Zwischen Quartal und Schuldenberg

Plötzlich geht wieder ein Schreckgespenst um: Gewinnwarnungen. Die anhaltende Euro-Krise und die schwächelnde Wirtschaft in China zeigen, wie wenig immun das exportorientierte Deutschland ist. Während in früheren Jahrzehnten vor allem die traditionellen Grundstoff-Branchen wie Stahl und Chemie mit Schwächeanfällen auf internationalen Krisen reagierten, ist es jetzt auch die IT-Branche, die als globaler Lieferant von Querschnittstechnologien in den Sog gerät.

Zwar wächst die chinesische Volkswirtschaft auch in diesem Jahr um gut sieben Prozent – aber die nunmehr nur noch einstelligen Wachstumsraten führen zu einer erheblichen Abkühlung. Erste Erkältungserscheinungen finden sich in den Vierteljahresberichten: Bei Halbleiterhersteller wie Infineon oder bei Softwareanbietern wie die Software AG erwarten Insider offensichtlich Quartalsberichte, die hinter den Zielen zurückbleiben. Dies würde zeigen, wie abhängig sie als Zulieferer ganzer Industriezweige vom allgemeinen Trend sind.

Denn der Aufschwung des Jahres 2011 klingt ab – auch wenn für Deutschland für das laufende Jahr ein im Vergleich zu Rest-Europa mildes gesamtwirtschaftliches Plus von einem Prozent erwartet wird. Zwar melden Techconsult und Sage, dass die deutschen Mittelständler im vergangenen Jahr mit 1936 Euro pro PC-Arbeitsplatz investierten und damit so tief in die Tasche griffen, wie seit langem nicht. Aber gleichzeitig ist zu erkennen, dass sich diese Investitionsbereitschaft 2012 nicht wiederholen wird. Und was für die Betreibe in Deutschland gilt, trifft auch auf Companies in Nordamerika zu: Jetzt wird erst einmal abgewartet – und von Quartal zu Quartal entschieden.

Schon hält der SAP-Vorstand seine Mitarbeiter an, die Kosten im Auge zu behalten. Der interne Aufruf zum Sparen kommt allerdings zu einem Zeitpunkt, wo gleichzeitig die Ernte einer weltweit geglückten Produkt-Aussaat seit dem vergangenen Herbst eingefahren wird: „Unser Rekordergebnis spricht für sich. Wir haben zweistelliges Wachstum in allen Regionen erreicht mit großer Wachstumsdynamik bei unseren Kernanwendungen sowie bei SAP HANA, Mobile und in der Cloud. Trotz eines unsicheren gesamtwirtschaftlichen Umfelds haben wir das obere Ende unseres geplanten Umsatzwachstums für das zweite Quartal erreicht“, sagten die Vorstandssprecher Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe gegenüber dem Branchendienst isreport.

Mit Rekorderlösen von 1,06 €uro im zweiten Quartal stemmten sich die Walldorfer erfolgreich gegen den Trend und legten damit um 26 Prozent zu. Microsoft hingegen musste zum ersten Mal seit dem Börsengang einen Quartalsverlust ausweisen. Zwar hat die Company aus Redmond mit einer Abschreibung auf ihr Online-Geschäft selbst zum schlechten Quartalsergebnis beigetragen. Aber der 13prozentige Rückgang bei Windows-Verkäufen zeigt, dass das Geld am PC-Arbeitsplatz weniger locker liegt.

Doch – ähnlich wie bei SAP – hat Microsoft die Aussaat neuer Produkte rund um Windows 8 und Office 2013 längst vollzogen. Nur die Weltkonjunktur könnte jetzt noch die Ernte verhageln.

PCs brauchen den gewissen Touch

Jetzt ist es amtlich – oder doch halbamtlich: Gartner´s aktuelle Verkaufszahlen für Personal Computer weisen auf das sich abzeichnende Ende eines Marktes hin, der seit drei Jahrzehnten eine ganze Industrie in Reichtum gebracht hat. 87,5 Millionen PCs wurden weltweit in den Monaten April bis Juni verkauft. Das sind etwa 850.000 Stück weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Damit oszillieren die Absatzzahlen seit drei Jahren rund um die 90-Millionen-Marke. Die Wachstumsraten aus Brasilien, Indien und China können offensichtlich die Rückgänge in den Industrieländern gerade noch ausgleichen. Die Musik spielt indes woanders.

Denn nach der strengen Gartner-Nomenklatur gelten Tablet-PCs und damit das erfolgreichste Einzelprodukt, der Apple iPad, nicht als PCs im engeren Sinne, sondern als mobiles Endgerät. Dennoch hat der iPad einen unmittelbaren Einfluss auf den PC-Markt. Denn kaum war er im Frühjahr 2010 auf dem Markt, rasten die Verkäufe mit sogenannten Netbooks in den Keller. Die kleinen Internet-PCs für unterwegs sollten eigentlich den nächsten Wachstumsschub für den PC-Markt bringen. Tatsächlich werden sie nun zum Symbol für ein veraltetes Paradigma.

Damit haben zunächst einmal die vier großen Hardware-Anbieter, HP, Lenovo, Acer und Dell, zu kämpfen. Der Verkauf der PC-Sparte an Lenovo war der letzte Akt der Restrukturierung von IBM. Hewlett-Packard steckt mitten in dieser Phase fest – der seinerzeit von Léo Apotheker in Angriff genommene Verkauf der Sparte ist vorerst zurückgenommen worden. Dafür gibt’s Entlassungen. Auch Acer und Dell haben die Neuausrichtung noch vor sich.

So sehr die gegenwärtige Stagnation die PC-Hersteller in die Klemme bringt, noch stärker in der Tinte sitzt Microsoft, dessen Hauptprodukte – Windows und Office – von diesem erstarrten Markt abhängen. Kein Wunder, dass Microsoft-Chef Steve Ballmer von der World Partner Conference in Toronto gleich zur großen Office-Produkt-Ankündigung nach San Francisco jettet. Office 2013 – in den bisherigen Spekulationen auch Office 15 genannt – soll ganz auf die Metro-Oberfläche von Windows 8 ausgelegt werden. Das dürfte ganz neue Ergonomie-Ergebnisse für die weltweit erfolgreichste Personal-Productivity-Software bringen – denn die klassische Maus wird durch Gestensteuerung ersetzt.

Microsofts Plan für die eigene Zukunft (und die Rettung des klassischen PC-Markts) basiert auf Touchscreens. Steve Ballmer schwebt vor, dass wir künftig alle wie Theo Koll in der Wahlnacht vor übergroßen Flatscreens turnen, drücken und deuten, wählen und wischen. Die PCs der Zukunft haben jenen gewissen Touch, dem die mobilen Tablets heute schon ihren Markterfolg verdanken. Neun von zehn PCs haben heute Office geladen – das soll auch in der Touch-Ära so bleiben, meint Microsoft.

Deshalb überlässt Steve Ballmer hier nichts dem Zufall. Zusammen mit der Ankündigung von „Office Touch“ wird Microsoft auch die Übernahme von Perceptive Pixel thematisieren. Das New Yorker Unternehmen ist führender Anbieter großformatiger Touchscreens, wie sie in Fernsehsendungen mit interaktiven Präsentationen bereits gang und gäbe sind. Doch weniger die heutige Hardware-Produktion als vielmehr die knapp ein Dutzend Patente des Unternehmens sind für Microsoft zukunftsentscheidend. Angesichts des Patentstreits zwischen Apple und Samsung über Gestentechnologie setzt Ballmer wohl auf die Vorwärtsverteidigung. Erst die Patente, dann die Produkte – und dann keinen Prozess.

Bleibt noch eine Herausforderung: die neuen Touchscreen-PCs müssen massenmarktfähig werden. Die derzeitigen hochpreisigen Flatscreens werden schrumpfen – im Preis und in der Größe.

Balsam für Ballmer

Früher, als Steve Jobs noch lebte, als Bill Gates noch nervös in seinem Stuhl hin und her rutschte, als Nick Donofrio uns noch erklärte, warum die Welt immer Mainframes brauchen würde… Früher, da pilgerten wir ins Mekka der Informationstechnologie – nach Las Vegas, nach Orlando, ins Silicon Valley. Dann hatten wir um sechs Uhr morgens nur eben ein Muffin aus der Frischhaltepackung gemampft, einen gerade noch genießbaren amerikanischen Kaffee geschlürft und uns in die Schlange vor dem Convention Center gestellt, um die nächste Offenbarung, die nächste Bergpredigt zu hören. Erleuchtung war uns gewiss und wir wussten, in welche Richtung wir im fernen Deutschland unser IT-Business ausrichten sollten, um auch weiter in unserem Sprengel erfolgreich Geschäft machen zu können.

Und jetzt und hier – 2012 in Toronto – bei der Microsoft Word Partner Conference stehen wir um sieben Uhr morgens mit einem frugalen Frühstück im Bauch vor diesem Air Canada Center, um ihm zu lauschen – Steve Ballmer, dem CEO von Microsoft, der uns erzählen wird, mit welchem Spin sich die Welt in den kommenden Monaten drehen wird. Es ist nicht gerade das nächste Gottesteilchen, deren Entdeckung wir harren. Aber so manch Teilchen für die nächste Cloudiade, die nächste Periode des Cloud Computings erhoffen wir doch.

Moment mal! Steve Ballmer? Ist das nicht der glücklose Vorstandsvorsitzende von jenem Unternehmen, dem Analysten schon den baldigen Marktabgang prognostiziert hatten? Ist das nicht der ewige zweite Mann in Redmond, der auch nach Bill Gates´ Rücktritt irgendwie wie die Zweitbesetzung einer Spitzenrolle wirkt?

Aber jetzt sitzen wir im Convention Center und hören ein Feuerwerk von Produktankündigungen. Hören, dass inzwischen eine Milliarde Menschen auf der Welt Office benutzen. Das ist immerhin mehr als Facebook-Freunde auf der Welt. Wir hören, dass es jetzt aber so richtig losgeht – mit Windows 8, mit Windows Phone 8, mit Windows RT – und alles (oder doch das meiste) schon ab August.

Und wir riechen das Geld, das für treue Microsoft-Partner unter der Wolke wächst. Wir applaudieren zu den Produktankündigungen, die uns in das Geschäftsmodell einbeziehen und uns erkennen lassen, dass alles, alles gut wird für die Zehntausende von Certified Partner ISVs, die in der jüngsten Vergangenheit kleinmütig ihren Glauben an das ewige Geschäftsmodell der Gates-Company verloren hatten. Jetzt sehen wir wieder eine Zukunft. Eine einzige Rede, ein einziger Auftritt von Steve Ballmer – und alles scheint wieder im Lot.

Einen Moment erschrecken wir uns. Da fallen die Mikrofone aus und der sonst so marktschreierische Steve Ballmer ist plötzlich stumm. Nur in den ersten Reihen – wo wir natürlich Platz genommen haben – kann man noch die Sprechversuche hören. Da ahnt man plötzlich eine schreckliche Sekunde lang, dass vielleicht doch im Lichte der nächsten harten Sales-Wochen doch nicht alles so zukunftssicher ist, wie es in dieser wichtigsten aller Keynote-Speaches des laufenden Jahres für ein paar Viertelstunden lang geklungen hat.

Dann aber, nach drei ausgewechselten Mikrofonen, ist die Stimme wieder da und fängt uns ein. Verkaufen, verkaufen und immer wieder verkaufen. Es ist nicht nur Balsam für die ISVs, was wir da hören. Es ist auch Balsam für Ballmer, den lange Gescholtenen. Aber: Wenn Toronto Vergangenheit sein wird – dann muss er liefern.

Microsoft braucht ein neues Firmen-Gen

Es geht mal wieder um die Wurst: Vordergründig wird sich auf der Microsoft World Partner Conference ab dem kommenden Wochenende alles um Windows 8, den neuen Tablet-PC und den Windows Store drehen. In Wahrheit aber geht es in Toronto um Microsofts Zukunft. Der Windows-Company muss es gelingen, ihre Fat-Clients abzuspecken und endlich mit Erfolg auf die Cloud-Diät einzuschwenken.

Denn unter der Wolke funktioniert das alt-gewordene Microsoft-Geschäftsmodell nicht mehr lange. Die Windows-Nahrungskette sieht vor, dass kontinuierlich Desktop-Betriebssysteme ausgetauscht werden, was dann neue Optionen in der weiteren Microsoft-Produktpalette nach sich zieht. Das ist ein durchaus sicheres Modell, auch wenn – wie im Falle von Vista – einmal ein Upgrade-Zyklus fehlschlägt. Der Windows-Nachfolger Windows 7 hat die Vista-Panne mit bis dato 690 Millionen installierten Einheiten mehr als wettgemacht. Zum Vergleich: in diesem Zeitraum wurden 245 Millionen Android-Systeme und 196 Millionen iOS-Systeme installiert.

Die Message, die Microsoft jetzt mit dem Launch von Windows 8 und dem für ARM-Chips (statt wie bisher exklusiv für Intel) optimierten Windows RT rüberbringen möchte, ist schlicht: Windows ist unverändert marktdominant und Windows 8 wird dieses Erbe antreten.

Doch Windows 8 muss sich in einem veränderten Geschäftsmodell bewähren. Sein Erfolg wird nicht allein daran gemessen, wie schnell es Microsoft gelingen wird, die Clients daheim und unterwegs, im Büro und in der Werkstatt umzustellen. Jetzt muss es darum gehen, die Smartphones zu erreichen, den Tablet-PC zu etablieren, den Windows Store mit Apps auszustatten und die Cloud Produkte von Azure bis Ofice365 zu vermarkten. Schlägt das fehl, könnte die ganze Firma fehlschlagen.

Zwei Zahlen zeigen, worum es geht – die erste kommt aus Microsofts aktuellem Geschäftsbericht: Im ersten Quartal des laufenden Jahres hat Microsoft einen Umsatzanstieg von sechs Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum erzielt und dabei 13,25 Milliarden Euro (17,4 Milliarden Dollar) umgesetzt. Zum Wachstum hatte dabei die Office-Sparte mit plus neun Prozent, die Windows-Sparte mit plus vier Prozent beigetragen, während der Umsatz der Entertainment and Devices Division um 16 Prozent sank – oder sollten wir sagen: einbrach?

Die zweite Zahl entnehmen wir dem Quartalsbericht von Apple: Fasst man alle iPhone-bezogenen Umsätze zusammen (dazu gehören neben Hardware und Systemsoftware eben auch die Einnahmen aus dem AppStore), so summieren sich die Einnahmen auf gut 22 Milliarden Dollar (16,75 Milliarden Euro).

Nicht nur gelingt es Apple, mit einem einzigen Produkt mehr Umsatz zu generieren als Microsoft mit der gesamten Produktpalette. Es ist auch ausgerechnet die notleidende Entertainment and Devices Division, die für den iPhone-Konkurrenten Windows Phone zuständig ist. Sie kann nur reüssieren, wenn Windows 8 im mobilen Web durchschlägt.

Für diese Welt aber hat Microsoft kein Firmen-Gen. Das Geschäftsmodell ist auf Ablöse auf dem Desktop, dem Fat Client, ausgerichtet. Von diesem Modell muss sich Redmond trennen, wenn es im Highspeed-Market unter der Cloud überleben will. Das ist mehr als die Vertrauensfrage Richtung Windows und Office. Es ist die Vertrauensfrage an das Top-Management, das vielversprechende Neuprodukte verzögert, wenn nicht gar verhindert. Microsoft war einmal das Synonym für eine neue Kultur. Jetzt braucht Microsoft eine neue Kultur, ein neues Firmen-Gen.