SAP phiret sich selbst

Kaum hat die Sapphire hier in Orlando begonnen, ist sie auch schon wieder  vorbei. Und nach den Auftritten von Lars Dalgaard, Vishal Sikka, Jim Hagemann-Snabe, Bill McDermott und schließlich Hasso Plattner ist eigentlich alles gesagt – nur noch nicht von jedem.

Jeder reitet derzeit sein eigenes Steckenpferd: Hana hier, Cloud da, die Entwicklung der Märkte in den Schwellenländern dort – und als übergreifendes Thema teilen alle unisono die Überzeugung, dass sich die Zeiten ändern und die SAP ändert sich in ihnen.

Gleichzeitig wird auf der Bühne in den Auditorien überdeutlich, dass sich das Machtgefüge im Top-Management der SAP verlagert, dass Machtkämpfe zwischen den Kombattanten für die Dauer der Sapphire lediglich ruhen, aber nicht beigelegt sind.

Deutlich wird das im zum Teil übermotiviert wirkenden Auftritt des Vorstand-Neulings Lars Dalgaard, der wie ein Evangelist des Cloudizismus Selbstbewusstsein und Sendungsbewusstsein kombiniert.

Deutlich wird dies aber auch in den Beiträgen der beiden Co-CEOs, die sich eifrig gegenseitig referenzieren und deutlich machen, dass zwischen das Spitzenduett derzeit keine Postkarte passt.

Und deutlich wird dies schließlich im Vortrag des Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner, der die Hana-Mania weiter schürt und neben sich und seinem Lieblingsthema kaum noch etwas gelten zu lassen scheint.

Die Sapphire ist schon eine bemerkenswerte Show. Wogende Wälder auf der Leinwand signalisieren Nachhaltigkeit, Umweltbewusstheit und Freiheit. Es gibt nur ein Vorwärts, ein Weiter, ein Globaler. Auf der Sapphire feiert SAP sich selbst – als gäbe es nur SAP. Dafür ist die Show da.

Hinterm Vorhang aber sieht es anders aus. Das beweisen die Videos und Mails, die in den letzten Monaten nicht nur intern zirkulierten, sondern eben auch an die Öffentlichkeit durchgesteckt wurden. Dabei werden drei Tendenzen überdeutlich:

  1. Hana ist der Heilsbringer für alle datenintensiven Anwendungen – von der Betriebswirtschaft bis zur medizinischen Diagnose.
  2. Cloud ist das Sorgenkind in allen Anwendungsbereichen – von ByD bis zu Large Enterprise.
  3. ERP als monolithisches Angebot ist passé – dafür sollen offen Plattformen kommen.

Die Revolution innerhalb der SAP bricht auf der Sapphire nicht offen hervor, aber sie brodelt. Da wird das Minus von 64 Prozent, das die Cloud-Division zum Ergebnis beiträgt, angeprangert. Da wird ein antiquiertes Verständnis zur Technologie polemisiert. Da werden überholte Vertriebsmethoden kritisiert.

Es scheint, als erwache da ein schlafender Riese, der sich noch verdutzt in einer veränderten Welt umsieht und eine neue Orientierung sucht. Da kommt die Sapphire gerade recht. Denn die Show in Orlando ist zwar in erster Linie eine Kundenveranstaltung – aber in diesem Jahr diente sie ebenso der Selbstverortung, ja der Selbstbestätigung. SAP vergewissert sich seiner selbst, weil die Zukunft so ungewiss ist.

SAPPHIRE: Mehr PaaS, weniger SAP

Es herrscht ein wenig Revolutionsstimmung hier in Orlando, wo sich bereits vor dem offiziellen Start der globalen Kundenveranstaltung die Gerüchte auf die zukünftige Cloud-Strategie des Software-Riesen konzentrieren. Dabei wird der Durchbruch weniger von neuen Produkten erwartet, die die gute alte SAP ankündigen wird. Die Erwartungshaltung richtet sich auf eine neue SAP, selbst wenn sie dann die guten alten Produkte präsentiert…

Es musste nicht erst das Dreigestirn aus Hasso Plattner, Dietmar Hopp und dem Neu-Vorstand Lars Dalgaard im ersten Quartal per Video, Mail oder in Interviews Warnungen formulieren, dass es mit der SAP „as we know her“ im Cloud-Computing so nicht weitergehen könne. Schon die Ankündigung, dass sich SAP nach vier Jahren Angst vor dem Sündenfall des Kannibalismus, nämlich SAP Business by Design auch den eigenen Enterprise-Kunden anzudienen, endlich dazu durchringen konnte, die Cloud-Lösung als Subsystem unter SAP ERP (fka R/3) zu positionieren, sprach Bände.

Es ist schon faszinierend, dass sich SAP zum zweiten Mal innerhalb von 24 Monaten die eigene Strategie von ihren Kunden umschreiben ließ: zunächst bei der Abwehr der erhöhten Wartungsgebühren, dann bei der Hereinnahme von ByD ins Enterprise-Portfolio. Es wäre nicht die schlechteste Idee, wenn SAP sich auch weiter darin üben würde, auf ihre Kunden zu hören – vielleicht beim nächsten Mal schon vor der Verkündung der neuen Strategie.

Zunächst aber hört SAP auf den Marktverstand derer, die durch Aufkäufe ins Management kommen. Dass der SmartFactorist Lars Dalgaard nun die SAPPHIRE nutzen wird, um den Walldorf-Salat aus diversen, wenn nicht sogar divergierenden Cloud-Angeboten neu anzurichten, ist selbstverständlich. Ein Baustein wird dabei der Ausbau hin zu einer vereinheitlichen Cloud-Plattform sein, unter der SAP ihren bisherigen Angebotsmix anbietet. Für eine ByD-Lösung, die als Closed-Shop entweder ganz oder gar nicht eingesetzt wird und äußerst arm an Schnittstellen zu Drittsystemen ist, dürfte da nur nach einer mächtigen Metamorphose Platz sein.

Aber genau dies zeichnet sich ab: Dem Vernehmen nach diskutiert SAP heftig darüber, stärkere Angebote im Bereich Finance und Human Resources zu erbringen – zwei Bausteine, die innerhalb von ByD auch nach Weltklasse-Maßstäben hervorragend gelöst sind. Als schwach wird dagegen von Analysten und Anwendern der Manufacturing-Part angesehen. Nichts läge näher, als das monolithische ByD aufzubrechen und den Finance-Kern als Plattform für eine globale Software-Mall zu positionieren, auf die vertikale Lösungen von Drittanbietern über Standardschnittstellen zugreifen können.

Das klingt erfolgversprechender als der Ansatz, die ByD-Wolke durch „minimal-invasive“ Apps anzureichern, die kaum die funktionalen Schwächen von ByD im Supply Chain Management ausgleichen können. Welches Ghetto-Dasein Apps und Add-ons in der SAP-Vertriebsorganisation fristen, beweisen bereits die Schätzchen, die in der Wookey-Ära für die Large Enterprise-Cloud entwickelt oder akquiriert wurden.

 Also weniger Software-Applications-Programming und dafür mehr Platform as a Service. Das verlangt freilich ein neues Vertriebsverständnis und eine überarbeitete Vorstellung vom Kunden. Die nächste Milliarde wird SAP vielleicht nicht in Akquisitionen oder Anwendungen stecken, sondern in Angestellte.

Das I Ging des CIO

In Zeiten der cloudianischen Wende ist es für den Chief Information Officer immer mal wieder sinnvoll, das Buch der Wandlungen, das I Ging, zu Rate zu ziehen. Die 64 Hexagramme, die zum Teil eine frappierende Ähnlichkeit mit dem IBM-Logo aufweisen, geben dem IT-Manager wertvolle Empfehlungen für die nächsten Schritte ins Cloud Computing. Schauen wir doch mal rein…

Schon das erste Hexagramm – eine Kombinationen aus drei Symbolen für Luft – weist den Weg in die Cloud: „Das Schöpferische“ erkennen mehr und mehr CIOs in der Beschäftigung mit der wolkenbasierten IT-Infrastruktur. Vor allem sehen sie, wie Befragungen von Capgemini und IDC im ersten Quartal dieses Jahres zeigen, eine Herausforderung im schöpferischen Umgang der Fachabteilungen mit den Nutzungsmöglichkeiten der Cloud auf sich zukommen. Gerade die Chance, individuelle Anforderungen der Anwender durch Service-Angebote Dritter ad-hoc bedienen zu können, stellt den CIO – in diesem Fall als Chief Integration Officer – vor große Aufgaben. Kein Wunder, dass sie Themen Virtualisierung und Application Integration ganz oben auf ihre To-Do-Liste gesetzt haben.

Kein Wunder aber auch, dass viele mittelständischen IT-Manager Cloud Computing nicht nur mit dem Zeichen für Luft, sondern auch mit dem für Feuer („heiße Luft“?) verbinden und deshalb Handlungsempfehlungen aus dem fünften Hexagramm des I Ging ziehen: „Warten“.

Denn angesichts der ernsten Sicherheitsbedenken, die gerade in Deutschland gegenüber der Public Cloud bestehen, schrecken doch viele IT-Verantwortliche vor der totalen Öffnung gegenüber Drittanbietern zurück. Hier bietet das 13. Hexagramm (zwei Teile Luft, ein Teil Feuer) wichtige Warnhinweise unter dem Titel „Gemeinschaft mit Anderen“. Löscht man jedoch die brandgefährlichen Datenschutzprobleme durch den Aufbau einer firmeneigenen Private Cloud, so ermuntert bereits das nächste Hexagramm den CIO – in diesem Fall als Chief Integrity Officer – mit dem „Besitz von Großem“ (ein Teil Wasser, zwei Teile Luft) zur Investition in die Cloud; allerdings nicht ohne gleich im folgenden Hexagramm auf das richtige Sizing aufmerksam zu machen: „die Bescheidenheit“.

Die ist auch durchaus angebracht, da der CIO – als Chief Investment Officer – langfristig mit eher sinkenden Budgets rechnen muss, auch wenn für das laufende Jahr immerhin zwei von fünf IT-Managern mit wieder wachsenden Etats arbeiten können. Auf lange Sicht aber heißt es, die Kostenvorteile der Private Cloud so zu nutzen, dass bei geringerem Investment mehr Innovation zustande kommt. In der Tat bietet die Cloud wahrscheinlich die einzige wirtschaftliche Systemumgebung für den  langfristig planenden Chief Infrastructure Officer, der nicht den schnellen Erfolg sucht (Achtung: heiße Luft!), sondern warten kann, bis viel Wasser (zwei Teile) durchs Rheintal (ein Teil Erde) geflossen ist. Dann nämlich winkt das 35ste Hexagramm: „der Fortschritt“.

Das kann durchaus als Befreiung (40stes Hexagramm – ebenfalls zwei Teile Wasser, ein Teil Erde) für das Zukunftsbild des CIO aufgefasst werden. Denn weniger geht es dem CIO künftig um die rein technische Umsetzung der Anforderungen aus den Fachabteilungen, sondern – sozusagen als Chief Intellectual Officer – um die Definition der strategischen Ziele des Unternehmens und der Identifikation der IT-Mittel zu ihrer Erreichung. Mehr Substanz in der inhaltlichen und intellektuellen    Auswahl von möglichst standardnahen Anwendungen soll deshalb die Private Cloud für den Chief Integration Officer bringen. Eine solche „Sammlung“ aus einem Teil Wasser (Applications), einem Teil Feuer (Big Data) und einem Teil Erde (Infrastruktur) empfiehlt das 45ste Hexagramm. Die Mehrheit der in jüngsten Umfragen zitierten CIOs sehen darin eine durchaus errgende Perspektive (51 stes Hexagramm, ebenfalls Feuer, Wasser, Erde).

So führt Cloud Computing – versehen mit der Weisheit des I Ging – zur modernen, „liquid organisation“ mit dem CIO als wahrem CEO, als Chief Enabling Officer. Aber nur, wenn er auch den letzten beiden Hexagrammen Folge leistet: er muss alles im Fluss halten (drei Teile Wasser – „Vor der Vollendung“) und für die Idee brennen (drei Teile Feuer – „Nach der Vollendung“).

Im Tal der Tränen

Nicht alle Tropfen, die aus einer Wolke kommen, sind zwangsläufig Regentropfen. Auch Tränen sind dabei – wie SAP jetzt noch einmal bestätigte. Während die Geschäftszahlen des Walldorfer Softwareriesen insgesamt optimistisch klingen und der Konzern im Wettlauf mit den globalen Wettbewerbern derzeit durchaus punktet, steht die Cloud-Strategie nicht erst seit Hasso Plattners viel beachtetem Video in ständiger Kritik.

Kein Wunder. Schon seit sich SAP 2007 mit der vorschnellen und vorlauten Ankündigung, in kürzester Zeit mit der neuen Cloud-Software Business by Design bis zu 100.000 Kunden anlocken zu wollen, lächerlich gemacht hatte, steht das Walldorfer SaaS-Angebot kontinuierlich am Pranger. Die Mutmaßungen über den Entwicklungsaufwand, der zur Entwicklung dieser Anwendungssuite betrieben werden musste und muss, streben in die Sterne. Nach anfänglichen Schätzungen von mehreren hundert Millionen Euro, die das neueste Softwareangebot verschlungen haben soll, gehen die Zahlenwetten jetzt bereits in die Milliarden.

Wie viel auch immer – ob und wann SAP das Geld zurücksehen wird, scheint selbst unter den optimistischsten Marketiers keine große Wettleidenschaften mehr zu entfachen. Jetzt gab SAP öffentlich zu, dass der Gewinn aus dem Unterfangen ungewiss sei. Ja, ob man mit Cloud-Angeboten überhaupt Geld verdienen könne, wird plötzlich in Frage gestellt.

Dabei beruht die Erkenntnis, dass Cloud-Betreiber und solche, die in Cloud-Anwendungen investieren, durch ein mindestens dreijähriges Tal der Tränen gehen, auf einfachen betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Überlegungen. Denn mit dem alternativen Infrastrukturangebot durch die Cloud geht ja in der Regel die Aufgabe des alten Softwarelizenz-Paradigmas einher. Das auf Softwarekauf basierende Geschäftsmodell wird durch die Nutzungsgebühr oder Miete ersetzt. Damit prolongiert sich die Amortisation. In der überwiegenden Zahl der Kalkulationen werden die entgangenen Lizenzeinnahmen auf drei Jahre Nutzungseinnahmen umgerubelt. Jede Excel-Grafik zeichnet bei diesem Modell ein Tal der Tränen, das erst den Bergrücken des Erfolgs aufzeigt, wenn die kumulierte Miete das projizierte Lizenzvolumen übersteigt.

Im Übrigen hat schon immer gegolten: Wer Gewinn machen will, muss jemanden finden, der (zumindest kurzfristig) bereit ist, Verlust zu machen. Die Cloud wäre die erste Neuerung, bei der von Anfang an alle Gewinn machen könnten.

Entscheidend aber ist, so zeigte sich letzte Woche auf dem Cloud-Kongress des Berliner „Tagesspiegel“, dass die Cloud tatsächlich zu einer Infrastruktur heranwächst, auf der jeder Gewinn machen kann, der mit der richtigen Idee und dem richtigen Vermarktungsmodell an den Start geht. Es müssen ja nicht immer Milliardenbeträge sein. Gerade der Mittelstand hat es schon immer verstanden, eine ubiquitäre Infrastruktur zu nutzen, um seine eigene Prosperität zu fördern. Es ist damit zu rechnen, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmer in den kommenden Jahren noch so manche Freudentränen vergießen.

Vielleicht ruft ja schon morgen Mark Zuckerberg an…