Microsofts „Turner“around

Was ist schon eine Personalmeldung in einer Welt, in der Organisationen und Visionen stärker zu wirken scheinen, als die Handlungsmöglichkeiten eines einzelnen Menschen? Okay, als Steve Jobs von uns ging, haben wir das Ende des iEverything befürchtet. Aber ist es dazu gekommen? Noch wird zwar bei jedem Apple-Announcement geunkt, was würde Steve dazu sagen? Aber ansonsten. Läuft bei uns, könnte man sagen.

Jetzt geht also der Lotse von Bord der MS Microsoft: Kevin Turner, der letzte Mann aus der Ballmer-Ära und der Mann fürs Grobe im Channel, im auf Partnerbeziehungen aufbauenden Vertriebsarm der Redmonder, verlässt das Unternehmen. Der Dank des Microsoft-Chefs, Satya Nadella, ist ihm sicher. Die Freude seiner Mitarbeiter über seine Demission aber auch…

Wie soll man das würdigen, wenn auf einer anonymen Meinungsplattform, die mit „Blind“ wohl weniger ein Urteil über den Gesichtskreis derer abgibt, die dort posten, als vielmehr das Versprechen vermittelt, dass die dort geäußerten Meinungsbeiträge unerkannt bleiben? Dort wird der Abschied des Chief Operating Officers als größten Glücksfall des Jahres gewürdigt. Das ist bitter für einen Soldaten, der elf Jahre lang mit – zugegeben – harter Rute einen Vertriebs- und Servicekanal geführt hat und dabei deutliche Performanceverbesserungen durchgesetzt hat. So haben sich nicht nur die Verkaufszahlen verbessert, sondern auch die Werte für die Customer Satisfaction, also die Kundenzufriedenheit. Mehr kann man von einem Channel-Chef nicht erwarten.

Und das hat auch CEO Satya Nadella zu würdigen versucht, als er der Microsoft-Gemeinde in einer weltoffenen Mail den Managementwechsel schmackhaft zu machen versucht hatte. Das war wohl gar nicht nötig, denn die Begeisterung über den Weggang des „Hagen von Redmond“ muss – wenn man die spontanen Reaktionen im Web richtig deutet, geradezu Begeisterungsstürme ausgelöst haben.

Das ist unwürdig für einen verdienten Firmensoldaten, dessen Beitrag für die Firma nicht durch seine Leistung, sondern durch die Zeitläufte in ein zwiespältiges Licht gebracht wird. Channel – was ist das? – Das scheint inzwischen die Frage zu sein, die sich in der Chefetage bei Microsoft zunehmender Vehemenz erfreut. Denn der Vertriebskanal über Partner, das ist die brutale Erkenntnis aus der Strategie über „Cloud First, Mobile First, Microsoft First“, die Satya Nadella zurecht losgetreten hat, ist: die Partner sind zu langsam auf dem Weg in de cloudifizierte, digitalisierte Welt.

Wie sehr das Paradigma der neuen Welt bei Microsoft durchschlägt, lässt sich an der Dynamics-Sparte exemplifizieren. Demnächst ist alles – also sowohl ERP als auch CRM – online unter dem 365-Regime, unter dem auch schon die komplette Office-Suite steht. Die Vorteile für den Kunden liegen auf der Hand. Nicht nur bekommt er seine Updates über Nacht, er ist auch in der Lage, Funktionen und Nutzungsgrad nach Belieben zu skalieren. Damit sind Leistungen automatisiert, die bislang der Channel übernommen hat.

Aber mehr noch: im Herbst wird es mit dem AppStore eine Plattform für ERP-relevante Zusatzdienste geben, die ergänzende Funktionen und Dienstleistungen im ERP- und CRM-Umfeld bereitstellen. Das ist ein viel mächtiger Kanal, als ihn Kevin Turner mit seinem Channel überhaupt in der Lage war aufzubauen.

Satya Nadella geht mit aller Konsequenz in die Cloud. Das ist die gute Nachricht. Wer diesen Weg in die Cloud nicht mitgeht, wird seine Daseinsberechtigung verlieren. Das ist die schlechte Nachricht – zumindest für Microsoft-Partner, die den Wind of Change nicht verspüren. Der Turnaround hat ein weiteres Opfer gefunden: Kevin Turner, der immerhin mit einem gut dotierten CEO-Posten abgefunden wurde. Aber was machen die Partner im Kanal? Sie suchen noch nach ihrem ganz individuellen Turnaround.

 

 

Kaufen, um zu bleiben

Auf den ersten Blick sieht alles nach mehr Wettbewerb im weltweiten Softwaremarkt aus. Zwar stellen die zehn größten Softwareunternehmen weltweit mit zusammengenommen 171,7 Milliarden Dollar satte 45 Prozent des gesamten Weltumsatzes mit Software-Produkten, wie jetzt die Beratungsgesellschaft PwC auf der Basis der Geschäftszahlen des Jahres 2014 ermittelt. Aber vor zwei Jahren war der Anteil der Top Ten am damaligen Gesamtmarkt mit einem Volumen von 347,7 Milliarden Dollar noch eineinhalb Prozentpunkte höher. Das klingt auf den ersten Blick nicht viel. Doch das Wachstum der besten Zehn lag über die vergangenen zwei Jahre hinweg nur bei durchschnittlich 6,3 Prozent, während die Herausforderer – die Softwareunternehmen auf den Weltrangplätzen 11 bis 100 – fast dreimal so schnell, nämlich mit einer Wachstumsquote von 17,3 Prozent, zulegten. Der Anteil der größten Fünf am Softwareweltmarkt sank sogar von 40,1 Prozent auf 38 Prozent.

Der Einfluss der Großen ist freilich unverändert gewaltig, wenn man sich vor Augen führt, dass folglich in einem Markt, in dem sich mehrere 100.000 Unternehmen tummeln, die Top Five – nämlich Microsoft, Oracle, IBM, SAP und Symantec – immer noch mehr als ein Drittel des Marktes unter sich aufteilen. Aber dieser Einfluss wird nicht mehr durch organisches Wachstum aufrechterhalten, sondern durch massive Zukäufe. Praktisch jeder der Top Ten hat einen Deal in Milliardenhöhe getätigt. Das heißt: Ohne zugekauften Umsatz können die Großen mit dem Markt nicht mehr Schritt halten. Sie sind aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage, die Wachstumsoptionen, die der Markt bietet, auf sich zu lenken.

Eine der Ursachen besteht darin, dass die etablierten Global Player offensichtlich nicht die Technologietrends setzen, die das Wachstum des weltweiten Softwaremarktes beflügeln, sondern diesen Entwicklungen hinterherlaufen, bis sie sich das verlorene Terrain zurückkaufen. Sie erwerben Zeit, die sie vorher vertrödelt haben, vermitteln aber den Börsen, wichtige Märkte hinzugekauft zu haben. So ist es nicht überraschend, dass mehr als die Hälfte der Top Ten Späteinsteiger in die Cloud sind. Vor allem Salesforce ist als Newcomer in der Zehner-Riege ein Beweis, dass man mit reinen Cloud-Anwendungen zu den ganz Großen austeigen kann. Auch Intuit hat als Nummer Zehn gezeigt, dass der frühzeitige Turnaround vom Lizenz-Modell zum Cloud-Modell Wachstumspotentiale frei macht.

Kaum ein Unternehmen steht für diese fatale Tendenz beispielhafter als IBM mit seiner langen Reihe von Quartalen mit Umsatzrückgängen und zugekauften Unternehmen. In der Folge hat das Unternehmen in den letzten zwei Jahren seinen zweiten Platz gegen Oracle eingetauscht und liegt jetzt mit 29,2 Milliarden Dollar auf Platz drei. Gleichzeitig zeigt sich, dass IBM erst nach einem langwierigen und umfassenden Strukturumbau wieder mit der Weltspitze mithalten kann: Denn während nämlich für Oracle´s 29,8 Milliarden Dollar Softwareumsatz 77 Prozent seines Gesamtumsatzes darstellen, schafft Big Blue es auf eine Softwarequote von lediglich 31 Prozent.

Den Strukturwandel erleben auch andere Weltkonzerne. Siemens zum Beispiel ist mit seinen Softwareumsätzen auf Platz 16 – und damit vor Google – vorgerückt, während der Elektrokonzern bislang eher in anderen Sparten voranschritt. Ähnlich verläuft die Entwicklung beim Siemens-Konkurrenten General Electric, während der Flugzeugbauer Boeing ebenfalls als Softwareunternehmen in die Top-Riege der größten 100 aufsteigt.

Dies zeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man Software macht, sondern auch, was man mit Software macht. Google ist nur deshalb lediglich auf Platz 18, weil die Werbeeinnahmen nicht als Softwareumsatz geltend gemacht werden können. Tatsächlich führt die Digitale Transformation über lange Sicht ohnehin zu einer Trendverschiebung, die sich jetzt bereits deutlich an der Entwicklung der Startups ablesen lässt. Ihr enormes Wachstumspotenzial entwickeln sie nämlich weniger durch Softwareumsätze als durch Umsätze durch Software. Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse verlangt immer mehr Software-Skill. Aber das Ziel ist nicht mehr das Softwareprodukt, sondern das damit verbesserte Geschäftsmodell. Softwarehäuser, das beweisen die großen Marktführer Jahr für Jahr, kann man dann ja jederzeit dazukaufen, um im Softwaregeschäft bleiben…

 

Neun Schritte in die Wolke

Cloud Computing wurde bislang im deutschen Mittelstand nur zögerlich angenommen. Das gilt interessanterweise sowohl für die mittelständischen Anwender als auch für mittelständische IT-Anbieter. Die einen wollen der Cloud nicht ihre Daten und ihr in Software gegossenes Wissen anvertrauen. Die anderen wollen der Cloud nicht in ein neues Geschäftsmodell folgen. Anders als in den USA, wo diese Ressentiments nicht vorherrschen, verhindern die Deutschen also die Cloud, weil sie keinen Grund für einen Paradigmenwechsel sehen oder aber weil sie ihn scheuen…

Das lässt sich nur allzu gut erklären: Die deutsche Wirtschaft war in den letzten Jahren mit ihrem eigenen Wachstum beschäftigt. In anderen Ländern, die mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, haben sich die Unternehmen viel früher und konsequenter mit notwendigen Veränderungen beschäftigt. Zudem wurden bislang die disruptiven Kräfte, die die Cloud freimachen kann, nur in den wenigsten Fällen, genutzt. Überall dort, wo dies aber geschehen ist, werden die Cloud-Angebote allerdings auch gerne angenommen. Man muss nur mal auf sein Smartphone schauen: Viele der Funktionen, die dort durch Icons repräsentiert werden, wären ohne die Cloud überhaupt nicht denkbar. Ja, Mobile Computing ist per se ohne die Cloud nicht denkbar.

Eines der erfolgreichsten Cloud-Modelle, das sich in einer Vielzahl von Angeboten erfolgreich durchsetzt, ist die disruptive Methode des „Kill the Middleman“: Wer seine Bücher als eBook vertreibt, braucht keinen Verlag. Wer sich im Schwarm Geld leiht, braucht keine Bank. Wer bei Uber eine Mitfahrgelegenheit sucht, braucht keine Taxi-Mafia. Oder wer bei AirBnB eine Unterkunft anbietet, braucht keinen Makler. Was diese Anwendungen aber brauchen ist die Cloud.

Die Konsequenz daraus, die jetzt auf der deutschen Partnerkonferenz von Microsoft diskutiert wurde, ist geradezu trivial: Wer in der Cloud das Gleiche anbietet wie OnPremises, der wird in und mit der Cloud scheitern. Dabei sind es nur wenige Schritte auf dem Königsweg in die Cloud.

  1. Das Cloud-Angebot muss einen Zusatznutzen in bestehenden digitalen Welten erbringen.
  2. Das Nutzenversprechen sollte zu den aktuellen Megatrends wie Internet of Things, Industrie 4.0, Big Data, Collaboration, Social Media passen.
  3. Der Mehrwert des Cloud-Angebots muss für den einzelnen Anwender unmittelbar erfahrbar sein – langfristige strategische Potenziale ziehen nicht.
  4. Die Cloud ist ideal, um Erweiterungen und Zusatznutzen schnell und ohne Vertriebsaufwand zu vermarkten.
  5. Cloud-Angebote sollten bestehende Lösungen ergänzen, ehe sie abgelöst werden.
  6. Cloud-Angebote erschließen neue Zielgruppen in den Fachabteilungen der Unternehmen.
  7. Spätestens seit dem EuGH-Urteil, das den USA abspricht, für Daten ein sicherer Hafen zu sein, sollte der Standort D/EU als Wettbewerbsvorteil genutzt werden.
  8. Cloud-Angebote sollten zunächst ein Zusatzgeschäft sein, ehe Anbieter voll auf das neue Geschäftsmodell setzen.
  9. Der Vertrieb erhält eine neue Perspektive – in einem neuen Zielmarkt.

Der Weg in die Cloud erfolgt über das Verständnis, auf welchen Zusatznutzen Kunden heute schon ansprechen. Wer es versteht, dabei das Softwarelizenz-Kind nicht gleich mit dem Cloud-Bade auszuschütten, sondern sukzessive Erweiterungen in bestehende Softwarewelten schafft, wird erfolgreich sein. So überleben mittelständische Software-Anbieter auch die schwierige Drei-Jahres-Phase, in der der Cloud-Umsatz noch nicht die Software-Lizenzumsätze ersetzen kann. In dieser Phase kann aber das Legacy-Geschäft das Neugeschäft in der Cloud subventionieren.

Perform und Transform

Mein offener Brief an Microsofts Chief Executive Officer Satya Nadella zu Beginn der World Partner Conference letzten Montag ist nicht ohne Resonanz geblieben – nicht allein unter den deutschen Microsoft-Partnern hat meine Warnung vor den drei enttäuschenden Fiskaljahren, die ein Wechsel vom OnPremises zur Cloud für etablierte Softwarehäuser nach sich zieht, Eindruck hinterlassen. In einer mit rund 200 Teilnehmern bestens besuchten „deutschen Session“ haben wir die möglichen Schritte zum Übergang vom traditionellen Geschäftsmodell in eine neue Welt diskutiert. Das „Cloud Maturity Model“, das wir dabei vorgestellt haben, zeigt den Weg auf, wie bestehende Kundeninstallationen mit hohem Nutzwert und Einsparungseffekt schrittweise in die Cloud verlagert werden können.

Das scheint auch Microsofts COO Kevin Turner, zuständig für das weltweite Channel-Business, als Blaupause für die Migration der Partner in lupenreine Cloud Companies zu sehen. Anders jedoch als meine zugespitzte Formulierung vom drei Jahren dauernden „Tal der Tränen“, sieht er für Microsoft und Partner die doppelte Herausforderung „Perform and Transform“ – also Leistung plus Wandel. Dazu wird es eine Reihe von Weiterbildungsmaßahmen, Marketingaktivitäten und Produktinnovationen geben, die es Partnern ermöglicht, in der Microsoft-Ökosphäre ihr Geschäft völlig neu aufzusetzen.

Vier Unterscheidungsmerkmale machte sein Kollege Phil Sorgen, Corporate Vice President in Microsofts weltweiter Partner-Organisation, für die erfolgreiche Umsetzung von Leistungs- und Wandlungsfähigkeit aus: Konzentration auf das eigene geistige Eigentum, die Fähigkeit zur Digitalisierung der Marketing- und Vertriebsaktivitäten, beschleunigte Kundengewinnung und hohe Erneuerungsraten bei Laufzeitverträgen, Feinjustierung der internen Controlling- und Bewertungs-Methoden. Dabei ermunterte Sorgen, den Sprung in die Cloud ganz und vollständig zu wagen: Partner, deren Cloud-Umsätze größer als 50 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen, weisen nach seiner Marktanalyse höhere Wachstumsraten und Profite aus, als die mit weniger als 50 Prozent Umsatzanteil aus der Cloud. Oder anders gesagt: Die einen haben das Tal der Tränen schon verlassen, die anderen noch nicht.

Dass der Wandel aber tatsächlich längst Substanz gewonnen hat, untermauerte Kevin Turner mit beeindruckenden Zahlen: Immerhin schon etwa die Hälfte der Lizenzvereinbarungen, die Microsoft im vergangenen halben Jahr mit Unternehmenskunden geschlossen haben, weisen Cloud-Komponenten auf. Eine Million neue User gewinnt die Cloud-Variante Office365 monatlich dazu. Und die Office-Apps für Android und iOS wurden bereits mehr als 100 Millionen Mal runtergeladen.

Und der Angeschriebene, Satya Nadella? Unabhängig von einer persönlichen Antwort, die ich unmittelbar auf meinen Brief erhielt, vermittelte er den Eindruck, dass er die Sorgen der Partner durchaus versteht. Das „neue Microsoft“, so versicherte er vom ersten bis zum letzten Tag der World Partner Conference, sei ohne die Partner und deren wirtschaftlichem Erfolg nicht denkbar. Aber ebenso deutlich machte er, dass der Kurswechsel, den Microsoft vollzogen hat, nun auch von den Partnern nachvollzogen werden sollte. Eher früher als später. Mit Leistung im Wandel.