Alibaba und die 40 Roboter

2001 kam Jack Ma zum ersten Mal zur CeBIT nach Hannover. Auf einem kleinen, kaum besuchten Messestand bot er in China produzierte IT-Produkte an, um zu testen, ob sich für sie in der westlichen Welt ein Markt auftun könnte. Letzte Woche kam er zurück – als Keynote-Speaker zur CeBIT-Eröffnung. Hinter ihm steht mit der Alibaba Group die größte chinesische IT-Firmengruppe mit rund 22000 Mitarbeitern. Seine Botschaft: Geschäftstransaktionen sollen mit dem Smartphone genauso einfach werden wie Selfies.

Die Hoffnung der Wirtschaft: Wenn dann auch täglich so viele Transaktionen getätigt werden, wie heute Selfies geschossen, kann die Wirtschaft nur boomen.

Es sind dies die Geschichten, von denen die weltgrößte IT-Messe CeBIT lebt: gestern noch Demopunkt, heute schon Mittelpunkt.

Und weil der Markt immer dynamischer wird, weil die lokalen Anbieter von heute schnell zu den globalen Anbietern von gestern aufschließen können, hat die Deutsche Messe AG in bislang nie dagewesener Weise den Hoffnungsträgern von morgen, den Startups, Gründern und Investoren eine Bühne bereitet. Die CeBIT hat damit auch wieder zu jener Aufbruchsstimmung und Innovationseuphorie zurück gefunden, die sie vor 29 Jahren in die Unabhängigkeit von der Hannover Messe Industrie trieb.

Damals war dies eine Frischzellenkur für die Wirtschaft. Denn in den 1980er und vor allem 1990er Jahren entstanden zahllose Software- und Service Companies, die die Informationswirtschaft überhaupt erst zu jener Branche gemacht haben, die am Arbeitsmarkt gleichwertig neben Automotive, Maschinenbau und Chemie rangiert. Heute sollen die Startups die Frischzellen, wenn nicht sogar Stammzellen für eine sich in der Digitalen Revolution vollends transformierende Wirtschaftswelt liefern.

Vor allem der Mittelstand soll davon profitieren. Passend zur CeBIT-Diskussion lieferte die „Welt am Sonntag“ die von KfW Economic Research beigebrachten Daten: Deutsche Mittelständler sind nicht nur immer älter. Sie investieren auch weniger, je älter sie werden. Denn nicht nur war im Jahr 2013 der deutsche Durchschnittsunternehmer 51 Jahre alt (2002 waren es noch nur 45 Jahre). Zugleich investieren aber nur 37 Prozent der über 60jährigen Firmenlenker ins eigene Unternehmen. Die Unter-40jährigen hingegen sehen mehrheitlich (57 Prozent) Grund, Geld fürs Fortkommen im eigenen Unternehmen in die Hand zu nehmen.

Da hilft es wenig, wenn der Mittelstand allenthalben zur Eile aufgerufen wird, um die Digitalisierung der Geschäftsprozesse im eigenen Unternehmen voranzutreiben. Es ist durchaus denkbar, dass es in einigen Unternehmen erst eines Generationswechsels bedarf, ehe das Management die Notwendigkeit einsieht, auf einen Markt zu reagieren, der heute schon – aber künftig mehr und mehr – Individualprodukte zum Preis eines Massenprodukts kaufen will.

Wenn es die Senior Entrepreneurs nicht sehen, die Old Economy scheint das längst erkannt zu haben. Insofern lief auf der CeBIT mit SCALE 11 und CODE_n nicht nur die Show „Deutschland sucht den Super-Startup“, sondern auch eine Wiederauflage des Klassikers „Die Imperien schlagen zurück“. Vor allem Telekom, Volkswagen und RWE benutzten ihre Standfläche als Casting-Show für die nächste Generation an Unternehmen, denen das Stichwort „Industrie 4.0“ bereits auf den Leib tätowiert ist. Und es wäre keineswegs überraschend, wenn neben dem deutschen Schriftzug auch hier das chinesische Synonym auftauchen würde.

Aber zur Stärkung der deutschen Startups fanden sich auf der CeBIT auch namhafte Top-Manager als Mentoren für die Junggründer ein. Mark Miller (Volaris) wird seine Expertise ebenso für die deutschen Startups in den Ring werfen, wie das Finanzwunderkind Carsten Maschmeyer. Sie wollen, dass der Mittelstand von unten erneuert, modernisiert und international wird.

Und weitere konkreten Ergebnisse waren auf der CeBIT zu sehen: In der CODE_n Halle schnitten orange KUKA-Roboter individuelle Formen aus Schaumstoff und inszenierten so ein Pas de Quatre à la Industrie 4.0. Ein spezieller Barroboter mixte Drinks und veranschaulichte auf diese Weise, wie die Fertigung in der Prozessindustrie aussehen könnte. Beide Szenarien aber zeigen, worum es bei der Digitalisierung der Fertigungsprozesse tatsächlich geht: die Produktion von Individualprodukten mit den Methoden der Massenproduktion.

Wir können auf die Hannover-Messe gespannt sein.

Ach ja: Alibaba-Chef Jack Ma zeigte auf der CeBIT life, wie er eine Sammlerbriefmarke für Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok auswählte und kaufte, während die Authentifizierung mit einem Gesichtsscan erfolgte. Mehr dazu gab es nicht. Die Briefmarke sollte inzwischen angekommen sein. Die Software gibt es demnächst.

Die Rückkehr der Turnschuh-Ritter

Es ist noch keine zwei Jahrzehnte her, da belächelten die gestandenen Messe-Füchse auf der CeBIT in ihren dunklen Anzügen jene Besucher, die in Turnschuhen, abgewetzten Jeans und schrägen Frisuren bevorzugt am Wochenende die Messestände bevölkerten. Doch statt sich von den Rampensäuen an der Schwelle zum Messestand eine Abfuhr zu holen, hat sich die eine Hälfte der jungen IT-Freaks bei den Firmen beworben und in Chinos und Polo-Shirt längst für eine Änderung der Kleiderordnung gesorgt.

Die andere Hälfte der Turnschuh-Fraktion füllt inzwischen die Halle 11 der CeBIT. Dort tummeln sich mit „Scale 11“ diejenigen, die sich zu intelligent, zu individuell, zu unternehmerisch fühlen als sich auf die Ochsentour durch eine verkrustete IT-Landschaft zu begeben. Das kann man auch auf immerhin 5000 Quadratmetern in der Halle 16 besichtigen, wo 50 ins Finale des CODE_n CONTEST „Into the Internet of Things“ vorgestoßene Gründerunternehmen ihre Produktideen zu Themen wie Digital Life, Future Mobility, Smart City und Industry 4.0 präsentieren.

Gründer sind Unternehmer reinsten Wassers und nicht nur im Begriff, sich selbst eine Zukunft zu bauen. Sie sind vor allem dabei, die Zukunft der IT umzuschreiben. Denn kaum etwas ist augenfälliger als die händeringende Suche der Global Player im IT-Business nach jungen Partner-Unternehmen, die den Weg in die Cloud und in das mobile und soziale Web mit innovativen App-Entwicklungen und neuen Geschäftsmodellen weisen. Es sind die Startups, von denen jene disruptiven Innovationen erwartet werden, die die klassischen IT-Boliden wieder mit neuer APPS-Stärke versorgen sollen.

Schon vor der CeBIT wurde den Gründern mit dem Start Camp in Berlin eine Bühne eröffnet – in diesem Jahr bereits zum fünften Mal. An zwei Tagen wurden hier Ideen und Kapital miteinander verkuppelt. Nach Ansicht des Bundesverbands Deutsche Startups entsteht hier heute das, was morgen den deutschen Mittelstand beflügeln wird – auch wenn jedes zweite Unternehmen scheitert oder nicht auf Dauer besteht.

In der Tat: Die Geschäftsidee eines Startups ist nicht per se gut, die Weiterentwicklung einer Kernkompetenz nicht per se schlecht. Den Mittelstand zeichnet beides aus: Mut zur Gründung und Mut zur konsequenten Weiterentwicklung. Dabei ist es nicht die soundsovielte Pizza-App, nicht der nächste Reisevermittler und schon gar nicht der nächste Chat, für die Startups Investorengeld in die Hand nehmen (sollten). Am Ende entscheidet immer noch der Markt darüber, was erfolgreich ist und was nicht. Was Startups aber so interessant und für eine Wirtschaft so vielversprechend macht, ist die Risikobereitschaft, mit der in eine identifizierte Marktlücke vorgedrungen wird. Etablierte Unternehmen haben da insofern einen Nachteil, als sie mit 100 Mitarbeitern und mehr nicht mehr so leichtfüßig „bet-the-company“ spielen können, wie das drei Studienabsolventen tun können. Firmengründen ist wie forschen, sagt Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Startups. Und recht hat er – was geht und was nicht, das herauszufinden ist die Mission von Startup-Unternehmen. Wenn sie scheitern, sollen sie nicht an eigenen Unzulänglichkeiten scheitern, sondern an den Marktgegebenheiten. Deshalb ist Mentoring für den Erfolg einer Startup-Szene so wichtig. Nichts wäre trauriger, als wenn eine gute Marktidee durch mangelndes Managementwissen behindert würde. Deshalb engagiere ich mich selbst bei der Rekrutierung von erfahrenen Mentoren, die den jungen Gründern über die schwierigen Monate der Kinderkrankheiten eines Unternehmens hinweghelfen.

Es ist gut, wenn sich in Deutschland eine Gründer-Szene rührt. Es ist gut, wenn Investoren die Attraktivität neuer Ideen kaufmännisch bewerten und dann entweder unterstützen oder verwerfen. Und es ist gut, wenn sich Mentor-Ringe bilden, in denen Jungunternehmer die praktische Hilfestellung erfahren, die in der Anfangsphase über Wohl und Wehe einer Neugründung entscheiden kann. Es ist aber nicht gut, wenn Fördergelder dazu benutzt werden, jede beliebige Geschäftsidee zu pampern. Jede Geschäftsidee muss sich gegenüber der Brutalität des Marktes bewähren.

Dazu sind Veranstaltungen wie in Berlin und Hannover bestens geeignet. Mit Elevator-Pitches und Jury-gestützten Auswahlverfahren werden dort Geschäftsideen auf den Prüfstand gestellt. Der Marktplatz der Ideen im Startup Camp, in Scale 11 oder in CODE_n stellt einen ersten Stresstest dar. Wer ihn besteht, kann nicht sicher sein, dass der Markt ihn belohnt. Aber er hat einen ersten Survival-Test bestanden. Ob in Turnschuhen oder im Zweireiher ist dann nebensächlich.

Hannover Messe CeBIT Industrie 4.0

Wir schalten zurück ins Frühjahr 1985. In den Marketingabteilungen von rund 7000 Unternehmen laufen die Vorbereitungen für den Auftritt zur Hannover Messe Industrie auf Hochtouren. Im April werden dort wieder die Tore geöffnet, um Bagger, Kräne, Fließbänder und Fertigungsmaschinen zu zeigen. Auch Roboter – oder richtiger: Handhabungsautomaten – werden präsentiert. Und natürlich das „Centrum für Büro- und Informationstechnik“ mit 1300 Ausstellern, das wegen der nur schwer ab- und aufzubauenden Mainframes Ganzjahres-Dauergast in der Halle 1 am Nordeingang war.

Kurzer Exkurs: Auch wenn keine Messe war – nirgendwo auf der Welt gab es so viele „Mipse“ wie im Keller der Halle 1. „Mips“ (oder Milion Instructions per Second) war damals die Maßeinheit für Großrechnerleistungen, die heute längst durch  „Gips“ und „Tips“ abgelöst sind. Aber wer zählt heute noch so? Exkurs Ende.

Doch bei 870 EDV-Unternehmen gab es keinerlei Vorbereitungen. Sie hatten von der Deutschen Messe AG eine Absage erhalten. Denn obwohl das CeBIT bereits auf zwei weitere Hallen ausgewichen war, fehlte der Platz für die Repräsentanten der digitalen Revolution. Die logische Konsequenz führte zur ersten alleinigen CeBIT – einen Monat vor der Industriemesse – im Jahr 1986.

Doch 1985 wurde noch heftig Ungemach über die Deutsche Messe AG ausgekübelt. Eine „Fehleinschätzung, die von der Geschichte bestätigt werden wird“, war die Loslösung des CeBIT für Roland Mecklinger, damals Vorstandsmitglied der SEL (Standard Elektrik Lorenz, wer erinnert sich?, heute Alcatel-Lucent). Auch der legendäre Heinz Nixdorf, der freilich die Erfolgsstory der unabhängigen CeBIT nie erleben sollte, weil er auf der ersten unabhängigen CeBIT einem Herzinfarkt erlag, grummelte vor 30 Jahren: „Wir wurden nicht gefragt!“

Inzwischen wurden Hunderttausende gefragt und haben „Ja“ gesagt zur unabhängigen CeBIT – in der nächsten Woche also zum 29sten Mal.

„Die CeBIT“ ist heute längst keine Messe der Informationswirtschaft und Telekommunikation. Sie ist ein gesellschaftspolitisches Ereignis. Sowas wie das Weltinformationswirtschaftsforum – nur nicht in Davos, sondern in Hannover. Mit Themen wie der „Shared Economy“, der „Datability“ oder der „Digitalen Fabrik“ und der „Digitalen Ökonomie“ hat die CeBIT einen gesellschafts-relevanten Charakter. Sie wird inzwischen ebenso im Feuilleton zitiert wie im Wirtschaftsteil einer Zeitung. Ihre Präsenz als politische Weltbühne wird bestätigt durch die Teilnahme von Angela Merkel, David Cameron oder, ach ja: Arnold Schwarzenegger.

So wie soziale Medien, autonomes Autofahren, RFID, Big Data die Wirtschaft beeinflussen, so verändern diese Themen auch unser gesellschaftliches Selbstverständnis. Und die CeBIT ist das Messe-Spiegelbild dieser Diskussion. Sie ist ein Vielfaches größer als die Consumer Electronics Show in Las Vegas und der Mobile World Congress in Barcelona.

Aber kann sie angesichts des Megatrends rund um Industrie 4.0 noch ohne die Industriemesse? Frisst die Revolution ihre Kinder? Oder ist es gar eine Konterrevolution, die das Thema Informationswirtschaft mit der industriellen Fertigungswelt (wieder)vereint? 1985 kündigte IBM an, der Industriemesse treu zu bleiben, weil die CeBIT ohne das industrielle Umfeld der Hannover Messe ihre Kundschaft verlieren könne. Später gehörte IBM zu den größten Ausstellern auf der CeBIT. Und heute hat das Unternehmen praktisch keinen Bezug mehr zur Industrie.

Das aber haben zahllose Startups, die sich mit ihren Produktideen sowohl auf der CeBIT als auch auf der Industriemesse wohl fühlen würden. Nächste Woche sind sie in einer proppenvollen Halle 11 zu besichtigen und werden im April ebenfalls in den Nischenpräsentationen der Industriemesse zu sehen sein. Viele globale Player der Fertigungsautomation, der Logistik oder der Datenanalyse sehen sich längst wieder hin und hergerissen zwischen den beiden weltweiten Leitmessen.

Die Deutsche Messe AG wird handeln müssen. Mit Industrie 4.0 hat sie ein Luxusproblem. Für eine Zusammenlegung gibt es aus Gründen des Zeitmanagements und der Platzverfügbarkeit keinen vernünftigen Grund. Aber – Überraschung, Überraschung – beide Messen rücken durch die Digitalisierung der Geschäftsprozesse wieder näher aneinander. Und gleichzeitig exportiert die Deutsche Messe äußerst erfolgreich ihr Messekonzept ins Ausland – zuletzt nach Indien. Global Conferences around the world and around industry 4.0 – die Deutsche Messe Hannover CeBIT Industrie 4.0 wäre ein deutscher Exportschlager.

 

 

angeTTIPt

Wir müssen noch einmal zurückkehren in den Sommer 2013, als Edward Snowden die NSA-Affäre lostrat. Damals, durchaus unbemerkt von der wie immer breiten Öffentlichkeit, wurde auch der Startschuss für die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union gegeben. Und eine Reihe von Populisten hierzulande hatte damals schon gerufen: Nicht mit diesen Rechtsbrechern! Beim Handel zeigen wir den Amerikanern, was Europa unter Freiheit versteht!

Dann war das gesagt – und Snowdens Enthüllungen blieben in der öffentlichen Diskussion, die TTIP-Verhandlungen jedoch nicht.

Heute spricht kaum jemand von Snowden und der NSA-Affäre. Dagegen ist das TTIP oder offiziell Transatlantic Trade and Investment Partnership jetzt ein echter Aufreger.

Nun waren ja Handelsabkommen noch nie der große Quotengarant. Das zwischenstaatliche Geschachere um Zölle, Tarife und Marktzugänge betrifft zwar unsere wirtschaftliche Entwicklung und das, was wir in den Supermarktregalen vorfinden, es hat aber – gefühlt – weniger Brisanz als, sagen wir mal, die Aufholjagd von Borussia Dortmund.

Es musste erst das Chlorhuhn aus US-amerikanischen Chicken-Farms auftauchen, ehe die europäische und besonders die deutsche Seele ins brodeln geriet. Die abstrakte Sorge nämlich, dass über die Vereinheitlichung von Zulassungsstandards und -methoden der Verbraucherschutz und der Umweltschutz Schaden nehmen könnten, hatte plötzlich ein konkretes Schreckensmonster. Dass es umgekehrt US-amerikanischen Verbrauchern vor schimmelndem französischem Käse grauen könnte, zeigt eher, wie sehr eine transatlantische Handelsverständigung nottut. Was dem einen sein Schimmel ist dem andern sein Chlor.

Die zweite Sorge, die sich zunächst abstrakt formierte, dann aber in der Vision von geheimen Kungelkreisen manifestierte bezieht sich auf das „I“ in TTIP, denn hinter „Investment“ steht auch immer ein Investitionsschutz. Dazu sollen Schiedsgerichte nicht näher erklärter Zusammensetzung und Kontrolle vorab darüber (mit)entscheiden, ob Gesetzesänderungen ungerechtfertigte Nachteile für einzelne (ausländische) Unternehmen nach sich ziehen. Der Casus-Cnaktus ist hier wohl die Klage von Vattenfall zum Atomausstieg Deutschlands.

Ob Chlorhuhn oder Kungelkreis – die Ressentiments gegen TTIP speisen sich aus Unkenntnis und die wiederum entstammt mangelnder Transparenz. Dabei ist es durchaus valide, wenn von den Verhandlungspartnern auf beiden Seiten angemerkt wird, dass man nicht öffentlich diskutieren kann, bis zu welchem Grad man bereit ist, Zugeständnisse zu machen. Aber man könnte öffentlich diskutieren und durch Veröffentlichungen dokumentieren, in welchen Bereichen keine Zugeständnisse gemacht werden. So funktioniert es auch bei Koalitionsverhandlungen. Und nichts anderes sind im Prinzip die TTIP-Verhandlungen auch.

Denn es geht um die Gestaltung einer globalen Wirtschaft, die auf Handel, Investitionen und gemeinsam getragenen Standards besteht. Das TTIP bietet die Möglichkeit, globale Wirtschaftsspielregeln zu beschreiben, zu gestalten und als Vorbild für andere zu postulieren. Dabei werden die Rechte von 800 Millionen Konsumenten ebenso zu berücksichtigen sein, wie die Interessen von Millionen Unternehmen, die zuletzt (2013) Güter im Wert von 288,3 Milliarden Euro von Europa in die USA exportierten und umgekehrt für 158,8 Milliarden Euro importieren. Bei den Dienstleistungen waren es noch einmal 196,1 beziehungsweise 146,1 Milliarden Euro.

Es gibt fundamentalere Bedenken als die durch Chlorhuhn und Kungelkreise aufgepeppte Verbraucher-/ und Umweltschutzdebatte (die keineswegs kleingeredet werden soll). So gibt es die Sorge, dass ein stärkerer transatlantischer Austausch den innereuropäischen Handel schwächen könnte. Es gibt Zweifel, dass sich die beflügelnden TTIP-Maßnahmen nicht (oder zumindest nicht positiv) auf den Arbeitsmarkt auswirken könnten. Diese Bedenken gab es schon im Sommer 2013. Aber da hat keiner hingehört.

Dennoch gilt: das TTIP wird gestalten, was sich sonst durch das Gesetz des Kräfteausgleichs im globalen Handel von selbst – aber dann ungesteuert – regeln wird. Schon heute ist beispielsweise die Automobilindustrie in praktisch jedem relevanten Verkaufsland auch mit einem Produktionsstandort vertreten. Man könnte also fragen, wie viel „Germany“ ist denn noch in einem Auto „Made in Germany“. Dennoch, sagen Experten, könnte allein diese Branche bis zu einer Milliarde Euro an Zöllen sparen, die letztendlich vom Verbraucher aufgebracht und über die Zolleinnahmen vom Staat umverteilt werden. Diese Globalisierung wird auch die Lebensmittelindustrie treffen, die heute vor der Thüringer Bratwurst aus Kentucky warnt. Am Ende gilt immer noch das Gesetz des freien Handelns im Supermarkt. Man muss nicht alles kaufen, was angeboten wird. Es soll aber draufstehen müssen, was drin ist. Nur so als TTIP.