Wie wäre es denn mit einem eWeb-Gipfel?

Im Kanzleramt ging‘s am Montag wieder einmal hoch her – so von Gipfel zu Gipfel. Erst die Parteispitzen, dann der Internet-Gipfel – beides derzeit nicht unbedingt Deutschlands Vorzeigeprojekte.

Schon im Vorfeld der Elefantenrunde der Koalitionspartner gab es so manche Partei-Spitze, die  zwischen den Junior-Partnern FDP und CSU ausgetauscht wurde. Dabei gerierte sich die FDP als Ordnungshüter gegenüber der sich bereits im Vorwahlkampf befinden christsozialen Union: Von einer Mindestlohn-Maut-Frauenquoten-Politik war da von den einen die Rede, während die anderen auf Wahlversprechen, Koalitionsverträgen, Mehrheitsmeinung pochten. Am Ende kam raus, was auch vorher schon für die meisten feststand: Diese Regierung ist heillos zerstritten, aber im internationalen Maßstab außerordentlich erfolgreich.

Dann wurde der Deutsche Internet-Gipfel als Kontrastprogramm gegeben: Acht Unternehmer aus 88 erfolgreich gegründeten Unternehmen zu Gast bei der Kanzlerin. Die Gruppe der praxiserprobten Internet-Entrepreneure um den Xing-Gründer Lars Hinrichs soll der Kanzlerin einen Weg aus dem ewigen Dreiklang der Internet-Gründungen weisen: Geschäftsidee, lokales Wachstum, Verkauf an einen US-Investor. Beklagt wird, dass deutsche Innovationen nicht nur durch mangelnde Marktkenntnis (Lieblingsbeispiel mp3), sondern auch durch Marktmechanismen ins Ausland abwandern.

Nun hat es einen gewissen Beigeschmack, wenn ausgerechnet ein Unternehmer-Oktett, dessen Mitglieder im Durchschnitt elf Unternehmen pro Kopf gegründet haben, bei der Kanzlerin über einen Ausweg aus dem Verkaufsdilemma sucht. Ein persönlicher Rat sei hier ungefragt bereits geäußert: Einfach nicht verkaufen! Ich persönlich habe bereits mehrfach Kaufangeboten aus den USA widerstanden – und mich auch entsprechend oft geärgert. Aber das ist der Preis für Standorttreue.

Jetzt sollen also europaweit Mechanismen gefunden werden, die den Ausverkauf des Alten Kontinents behindern sollen und Internet-Unternehmer an ihre heimischen Standorte binden könnte. Eine europäisch einheitliche Rechtsform für kleine und mittlere Unternehmen wird da vorgeschlagen – gute Idee, hatten wir aber schon. Eine Überarbeitung des Urheberrechts hat Bundesjustizministerin Leuttheusser-Schnarrenberger ins Gespräch gebracht – gute Idee, befördert aber auf der anderen Seite den Brain-Drain im Web. Unbürokratischer Zugang zu europäischen Fördertöpfen – man hört das Brummen der Bartaufwickelmaschine.

Mit dem Internet-Gipfel, der in der Presse bereits fälschlich-verkürzend IT-Gipfel genannt wird, schafft die Kanzlerin einen Gegengipfel zum fest verankerten IT-Gipfel, dessen nächste Besteigung im Herbst geplant ist. Dort sitzt sie mit den Spitzenvertretern der Informationswirtschaft und Telekommunikation zusammen, um Infrastrukturthemen und Fragen zur Standortförderung zu diskutieren. Im Herbst wird dabei erneut das Thema Cloud Computing – also ein Thema für Internet-Entrepreneure – diskutiert. Multilaterale Themen wie Datenschutz, Sicherheit und vertrauensbildende Maßnahmen im eCommerce werden dabei vorbereitet, zur Entscheidung gebracht und umgesetzt. Forderungen, wie sie jetzt im Web-Stübchen des Kanzleramts diskutiert werden, haben dort ihre Heimat. Die Position dabei ist klar: Abhilfe beim Fachkräftemangel, Schaffung einer Gründerkultur, Aufbau von Wagniskapital in Deutschland, Bürokratieabbau. Was für die Informationswirtschaft im Allgemeinen gilt, gilt für die Webwirtschaft im Besonderen.

Ach, übrigens – am Montag war auch Gipfeltreffen im Bundesverband der Deutschen Industrie. Dort gings um die praktische Umsetzung der Energiewende und hierbei insbesondere um die Frage, wie schwankende Energiebedarfe in Deutschland (und in Europe) ausgeglichen und bedient werden können. Eines haben die vorgeschlagenen Konzepte gezeigt: Ohne IT gibt es keine Energiewende. Was derzeit entsteht, ist das eWeb, das Internet der Energie. Oder kurz und prägnant: Ohne IT keine Energiewende – und ohne Energie keine IT.

Eternal Flame

Es musste schon Pfingsten sein, als der neueste Trojaner namens Flame oder Flamer über uns kam. Und die Flamme macht ihrem Namen auch alle diabolische Ehre: Jeden, der ihn sich einhandelt, horcht der Wurm über das Mikrofon des PCs aus – in allen Sprachen…

Computervirologen sind sich einig, dass auch diese Malware wie schon seinerzeit Stuxnet nur aus einer Quelle stammen kann, die über die nötigen finanziellen und intellektuellen Mittel für ein solches Großprojekt verfügt. Und wie die New York Times ausgerechnet jetzt aufdeckt, sind die Auftraggeber für Stuxnet im Weißen Haus in Washington zu suchen. Es lädt zu Schlussfolgerungen ein, dass Flame ähnlich wie Stuxnet zunächst einmal Iran und danach die benachbarte islamische Welt befällt.

Das regelmäßige Auftreten der kleinen Schädlinge ist schon irritierend genug. Ihre Entdeckung lässt ahnen, dass es bereits eine Schattenwelt der Software gibt, mit deren Arsenal ein Cyberkrieg zwischen Interessenssphären tobt. Zwischen Kulturkreisen, zwischen Staaten – auch zwischen Unternehmen? Es wäre naiv anzunehmen, dass ein ingenieurmäßig entwickelter Wurm nicht auch von privatwirtschaftlicher Hand in Auftrag gegeben werden könnte.

Stuxnet hatte einen eindeutig geheimdiensttechnischen Hintergrund: Sabotage. Flame widmet sich der zweiten Kardinalsdisziplin des Under-Cover-Gewerbes: der Spionage. Ob Sprachmitschnitte übers Mikrofon, Hardcopies von Bildschirminhalten, Abschriften von Mails Flume kann alles. Der Wurm kommt daher wie eine App, die nach dem Upload noch konfiguriert und ergänzt werden kann. Er macht Anwendungen und Daten on Premise noch unsicherer als Anwendungen und Daten on Demand jemals sein könnten.

Was können die Viren, die derzeit unentdeckt ihr Unwesen treiben. Wie lange sind Viren dieser Qualität schon im Web und auf unseren Rechnern aktiv? Die ältesten Programmierteile von Flame sind immerhin fünf Jahre alt. Nimmt man die Entwicklung der Softwaretechnik im sichtbaren Bereich zum Maßstab, müssen wir bei den „Errungenschaften“ in der Schattenwelt des Programmierens auf das Schlimmste gefasst sein.

Was Staaten können, was Regierungen beschließen  (und offensichtlich auch tun), das können über kurz oder lang auch andere Organisationen. Man muss die organisierte Kriminalität nicht erst auf schlechte Gedanken bringen – aber ein großangelegter Erpressungsversuch wäre doch der logisch zu erwartende nächste Apokalyptische Reiter der Computerszene: Facebook-Freunde in der Geiselhaft eines Computerwurms? – Plötzlich klingt das nicht mehr wie ein Hirngespinst, sondern wie eine Programmiervorlage, an der irgendwo auf dieser Welt längst gearbeitet wird.

Und das schlimmste: gegen den Cyberterror gibt es keinen Schutz. Man kann Laufwerke zuschweißen, Firewalls errichten, Webzugänge verbarrikadieren, USB-Anschlüsse verbieten, Bug Fixes aktualisieren – am Ende bleibt das Wettrüsten zwischen Angriff und Verteidigung.

Die Flamme brennt – und sie kann zum Flächenbrand des Misstrauens werden.

Ariba, ariba – Real SAP

Wenn es eines Beweises bedurfte, dass Cloud Computing der Trend der Dekade ist, dann hat ihn SAP jetzt erbracht, als das Kaufangebot an den Online-Marktplatzbetreiber Ariba auf den Tisch gelegt wurde. Nimmt man die Investments für die Entwicklung der OnDemand-Suite Business by Design, für die OnDemand Solutions für Large Enterprises, die Apps für Business One und weitere ERP-Lösungen sowie die Übernahme von SuccessFactor und jetzt Ariba zusammen, dann dürfte Walldorf in den zurückliegenden zehn Jahren annähernd 20 Milliarden Euro in die Cloud gesteckt haben.

20 Milliarden für ein Phantom? Was wäre das für ein Treppenwitz!

Aber 20 Milliarden Investition, um in einem sich soeben erst entwickelnden Markt erfolgreich zu sein? Das ist doch eigentlich eine Katastrophe!

Die Visionen, die aus der Wolke herabregnen, gehen ins Uferlose. Auf 240 Milliarden Dollar wird der Cloud-Markt geschätzt – im Jahr 2020. Heute sind es weltweit erst 40 Milliarden Dollar, ein Achtel davon wird allein in Deutschland ausgegeben.

Das ist kein Markt, den man übersehen sollte. Aber genau das haben die Global Player lange getan. Sie haben argumentiert, dass sich ERP-Lösungen vorerst nicht für das Cloud Computing eignen, dabei aber völlig übersehen, dass sich diese Systeme längst in einer Metamorphose befanden, die mit der Diskussion um Service-orientierte Architekturen bereits die Richtung wies. Die Fehleinschätzung bestand darin, dass SOA nicht nur zu breit angelegten Anwendungsinfrastrukturen für Wholesale-Anbieter führten, sondern auch Spezialisten einlud, einzelne Anwendungsaspekte herauszupicken und für die Cloud zu optimieren. Und diese Spezialisten sind es heute, die von den Global Playern mit Milliardensummen vom Markt gekauft werden.

Die Schlacht in den Wolken, den die Global Player über unseren Köpfen austragen, mutet jedoch längst wie ein Stellungskrieg an. Jeder übernimmt, was das Zeug hält: IBM, Oracle, HP, SAP, Google und Facebook. Und auch SalesForce kauft und kauft – und verteidigt sich damit selst gegen eine mögliche Eroberung. In dieser Schlacht gibt es keine Freunde.

Und auch keine Grenzen. Was sind schon 3,4 Milliarden, wenn sich Facebook mit 100 Milliarden Dollar an der Börse wappnet. Was ist schon ein Börsenwert von 100 Milliarden Dollar, wenn er tags drauf schon schneller zu schrumpfen beginnt, als andere das Geld zum Cloud-Window hinauswerfen?

Geld schießt nicht nur Tore, es öffnet auch die Tore zu neuen Märkten. In der Tat mutet der Kampf um den besten Platz unter der Wolke an wie das Wettrüsten um die Trophäe der Champions League. Hier wie da werden derzeit Wahnsinnssummen über den Tisch geschoben, um die Superstars ins Team zu holen. SAP hat sich mit dem Goalgetter Daalgard von SuccessFactor ausgestattet und will nun mit Ariba auch die Abwehr verstärken. Der nächste Milliardendeal der werten Marktbegleiter ist nur eine Frage der Zeit.

Noch ist das Geld da. Bald ist es woanders. Es lohnt sich, jetzt eine Startup-Company mit Cloud-Ambitionen zu gründen. Sie könnte in einem Jahr schon Milliarden wert sein.

 

 

Facebook feiert, HP feuert

Sell in May and go away – sagen Börsenexperten und empfehlen, Ende April das eigene Depot zu überprüfen und Gewinne mitzunehmen. Aber auch Ende Mai scheint es dieses Jahr noch Anlass für eine Depotbereinigung zu geben. Denn bereits am ersten Handelstag geriet die Facebook-Aktie stark unter Druck. Nur erhebliche Stützungskäufe der Ausgabebank Morgan Stanley haben vor dem Wochenende verhindert, dass die Aktie bei ihrem Debüt unter den Ausgabekurs rutschte. Die Woche danach dürfte jetzt zeigen, ob diejenigen Recht behalten, die die Aktie ohnehin für hoffnungslos überbewertet hielten. Die Woche der Entscheidung begann jedenfalls in Frankfurt mit einem Abschlag um fünf Prozent.

Noch freilich ist Mark Zuckerberg in Feierlaune – erst Geburtstag, dann Börsengang, dann Hochzeit. Doch jetzt geht es wieder an die Hausaufgaben: Bezahlte Nachrichten, Online-Shopping, mobile Werbeanzeigen – die Freunde-Seite muss künftig einiges an zusätzlichen Umsatzquellen erschließen (und damit auch manchen Tabubruch begehen), um das massive Umsatzwachstum, auf das die euphorischen Aktienkäufer setzen, auch tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen. Denn um einen Börsenkurs zu rechtfertigen, der derzeit das Hundertfache des Jahresumsatzes beträgt, muss Facebook in den nächsten beiden Jahren kräftig wachsen – mindestens hundertprozentig. Die nächsten Schritte werden von der Börse genauestens beäugt.

So wie die Börse die nächsten Schritte von Hewlett-Packard beobachtet – und vorerst nicht honoriert. Die Ankündigung, bis zu 30.000 Arbeitsplätze auf den Prüfstand zu stellen, sollte eigentlich auch den Aktienwert heben. So will es die Börsenarithmetik, die nicht nur Wachstum honoriert, sondern auch Schrumpfen an der richtigen Stelle.

Das gilt vor allem, wenn die Maßnahmen richtig kommuniziert werden. Als der glücklose Léo Apotheker bei HP seinen Sparkurs vorstellte, sackte der Kurs weg, weil keiner glaubte, dass die angekündigten Einschnitte nötig waren. Die Konsequenz: der Deutsche musste gehen. Jetzt, wo Meg Whitman, eine weit darüber hinaus gehende Maßnahme ankündigte, kann sie das mit dem Hinweis auf das Chaos begründen, dass sie angeblich beim Amtsantritt vorgefunden habe.

Der Hieb  richtet sich weniger gegen Léo Apotheker, der in seiner kurzen Amtszeit weder die Chance hatte, Chaos anzurichten, noch es zu beseitigen. Die Kritik zielt auf den bis 2010 amtierenden Chef Mark Hurd, der dem Unternehmen Perspektive genommen hatte, als er die Budgets für Forschung und Entwicklung kappte. Jetzt soll dagegen in der ohnehin schrumpfenden PC-Sparte gespart werden. Sollten hier tatsächlich 18.000 Mitarbeiter gefeuert werden, könnte dies Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Dollar bedeuten. Und sieben bis zwölf Tausend weitere Arbeitsplätze werden überprüft…

Noch freilich reagiert die Börse nicht. Am Mittwoch aber wird Meg Whitman die Bilanz vorlegen. Analysten befürchten, dass ein Umsatzrückgang von vier Prozent auf etwa 122 Milliarden Dollar ausgewiesen wird. Das wäre dann der Zeitpunkt, zu dem Meg Whitman ihre Feuer-Bereitschaft präzisieren müsste. Dazu wird sie auch eine Vision benötigen, eine Börsenstory, die die Phantasie anregt.

Doch allzu viel Phantasie an der Börse ist auch riskant. Noch feiert Facebook. Aber aus Frankfurt kommen bereits erste Warnungen. Der NASDAQ öffnet in wenigen Minuten. Wollen wir wetten?