorgen. Doch auf lange Sicht fehlen SAP die globalen Stützpunkte mit jener Infrastruktur, die heute HPs Stärke ausmachen.

Es wäre nicht überraschend, wenn sich demnächst über den Wolken neue Allianzen auftun. Die Freiheit dazu ist jedenfalls grenzenlos. Deshalb muss HPs Kurs schnell wieder an Höhe gewinnen. Sonst droht die Bruchlandung, der Crash.