Wachsen mit Organspenden

Research in Motion geht’s schlecht. Das kann man kaum leugnen. RIM, der Hersteller der Blackberrys, muss sich mit rapide sinken Marktanteilen befassen – und hat doch kaum Möglichkeiten, die Situation aus eigener Kraft zu meistern. Zu stark sind die Marktkräfte, die derzeit den Markt für Smartphones – oder eigentlich: für das mobile Internet – bewegen. „Wir prüfen alle Optionen“ sagt der deutschstämmige RIM-Chef Thorsten Heins.

Eine dieser Optionen wäre eine Organspende: IBM prüft derzeit, den Enterprise-Emaildienst – sozusagen das RIM-Steak – zu übernehmen. Damit ist Big Blue zwar ein wenig spät am Messaging-Pool angekommen. Aber im mobilen Internet und bei Smartphones muss man derzeit schon eine gescheite Arschbombe hinlegen, wenn man Wellen schlagen möchte.

Auch Microsoft setzt weiter auf Organspenden aus der Intensivstation. So wie sich RIMs Marktanteil bei Smartphone-Betriebssystemen marginalisiert hat, weisen auch die Symbian-Anteile von Nokia Auflösungstendenzen auf. Wenn Nokia mit Lumia-Handys noch eine Chance haben will, dann mit Windows 8. Jedoch: Wie bei Blackberry wartet die Welt nicht gerade auf die nächste Produktankündigung – davon gibt es derzeit zu viele.

Schon in Toronto hatte Microsoft eine Organspende durch Perceptive Pixel angekündigt, die künftig das Touchscreen-Angebot im Windows 8-Umfeld erweitern. Jetzt zeichnet sich mit der Übernahme von Yammer eine weitere Organtransplantation ab. Das in San Francisco beheimatete soziale Netzwerk verfügt über rund fünf Millionen Nutzer aus Unternehmen. Immer stärker konzentrieren sich die Netzwerker auf diese Corporate Communities – und Microsoft muss hier nachlegen. Im privaten Umfeld hat ja bereits die Organspende durch die Übernahme von Skype erste lebensverlängernde Maßnahmen bewirkt. Die Übernahme von Skype soll ja gut verheilt sein.

Das sieht wohl auch Jim Hagemann-Snabe so, der ebenfalls weitere Organspenden für SAP nicht ausschließen will – „wenn sich die Gelegenheit ergibt“. Dabei verweist er auf Facebook (nicht als Übernahme-Opfer, sondern als Vorbild für Wachstums-generierende Maßnahmen). SAP müsse lernen, dass Unternehmen und ihre Mitarbeiter sich entlang der Supply Chain vernetzen – und soziale Medien sind ein Werkzeug auf diesem Weg.

Aber Organtransplantationen bergen immer auch die Gefahr der Abwehrreaktion. Dann wird das neue Gewebe nicht angenommen und es kommt zu Autoimmunreaktionen. Auch das ist bei SAP zu beobachten. Die Einpflanzung von Success Factors am offenen Herzen geht doch nicht ganz so reibungslos voran, wie sich das die Vorstände gedacht haben. Die neue Cloud-DNA muss erst noch richtig dupliziert und übertragen werden, ehe daraus für SAP die Kraft der zwei Herzen erwächst.

Abwehrreaktionen zeigen sich auch bei Apple und Google – auch ohne direkte Organverpflanzung. Dem Vernehmen nach will Apple künftig Youtube und andere Google-Dienste abstoßen und dafür eigene Organe entwickeln. Im Smartphone-Geschäft sind sich beide Unternehmen inzwischen zu nahe gekommen, als dass eine Kooperation noch wünschenswert wäre. Dabei wäre doch ein „Goopple“ oder ein „Agpopole“ der wahre Hybrid aus gegenseitigen Organspenden.

Eins aber scheint sicher: Organisch – also aus eigenem Wachstumsantrieb – kann man im mobilen Internet nicht mehr schnell genug zulegen. Die Organspenden werden bleiben – und der Organhandel.

Stored in Germany

„Made in Germany“ war gestern. Mit der sich weiter beschleunigenden Verlagerung der Wertschöpfung von der Produktion zur Dienstleistung kommt auch hierzulande ein „Done in Germany“ der Realität schon näher. Für die Zukunft aber wird der Wahrspruch aus deutschen Landen heißen können: „Stored in Germany“.

Es klingt fast paradox: Während lange Zeit wegen der deutschen Sicherheitsbestimmungen rund ums Daten Speichern eher Gewitterwolken über hiesigen Rechenzentren hingen, zeigt sich jetzt, dass die mit harschen Auflagen beschwerte Datenwolke erhebliche Auftriebskräfte entwickelt. Nicht ohne einen Unterton der Genugtuung betont beispielsweise SAP, dass die hiesigen Datenschutzkonzepte zu einem der größten Deals für Business by Design (ByD) geführt haben.

In der Tat: die Regierung der australischen Provinz New South Wales will jetzt 7500 Anwender auf die Financials-Komponenten von ByD heben. Der 14,5 Millionen Dollar schwere Deal kam unter anderem auch zustande, weil SAP Australia sicherstellen konnte, dass personenbezogene Daten nicht außer Landes geraten, während die klassischen und unkritischen ERP-Informationen im zentralen Rechenzentrum für ByD abgelegt wurden.

Diese Flexibilität verlangen europäische Anwender von ihren OnDemand-Partnern. Allerdings tun sich die US-amerikanischen Anbieter immer noch schwer damit, dieses Ansinnen ernst zu nehmen und umzusetzen. Microsoft etwa arbeitet weiter an der Europäisierung oder gar Germanisierung seines Azure-Angebots. Für Microsoft und andere US-Provider gilt vorerst noch: Nur im Lande der Unbegrenzten Möglichkeiten sind die Daten wirklich sicher. Die Frage ist nur, vor wem und für wen?

Längst haben sich in Deutschland Initiativen gebildet (Cloud Germany, Deutsche Wolke), die mit Sicherheitsaspekten rund um das deutsche Datenschutzrecht werben. Die Warnung lautet schlicht: Die Möglichkeit einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat (Paragrafen 43 und 44) ist gegeben, wenn personenbezogene oder sensible Daten im Ausland gespeichert werden. Die meisten global führenden Cloud-Anbieter aber speichern außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums. Ansonsten bedarf es laut Datenschutzrichtlinie 2002/56/EG eines „angemessenen Schutzniveaus“. Das aber ist nach Ansicht der EU-Kommission bislang nur in Argentinien, in Teilen von Kanada und auf den Inseln Gurnsey und Man gegeben. In den USA, so die Kommission, bestehe praktisch keine Kontrolle über die Safe-Harbour-Bestimmungen.

Das freilich will US-Präsident Barack Obama ändern: Für Regierungsaufträge soll künftig der Nachweis der kontrollierten Datenhaltung innerhalb der eigenen Landesgrenzen Voraussetzung sein. Schwer nachzuvollziehen, warum diese Logik (personenbezogene Daten bleiben im eigenen Land) aus US-Sicht nicht auch anderen Nationen zugestanden wird…

Die neue „Doppelspitze“

Es sieht so aus, als sei es der NASA gelungen, den knapp eine Tonne wiegenden Kleinwagen „Curiosity“ sicher und funktionsfähig auf dem Mars zu landen. Überraschen kann der Erfolg nicht. Denn immerhin rund 8000mal ist die Landung vorher bereits durchgespielt worden. Nicht im Weltall, sondern im virtuellen Raum der Software NX, die Siemens an die Nasa (und viele andere Industriefirmen) verkauft hat. Darin werden nicht nur materialbezogene Informationen, sondern auch Konstruktions- und Simulationsdaten zu einem umfassenden Produktdatenpaket zusammengefasst – Product Lifecycle Management heißt das, kurz PLM. Und das ist, sagen die Marktauguren, der nächste ganz große Markt.

Die Revolution in der Entwicklung und Fertigung hat auch schon einen Namen: Industry 4.0. Und sie hat zahlreiche Protagonisten. Der Mars-Rover „Curiosity“ oder der Boeing Dreamliner beispielsweise. Auch Daimler und VW bauen und simulieren bereits virtuell – und investieren dafür hunderte von Millionen Euro, um weltumspannende Produkt- und Entwicklungsplattformen für globale Konzerne zu etablieren.

PLM ist ein Beispiel dafür, wie sich die Hardware-Schmiede Siemens in die nächste industrielle Revolution aufmacht – von der Maschine über die Elektronik in die Virtualität. Oder, wie die taz titelte, vom Dampf in die Cloud.

Dass die Cloud zur Marktkapitalisierung beitragen kann, hat SAP letzte Woche bewiesen. Der Konzern, der seit 40 Jahren mit Konzernsoftware Gewinn macht, hatte im DAX erstmals den bisherigen Deutschland-Primus Siemens überflügelt. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg in die Virtualisierung – mit Software ist mehr Börsenphantasie verknüpft als mit Hardware.

Der lange Zeit (auch von diesem Blog) gescholtene Softwarekonzern hat mit seiner Doppelspitze aus Bill McDermott und Jim Hagemann-Snabe offenbar vier glückliche Händchen: Der angesagte Weg, das Umsatzpotenzial durch weitere starke Produktbereiche zu verdoppeln, scheint begehbar zu sein: selbst entwickeltes Hana hier, zugekauftes BI-Angebot dort, selbstentwickeltes ByDesign hier, zugekaufte Cloud-Services dort. Es wäre nicht überraschend, wenn auch ein PLM-Paket in absehbarer Zeit ins SAP-Portfolio käme.

Auch politisch scheint SAP sich freizuschwimmen. Eine erste Einigung mit Oracle im milliardenschweren Datendiebstahl-Prozess wurde jetzt erreicht – auch wenn damit die nächstinstanzliche Verfolgung des Rechtsstreits noch nicht abgewendet ist. Auch das Geschäft in den USA und in China scheint SAP Freude zu bereiten. Und: SAP ist und bleibt auf Akquisetour.

Das sind Hausaufgaben, die bei Siemens noch anhängig sind. Zwar sitzt die große alte Dame auf rund neun Milliarden Euro liquiden Mitteln, aber so recht ist nicht zu erkennen, wofür diese Operationsmasse tatsächlich eingesetzt werden soll. Der Trend wird in Richtung Elektronik und Virtualisierung gehen müssen. Mit Hardware allein ist in Europa keine DAX-Spitze zu verteidigen.

Aber mit Finanzgeschäften. Wegen der guten Lage auf dem Kreditmarkt hat Siemens jetzt einen gigantischen Aktienrückkauf gestartet, der bis zum Jahresende 33 Millionen Aktien zurück in die Konzernzentrale spülen soll. Das hebt den Börsenwert, so dass sich Siemens im Dax neben SAP als Doppelspitze behaupten kann. Nachhaltig ist das aber nicht. Dazu wäre die Erneuerung des Produktportfolios notwendig. In der DAX-Doppelspitze hat SAP, was Siemens fehlt. Aber nicht umgekehrt.

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott

Es ist nicht verbürgt, dass Herkules zu den Vorbildern von Steve Ballmer gehört – obwohl seine physische Präsenz den Microsoft-CEO durchaus in die Nähe des mythologischen Heroen ziehen sollte. Bei dem Versuch jedenfalls, den Microsoft-Karren aus dem Dreck zu ziehen, scheint sich Ballmer an den Rat des antiken Supermanns zu halten: Greife erst selbst in die Speichen und treibe den Ochsen an, ehe du die Götter um Hilfe anflehst. Denn dem Mutigen helfen die Götter!

Ballmers Griff in die Speichen soll den Windows-Karren an die Oberfläche – sprich: Surface – zurückholen und die nächste gewonnene Dekade der „Windows-8-auf-jeder-Plattform-Ära“ einläuten. Dazu griff Ballmer in und um Toronto zu einem ganz besonderen Hebel, mit dem er die bisherige Welt aus den Angeln zu heben versucht: Microsoft steigt mit Surface selbst ins Hardware-Geschäft ein – und verprellt seine OEM-Partner.

Ob Acer, Hewlett-Packard oder Dell – die Hardware-Partner, die für immerhin 20 Prozent des Microsoft-Umsatzes im vergangenen Quartal stehen, haben schnell mit einem Kreidestrich markiert, wo für sie die Grenze des Akzeptablen im Zusammenspiel mit Microsoft liegt. „Microsoft sollte sich vom Hardware-Geschäft fern halten“, warnt beispielsweise Acer-Mitbegründer Stan Shih. HP hat sich dem Vernehmen nach aus Protest aus der gemeinsamen Windows-RT-Entwicklungsgruppe zurückgezogen und will sich künftig nur noch auf Intel-Basis engagieren. Ob hier eine Grundsatzentscheidung zur Kostensenkung gleichzeitig auch zum politischen Fanal stilisiert werden soll, sei mal dahingestellt.

Doch die Tiefschläge aus dem OEM-Bereich zeigen bei Ballmer Wirkung. Schon in einem Brief an die US-Regierung machte er deutlich, dass Surface nur ein Entwurf sei und dazu diene, für Windows 8 auch und vor allem auf Tablett-PCs zu werben. Ansonsten unterstütze man die Hardware-Hersteller wo immer möglich bei der Entwicklung von mobilen Endgeräten mit dem Windows-8-Betriebssystem.

In der Tat: Bislang hatten HP, Dell und Acer nicht unbedingt größte Eile an den Tag gelegt, um das Windows-8-Announcement mit eigenen Begleit-Produkten zu unterstützen. Zwar drängt Dell jetzt darauf, den durch HP freigegebenen Platz im WART-Markt (Windows auf ARM RT) einzunehmen. Gleichzeitig aber munkeln Marktbeobachter, die PC-Hersteller könnten in einer Art Trotzreaktion nun Mobilgeräte mit Android ausliefern. Dann wäre das exakte Gegenteil von dem erreicht, was Ballmers Hardware-Experiment erreichen sollte. Nämlich der Gewinn an Marktanteilen für Windows 8 im mobilen Sektor.

Oder hat Surface seine wichtigste Werbebotschaft bereits übermittelt? Surface bringt es doch an den Tag: Wenn Microsoft sich nicht um das Ecosystem rund um Windows 8 bemüht, wer sollte es dann sonst tun? Praktisch alle Hardware-Hersteller überdenken derzeit ihr Portfolio – wenn nicht sogar die gesamte Geschäftsstrategie. HP beispielsweise spekuliert weiterhin über den kompletten Ausstieg aus dem PC-Geschäft. Da käme der Streit mit Microsoft gerade Recht.

IBM hatte in den neunziger Jahren einen Grundsatz etabliert, der das Geschäft mit Partnern stressfrei gestalten sollte: Keine eigenen Engagements im Anwendungsbereich. Statt die Software vom System zur Application auszuweiten, setzte IBM eher auf Service – und ist heute so profitabel wie nie. Aber der Preis war die Aufgabe einer gemeinsamen Marktpräsenz von ISVs und IBM, die für den Mittelstand weltweit Tausend und eine Anwendung anbot und damit marktdominierend wurde.

Nicht weniger will Microsoft – am liebsten mit OEMs und ihrem klaren Bekenntnis zu Windows 8. Sicher eine Herkules-Aufgabe. Aber sonst bliebe ja nur: die Aufgabe.