Partner First

Der Cloud wurde schon eine Reihe von Paradigmen-Wechseln angehängt: der Schritt von der eigenen Server-Farm zu einem (sichereren) Service-Rechenzentrum, der Umstieg vom Lizenz-Kauf zur Miete, die Nutzung bisher für den Mittelstand wirtschaftlich nicht rentabler Technologien wie Big-Data-Analyse und künstliche Intelligenz. Spätestens seit der Microsoft-Partnerkonferenz in Washington DC vergangene Woche wird ein weiteres Paradigma gestürzt: der klassische Vertrieb.

Das klingt zunächst mal gar nicht so radikal wie es tatsächlich ist. Bislang verliefen Microsoft-Partnermeetings – und die Partner-Konferenzen aller anderen Software-Anbieter, die über einen solchen Vertriebskanal herrschen – nach derselben Dramaturgie: 1. Akt – Götterdämmerung: „Die alten Helden des vergangenen Jahres werden auf die Bühne geholt“; 2. Akt – Die Zäsur: „Die Welt von morgen ist nicht mehr die Welt, wie wir sie kennen“; 3. Akt – Die Erwartung: „Der neue Held in Gestalt neuer Technologieangebote tritt auf; Pause; 4. Akt . – Das Versprechen: „Wer aus dieser Technologie Produkte macht, wird reich!“; 5. Akt – Der Weg: „Die Rahmenbedingungen aus Schulungsprogramm, Lizenzgebühren und Incentives werden vorgestellt“. Und dann geht man beseelt nach Hause.

Doch auf der Microsoft Inspire, wie die Partner-World nicht ohne Tiefsinn jetzt heißt, wurde ein neues Drama aufgeführt. Zwar gab es Produktankündigungen rund um Azure und das neue Microsoft 365, einem Bundle aus Office 365, Windows 10 und Security-Features. Aber diesmal wurde auch unmissverständlich klar: Azure ist nicht einfach nur eine Plattform, sondern der ultimative Vertriebsweg für die Partner. Ohne Cloud keine Zukunft.

Dabei steckt in der Cloud als Lösungs-Plattform und Vertriebsweg ein ungeheures Potential. Denn nun machen Softwareanbieter mit der Cloud nicht mehr nur mehr Umsatz als über die reinen Lizenzen, weil sie ihren Kunden Nachfolgeverträge, Upgrades und App-In-Verkäufe anbieten können. Sondern sie können auch schneller wachsen, weiter globalisieren und zügiger neue Produkte an den Kunden bringen. Deshalb versteht sich Microsoft künftig nicht nur als Lieferant von Technologie, Produkten und Plattformen, sondern als Marketing- und Vertriebs-Maschinerie in der Cloud, die für und mit Partnern wachsen will. Und mit den Kunden natürlich. Kein Grundsatz war auf der Inspire so häufig zu hören wie die These, dass Microsoft in der Cloud antritt, um jede Person und jede Organisation produktiver und damit glücklicher zu machen.

Wie sehr sich Microsoft selbst damit in die Abhängigkeit seiner Partner begeben hat, macht die Tatsache deutlich, dass 90 Prozent des Microsoft-Umsatzes durch Partner initiiert werden. Aber das gemeinsame Ökosystem funktioniert. Mit jedem Dollar Umsatz, den Microsoft verbucht, werden bei Partnern neun Dollar Umsatz angeregt. Das gilt natürlich erst recht, wenn der Partner in die Cloud investiert hat.

Und das tun mehr und mehr Unternehmen. 64.000 Software- und Systemhäuser bieten inzwischen rund um den Globus Cloud-Lösungen auf der Basis von Microsoft-Technologien an. Und Monat für Monat wächst die Zahl der Cloud-Partner um 6000. Das hat Folgen: Rund ein Drittel aller Microsoft-Partner, so hieß es auf der Inspire, seien in den letzten zwölf Monaten ausgetauscht worden. Will sagen: Ein Drittel der Partner wurde ausgemustert und durch Cloud-affine Anbieter ersetzt.

Das wäre eine ungeheure Zahl. Denn nach eigenem Bekunden verfügt Microsoft weltweit über eine halbe Million Partnerunternehmen mit zusammen 17 Millionen Mitarbeitern. Demnach hätte es im zurückliegenden Jahr einen Wechsel von 170.000 Partnern gegeben. Allein der bürokratische Aufwand hinter der Akkreditierung und dem Disengagement dürfte immens sein. Doch es zeigt, wie ernst es Satya Nadella mit dem Umschwung in die Cloud ist. Denn bei 64.000 Cloud-Partnern setzen weltweit noch sieben von acht Partnern auf die alten Vertriebswege. Das sind zwar mehr Partner als Amazon, Google und Salesforce zusammen haben – aber deren Vertriebsmodell ist auch deutlich zentralistischer ausgelegt.

Aber auch da greift Satya Nadella entschieden durch. Statt der vor einer Woche diskutierten 3000 Mitarbeiter, die vom internen Umbau des Microsoft-Vertriebs betroffen sein sollen, sind es nun 18.000 Stellen, die in den kommenden Monaten bei den Niederlassungen außerhalb der USA auf ihre Cloud-Nähe überprüft werden. Es soll keine betriebsbedingten Kündigungen geben und jeder Mitarbeiter erhält die Möglichkeit, sich auf andere Microsoft-Positionen zu bewerben – aber radikaler könnte ein Umbau kaum ausfallen. Auch in Deutschland werden die Umbaumaßnahmen Spuren hinterlassen: 270 Arbeitsplätze oder zehn Prozent des Personals stehen zur Disposition.

Aber gleichzeitig erfolgt damit eine Stärkung der Cloud-Position. Bei externen Partnern und intern bei Microsoft hat der digitale Wandel inzwischen voll zugeschlagen. Microsoft baut sich zur Support-Organisation für den eigenen Partner-Kanal um. Denn Redmond will durch die Partner gewinnen. Deshalb heißt es jetzt: Partner first.

 

Alles nur die Cloud

Das ist nun schon mal eine Ansage: Der Handels-Riese Amazon – oder ist es eher ein Logistik-Riese? – meldet soeben für das erste Quartal einen Überschuss von 724 Millionen Dollar. Das ist nicht nur das achte Quartal in Folge, in dem die Bezos-Company einen Gewinn ausweisen kann, sie legte auch mit 41 Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreswert erstaunlich satt zu. Besonders stark stieg dabei das Geschäft mit den Prime-Kunden, die sich nicht nur einer beschleunigten Belieferung erfreuen, sondern vor allem Filme, Serien und Streaming-Dienste genießen, wie man sie sonst nur bei Netflix bekommt. Aber besonders schön sind die Zahlen aus dem Geschäft mit den Amazon Web Services: der Umsatz aus dem Cloud-Business stieg um 43 Prozent auf satte 3,7 Milliarden Dollar. Bei einem Gewinn von 890 Millionen Dollar aus der Cloud-Sparte subventioniert der Sektor damit andere Investitionen quer. Die Quintessenz aus der Quartalsbilanz kann nur lauten: Es ist alles nur die Cloud.

Aber was ist das für eine Ansage: die Konzernholding Alphabet, die gemessen am Umsatz zu 99 Prozent aus Google besteht, meldete zwar mit 24,8 Milliarden Dollar einen geringeren Quartalserlös als Amazon (34 Milliarden Dollar), konnte aber mit 5,4 Milliarden Dollar einen Rekordgewinn ausweisen, von dem Amazon nur träumen kann. Neben den Werbeumsätzen aus der Suchmaschine und den Einnahmen aus Hardware rund um das Betriebssystem Android sind es vor allem die Cloud-Geschäfte, die Alphabet-Aktionäre glücklich machen. Sie stiegen auf einen Umsatzanteil von 13 Prozent und subventionieren inzwischen auch die anderen, stark defizitären Holding-Aktivitäten mit. Die Quintessenz aus der Quartalsbilanz kann nur lauten: Es ist alles nur die Cloud.

Und was ist das für eine Ansage: Angetrieben durch das im Dezember übernommene soziale Netzwerk LinkedIn steigerte Microsoft seinen Quartalsumsatz um acht Prozent auf 22,1 Milliarden Dollar und generierte daraus einen Gewinn von 4,8 Milliarden Dollar. Die Einbußen bei Surface-Tablets wurden dabei mehr als gut durch die Cloud-Geschäfte rund um Azure kompensiert, die sich ebenso fast verdoppelt haben wie die Erlöse mit der Cloud-Variante der Bürosoftware Office. Die Quintessenz aus der Quartalsbilanz kann nur lauten: Es ist alles nur die Cloud.

Wer noch daran Zweifel hegt, dass sich mit Cloud-Computing Geld verdienen lässt, der sollte spätestens in den ersten drei Monaten dieses Jahres eines Besseren belehrt worden sein. Obwohl alle drei Anbieter im wesentlichen Cloud-Angebote als Infrastrukturmaßnahmen unterbreiten und erst allmählich auch dazu übergehen, eigene Cloud-Anwendungen zu Zukunftstechnologien wie Big Data-Analysen, künstlicher Intelligenz, Machine Learning oder Spracherkennung zu weiteren Umsatz- und Gewinnbringern auszubauen, trägt das Geschäft aus der Web-Wolke inzwischen dreistellige Millionenbeträge zu den Konzernergebnissen bei.

Das wird sich weiter steigern, wenn im Jahr 2020 rund 50 Milliarden Endgeräte als User im Web aktiv sind – mehr als zwei Drittel davon, ohne dass ein Mensch hinter den dann entfalteten Webaktivitäten steht. In der Tat sind das Internet der Dinge und Anwendungen à la Industrie 4.0 ohne Cloud-Dienste nicht denkbar. Irgendwo müssen die Daten, die von Myriaden von Maschinen rund um den Globus und rund um die Uhr ausgespuckt werden, ja zwischengespeichert werden. Und irgendwo müssen sie verarbeitet und ausgewertet werden, wenn aus den Daten Informationen und aus den Informationen Erkenntnisse über das Produktionsgeschehen generiert werden sollen. Das ist Cloud-Computing at its best.

Wir können getrost davon ausgehen, dass sich in weniger als einer Dekade der Großteil des Datenverkehrs, der über das Internet der Dinge ausgespuckt und verteilt wird, in der Cloud abspielen wird, die nicht nur die Infrastruktur für den Datenstrom liefern wird, sondern auch die Plattformen für ihre Verarbeitung bereitstellt. Es wird dabei nicht bei den drei Giganten – Amazon, Alphabet und Microsoft – bleiben. Nach langen, leidvollen Quartalsverlusten strebt auch IBM mit dem Cloud-Business wieder nach der Krone der Marktführerschaft. Auch die Deutsche Telekom und die Steuerberatergenossenschaft DATEV haben – mit dem deutschen Datenschutz im Rücken – das Zeug, sich im Geschäft mit kritischen und zu schützenden Daten in der Cloud Weltruhm zu verschaffen.

Denn es sind die Kunden, die mit ihrem Schwenk von OnPremises zur Cloud diese Erfolgsberichte überhaupt erst möglich machen. Sie entscheiden sich nicht einmal grundsätzlich dafür, die eigene IT-Abteilung durch die Cloud zu ersetzen. Sie setzen vielmehr auf Hybridlösungen, in denen traditionelle Unternehmenslösungen vor Ort weiter geführt werden, aber zusätzliche Computerleistung für Services und Datenspeicher aus der Cloud zugekauft werden.

Es ist an der Zeit, dass Europa in diesem Geschäft massiv nachrüstet – über die Offerten von Telekom, SAP oder DATEV hinaus. Sonst wandert das Zukunftsgeschäft ins Ausland ab. Denn dann ist wirklich alles nur geCloud.

Köpfchen in den Wolken

IBM wurde schon zu oft abgeschrieben, als dass man ernsthaft mit dem baldigen Ende von Big Blue rechnen sollte. In der Tat ist es erstaunlich, wie sich dieser Methusalem der Informationswirtschaft immer wieder erneuert oder besser: neu erfindet. IBMs Cognitives Computersystem Watson wirkte lange Zeit wie ein exotisches Steckenpferd, dann wurde daraus ein exklusives Rennpferd für Auswertungen aus Massendaten und jetzt dürfte es zur Cash Cow der nächsten Phase des Cloud Computings werden: Innovation durch künstliche Intelligenz – jederzeit, überall, für jeden.

Typisch für IBM ist, dass die Marktüberlegungen, die hinter dem neuen Cloud-Ansatz stecken, ebenso naheliegend wie kompliziert sind: Wenn jeder nahezu uneingeschränkten Zugriff auf die Rechenleistung von Supercomputern haben kann, dann ist es nur ein Frage der Zeit, bis die Anwendungsbedarfe über das schlichte Kästchensortieren mit großen Datenmengen hinaus gehen und nach neuem Programmier-Skill verlangen, mit dem intelligente Algorithmen entwickelt werden können. Indem laufende Prozesse analysiert werden, soll schiere Rechenleistung zu Innovationen führen.

Ein Beispiel hat IBM gerade erst erfolgreich mit dem in Seattle angesiedelten Startup Playfab abgeschlossen, das mit Hilfe von Watson die Verhaltensweise von Gamern untersucht. Für Atari hat der frisch gebackene IBM-Partner das Wirtschaftssimulationsspiel RollerCoaster Tycoon analysiert, bei dessen Touch-Version für Android und iOS nicht die notwendige Begeisterung aufkam. Aber die ist Voraussetzung, wenn Freemium-Spiele durch In-App-Käufe Umsätze generieren sollen. Watson und Playfab stellten fest, dass die Gamer ausführlichere Anleitungen benötigten. Nach den Korrekturen verzeichnete Atari tatsächlich einen Umsatzanstieg um immerhin zehn Prozent.

So abseitig das Beispiel klingen mag, es dürfte zahllose Parallelen in der industriellen Welt finden, wo Prozesse dadurch optimiert werden können, dass das Verhalten und das Zusammenspiel von Maschinen und Menschen analysiert wird. In dienstleistungsorientierten Branchen sind es vor allem die Methoden und Mechanismen im täglichen Ablauf, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Im Gesundheitswesen können ganze Therapien auf diese Weise optimiert werden.

IBM ist freilich nicht allein mit dem Geschäftsmodell „Köpfchen, Köpfchen aus der Cloud“. Auch Microsofts Strategie rund um Azure schwenkt allmählich vom reinen Kostensenken durch die Cloud zu Künstlicher Intelligenz aus der Cloud. Denn beide haben erkannt, dass sie den Wettlauf um das günstigste Angebot für Cloud-Infrastrukturen gegen Amazons Web Services nicht gewinnen können, wenn sie nicht massive Margeneinbrüche hinnehmen wollen. Tatsächlich ist der Marktanteil von AWS größer als die kumulierten Anteile von Microsoft, IBM und Google. Doch die Zeit, in der es nur um Marktanteile in der Cloud geht, könnte sich dem Ende neigen.

Künftig ist es nicht die Infrastructure as a Service, sondern die Innovation as a Service, die aus der Cloud kommt. Das setzt freilich neue Herausforderungen. Noch sind die Anwender im Mittelstand nicht so weit, dass sie die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz aus der Cloud für die eigene Prozess- oder Produkterneuerung einzusetzen bereit sind. Dazu stecken mittelständische Organisationen noch zu sehr in althergebrachten Innovationsprozessen fest. Das Gleiche gilt aber auch für die mittelständisch strukturierte Software-Szene, der es derzeit noch an der Innovationsbereitschaft fehlt, sich neuen IT-Technologien zuzuwenden. Sie wollen lieber noch ein Weilchen ihre alten Lösungen verkaufen – und nicht neue Services vermieten.

Für Microsoft und IBM bedeutet das: Wenn es nicht gelingt, ihre Software-Partner – also die sogenannten Independent Software Vendors oder ISVs – zu Neuerungen zu bewegen, müssen sie sich neue Partner suchen. Sonst wird das nichts mit dem Cloud-Geschäft. Die traditionelle Vermarktungsstrategie, mit der Cloud-Services als Infrastrukturmaßnahme zur Kostensenkung und Flexibilitätssteigerung angeboten werden, wird nicht mehr lange tragen. Getragen hatte sie bislang sowieso nur einen: Amazon.

Was es jetzt braucht, ist Köpfchen aus der Wolke. Das wird auch Amazon-Chef Jeff Bezos erkennen. Dann wird man sehen. Er hat den Vorteil, nicht auf jahrelange treue Partnerschaften mit zögerlichen Software-Unternehmern Rücksicht nehmen zu müssen. IBM und Microsoft werden das auch nicht mehr lange können. Sie müssen Ballast abwerfen im Kopf-an-Kopf-Rennen um die Cloud.

 

 

Die Welt wird digital, die Erde bleibt analog

Manchmal kommen einem zwischen all dem Digitalen hier auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas doch recht analoge Gedanken. Zum Beispiel die Frage, wie viele Essensreste sich wohl in diesem fluffigen, tiefen Teppichboden im Convention Center versteckt haben mögen. Möchte man eigentlich gar nicht wissen – aber dieser Teppich dürfte auch im Jahr 2017 noch eine mächtige Herausforderung für die zahllosen Staubsaugerroboter sein, die hier in abgesperrten Zonen ihren Kampf gegen Essensreste und (vielleicht auch das) Nanopartikel aufnehmen. Aber einen Versuch wär´s schon wert…
Auch sonst haben die vernetzten Gadgets auf der CES mit der verflixten analogen Welt zu kämpfen. Eine Haarbürste, die Haarbruch identifizieren soll, operiert da Hand in Hand mit einem Helm, der den Haarwuchs stimulieren soll. Eine Zahnbürste, die sich merkt, welche Mundregionen nur sporadisch geputzt wurden und darüber (also bitte!) wöchentlich eine Statistik vorlegt. Wofür eine vibrierende Jeans gut sein soll, habe ich auch nach längerem Nachdenken nicht verstanden. Und die Kamera im Kühlschrank hat auch auf der letzten CES schon nicht so richtig gezündet. Neben diesem Spielzeug für die Großen, nehmen die vernetzten Spielsachen für die Kleinen immer mehr Überhand: Schon acht Millionen mit dem Internet verbundene Toys gibt es weltweit, glaubt Gartner. Drei Milliarden Dollar haben Spieleriesen wie Mattel und Hasbro damit schon eingenommen.
Was bei Harry Potter noch als total verhext galt, funktioniert auf der CES total vernetzt. Der ganz große Trend ist hier aber nicht zu erkennen – alles scheint möglich, nichts ist unmöglich genug. Man sieht den digitalen Wald vor lauter Endgeräten nicht mehr. Vernetzung war auch schon gestern. Künstliche Intelligenz ist im Konsumerbereich erst morgen. Heute dagegen ist Elektromobilität und autonomes Fahren – zumindest im Versuchsstadium. Und auch da herrscht Ringen mit dem Analogen: Der Newcomer Faraday Future präsentierte nach seinem Erstauftritt 2016 in diesem Jahr nicht ein weiteres wahnwitziges Batmobil, das keine Aussicht auf Serienreife hat, sondern ein „Produktionsauto“, das mit mehr als 1000 PS in 2,3 Sekunden von Null auf 100 beschleunigt. – Wenn es denn jemals gebaut wird. Der Bau der Produktionshalle von Faraday Future draußen in der Wüste Nevadas scheint derzeit zu ruhen.
Dennoch war Faradays Konferenzbeitrag, der noch vor der eigentlichen CES-Eröffnung über die Bühne ging, von lautem, wenn nicht gar vorlautem Optimismus geprägt. „Extreme Technologie“ sei in dem FF91 eingebaut, tönte es gerade so. als seien die Daimlers, BMWs und VWs blutige Anfänger im Automobilbau. Deren Präsentationen weisen nicht nur den Weg über Fahrerassistenten zum autonomen Fahren – sie zeigen auch höchst spannende Konzepte zur Sprachsteuerung, die nicht nur im Fahrzeug, sondern auch in der gesamten Arbeitsumgebung Revolutionäres verspricht. Am Ende fischen nicht nur Fremde im Autoteich, auch die Autobauer brechen zu neuen Branchen auf.
Ausgerechnet Sprache – das analogste, was der Mensch so zu bieten hat – wird hier auf der CES zum zentralen Steuerelement: Türe öffnen, Kaffee kochen, Autos steuern, Robotern Befehle geben. Überall bemühen sich die digitalen Kisten darum, den Menschen zu verstehen und im wahrsten Sinne des Wortes aufs Wort zu gehorchen. Genutzt werden dabei die Technologien von Amazon (Echo), Google (Assistant), Apple (Siri) und Microsoft (Cortana), mit denen Knöpfe und Touch-Displays auf Dauer abgelöst werden sollen. Doch der Weg zum gesichtslosen Computing ist noch weit. Die Fehlerrate bei der Erkennung vom gesprochenen, analogen Wort liegt noch bei 37 Prozent. Allerdings haben sich in den vergangenen 30 Monaten mehr Entwicklungen aufgetan als in den 30 Jahren davor, urteilt die Consumer Technology Association.
Noch sind der Sprachschatz und die Spracherkennung zu ungenau, um Robotern und Computern komplexe Aufgaben zu stellen. Aber für klar umrissene Aufgabengebiete eignet sich die Stimme schon jetzt hervorragend. Pick-by-Voice ist eine in der Logistik längst geübte Methode, um Waren aus dem Lagerregal zu entnehmen. Allerdings gibt hier der Computer die Befehle, während der Mensch sie ausführt. In Zukunft, das zeigt die CES auf praktisch jedem Messestand, soll das andersherum laufen.
Mit ihrem breiten Themenmix ist die CES, die praktisch keinem auch nur irgendwie mit dem Internet verknüpften Gerät den Zutritt verweigert, im 50. Jahr ihres Bestehens jünger denn je. Dass die Show keine Publikumsmesse ist, ist eigentlich schade – aber 170.000 Besucher sind für eine Fachmesse auch durchaus stattlich. Mehr Menschen müssten sich mühsam durch die Gänge schieben – ganz ohne Navi, dafür aber mit autonomer Steuerung; analog versteht sich.