Davos der digitalen Agenda

„Wenn wir die Chancen der intelligenten Auswertung und Verknüpfung von Daten richtig nutzen wollen, müssen wir uns jetzt mit neuen Methoden und Technologien, aber auch neuen Sicherheitsanforderungen auseinandersetzen.“ – Staatstragender, aber auch präziser kann man die Herausforderungen, die mit dem Buzzword „Big Data“ verbunden sind, nicht auf den Punkt bringen, als es Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière  jetzt im Vorfeld der CeBIT getan hat. Immerhin: Der Innenminister repräsentiert eines von vier Ressorts in der Bundesregierung, die sich mit dem Umgang und den Auswirkungen des Internets und ganz besonders mit dem Erkenntnisgewinn auseinandersetzen, der mit der Auswertung von Massendaten möglich ist – zum Guten und zum Schlechten.

Stärker als mit der Befassung der Ressorts Inneres, Justiz, Wirtschaft und Verkehr (mit dem Zuständigkeitsbereich Digitale Agenda) konnte die Große Koalition der Deutschen Messe gar nicht bestätigen, dass sie mit dem Topthema der diesjährigen CeBIT voll ins Schwarze getroffen hat. „Datability“, also die Fähigkeit (Ability) zur Auswertung von großen Datenmengen ist eines der zentralen Technologiethemen der Informationswirtschaft. Schutz vor Ausspähung, Privacy und informationelle Selbstbestimmung hingegen sind gesellschaftspolitische Herausforderungen, mit deren Behandlung die CeBIT nicht nur zur Hightech-Messe erster Ordnung, sondern auch zu einem gesellschaftspolitischen Epizentrum werden kann. Die Foren und Diskussionsrunden lassen hoffen, dass die CeBIT dieser Doppelaufgabe gerecht werden kann.

Es war freilich nicht immer so, dass die Informationswirtschaft und Telekommunikation, die sich im Centrum für Büro- und Informationstechnik ein Welt-Denkmal setzte, eine gesellschaftspolitische Attitüde hatte. Zunächst als Randthema der Industriemesse, dann als Exklusivthema der Halle 1 (die es aufgrund ihrer schieren Größe übrigens ins Guinness-Buch der Rekorde brachte) gewann die CeBIT schließlich auf dem Höhepunkt des Besucherzuspruchs 2001 mit sagenhaften 830.000 Menschen breitestes öffentliches Interesse. IT war aus dem Keller der Maschinen in die Köpfe der Menschen aufgestiegen.

Allerdings waren die Messehighlights 2001 (GPRS und UMTS) auch ein Wendepunkt für das Messewesen insgesamt – und nicht nur für die CeBIT allein. Die Smartphone-Standards leiteten eine Entwicklung ein, die zum Sargnagel der klassischen „Brick-and-Mortar“-Messen werden dürfte: Im Mobile Computing ist jeden Tag Messe – rund um die Uhr und rund um den Globus. Ganz ohne Hallen und Hektar. Und bei dieser totalen Messe fallen zudem jene Massendaten an, deren Analysen nun zum ganz großen Wirtschafts- und Gesellschaftsthema avancieren: Produktbeurteilungen, Kaufentscheidungen, Chats, Bewegungsdaten, Kontakte, Verbindungsdaten und und und. Im Internet der Dinge könnte – überspitzt formuliert –  jedes Sandkorn auf der Welt seinen Status posten. Und damit würden aus Big Data Bigger Data werden.

Die CeBIT-Verantwortlichen haben – übrigens anders als die Planer der CES in Las Vegas – das Verdienst, diese Entwicklung schon früh thematisiert zu haben. „Managing Trust“ hieß 2012 das Leitmotiv, 2013 war es die „Shareconomy“. Es könnte ein Erfolgsmodell sein, dass der CeBIT auch weiterhin eine Daseinsberechtigung erhält – auch wenn die Zahl der Besucher in diesem Jahr auf einen weiteren Tiefststand rutschen kann (zum Vergleich: die erste unabhängige CeBIT 1986 besuchten 334.000 Menschen).

Auch wenn immerhin 500 Unternehmen die CeBIT dieses Jahr nutzen wollen, um Sicherheitstechnologie zu zeigen, liegt der Schwerpunkt der Debatte diesmal vielleicht weniger auf den Ausstellerständen als auf den Konferenzen und Foren. Denn die CeBIT kann sich von einer reinen Technologieshow zu einem „Davos der digitalen Agenda“ mausern. Begleitkongresse wie die „CeBIT Global Conferences“ (früher ein wenig spartanisch „Firmenvorträge“ genannt, ehe der BITKOM die Schirmherrschaft übernahm) würdigen jetzt vor allem den (welt)wirtschaftlichen und (gesellschafts)politischen Aspekt der Informationswirtschaft und Telekommunikation. Dass in diesem Jahr unter anderem der stellvertretende NATO-Generalsekretär Dr. Jamie Shea und die EU-Kommissarin Neelie Kroes die Global Conferences zu ihrer Bühne machen, um sich zu Themen wie Cyber War, Ausspähung und Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu äußern, ist ein Beweis für den allgemeinpolitischen Anspruch, den die CeBIT reklamieren kann. Das Engagement von Bundesinnenminister Thomas de Maizières als Schirmherr des Public Sector Parc unterstreicht dies noch. Und zur Eröffnung werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Großbritanniens Prime Minister David Cameron (als Vertreter des Gastlands) kommen. Dass mit Martin Winterkorn nicht nur der Vertreter des größten deutschen Industriekonzerns die Messe eröffnet, sondern auch damit die Konvergenz von Auto und Computer durch das Internet zu würdigen weiß, ist wiederum ebenso eine gesellschaftspolitische wie weltwirtschaftliche Note. Also ein bisschen Klein-Davos ist Hannover dann doch.

Do, Dobrindt, Do

„Es gibt nichts gutes, außer man tut es“ – diesen grammatikalisch etwas schluderig daherkommenden Satz von Erich Kästner machte sich jetzt der neue Verkehrsminister Alexander Dobrindt, zugleich zuständig für die Digitale Agenda, zu eigen. Denn seine Umkehrung – Nichtstun sei in jedem Fall falsch – vertrat der selbsternannte „Minister for Mobility and Modernity“ auf der Burda-Internetkonferenz DLD in München am Wochenende.

In der Tat: Deutschland liegt beim Internet-Ausbau nicht nur „weit zurück“, wie Dobrindt konstatierte. Nach Internetanalysten liegt Deutschland mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,3 Mbit/s bei Internetverbindungen gerade mal auf Platz 22 – hinter den USA (Rang 8 mit 8,7 Mbit/s) sowie Südkorea (13,3), Japan (12,0) und (huch!) der Schweiz (11,0) auf den ersten drei Plätzen. Speed beim Feed im Web ist demnach die Grundvoraussetzung für die Aufholjagd „im digitalen Bereich“: mehr Internet-Firmen, mehr europäische Gemeinsamkeit, weniger Abhängigkeit von den USA und deren NSAseweisen Abhörmethoden.

Richten soll dies unter anderem die „Netzallianz Digitales Deutschland“, die Industrie und Politik zur konzertierten Aktion beim Breitbandausbau zusammenrufen soll. Wie dies genau geschehen soll, ist zwar noch unklar. Timotheus Höttges, seit 1. Januar neuer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, begrüßte auf der DLD-Konferenz aber den Vorstoß des Ministers, mahnte allerdings nicht mehr Engagement der Politik an, sondern eher weniger: Gerade die noch immer strenge Regulierung des Marktes in Europa – wie zuletzt beim Versuch, die Roaming-Gebühren zu kappen – behindere den Netzausbau.

Tatsächlich offenbart die Replik das Grunddilemma europäischer Marktentwicklung gegenüber den Märkten in Nordamerika und Asien. Dort können Anbieter nahezu unbegrenzt Territorien erobern, während in Europa unverändert nationale Märkte etabliert sind. Kein Wunder also, dass auf dem Weg zum Global Player zunächst die großen Märkte USA und China ins Visier genommen werden, ehe auf den europäischen Kleinmärkten Kräfte vergeudet werden.

Das sieht auch Minister Dobrindt, der mit einer europäischen Netzinitiative – „zumindest im Schengenraum“ – mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen will: Abhörsicherer europäischer Datenverkehr ohne Umweg über Server in den USA, einheitlich niedrige Gebühren bei hohen Geschwindigkeiten und nicht zuletzt eine gemeinsame Start-up-Kultur, die das übernächste ganz große Ding im Internet wieder aus dem Alten Kontinent entstehen lässt. Schon hat sich auch die FDP vorgenommen, ihren Europawahlkampf unter das Stichwort „Euro-Web“ zu stellen.

Es ist schon ein Treppenwitz, dass angesichts von Strategieplänen zu Industrie 4.0 als große Euro-Initiative im Internet of Everything die weltmarktführenden deutschen Automobilhersteller ausgerechnet ins Silicon Valley abwandern, um ihre autonomen Fahrzeuge mit amerikanischer Selbstfahr-Software auszustatten. Die nächste Abhörfalle – diesmal über globale Bewegungsprofile – wäre damit vorgezeichnet. Stattdessen, so meinte Peter Vesterbacka, Chef des Spielehersteller Rovio (Angry Birds), müssten die Snowden-Enthüllungen doch „das beste Marketingprogramm für Europa“ sein.

Man muss nur auch in die Schuhe kommen. Alexander Dobrindt sieht sich da plötzlich in ganz besonders großen Schuhen – als Erbe von Franz-Josef Strauß, der als Aufsichtsratsvorsitzender von Airbus Industries bis zu seinem Tod 1988 ganz wesentlich den Aufstieg des Boeing-Konkurrenten beeinflusst hat. Nur – Airbus wurde 1970 gegründet und schaffte erst 30 Jahre später den Durchbruch. So viel Zeit bleibt diesmal nicht. Deshalb: Machen, Dobrindt, machen!

 

Kabinettstückchen

Nach dem Ja  der sozialdemokratischen Basis zum schwarzroten Koalitionsvertrag ging es richtig schnell – und alle Ämter wurden mit Köpfen ver-sehen. Ob es sich möglicherweise hier und da um ein Ver-sehen handelt, wollen wir frühestens nach 100 Tagen erstmalig beurteilen. Aber es stimmt doch nachdenklich, dass sämtliche Ressorts, in deren Zuständigkeit Aufgaben mit der Vorsilbe „Ver“ vorgesehen sind, für Überraschungen gesorgt haben.

Da ist zuallererst das Ver-teidigungsministerium, das mit Ursula von der Leyen nun zum ersten Mal von einer Frau ver-waltet wird. Das Lob der Kanzlerin, die Niedersächsin könne sich so ziemlich in jedes Thema hineinarbeiten, klingt allerdings durchaus ver-halten. Aber wenn man bedenkt, dass nunmehr schon ein halbes Dutzend männlicher Kollegen bei der Aufgabe ver-sagt haben, die Bundeswehr zu reformieren, sollte man es durchaus mal mit einer Frau ver-suchen.

Da ist zweitens das Ver-braucherministerium, das vom Landwirtschaftsministerium ins Justizministerium wechselt und nun in der Ver-antwortung des Saarländers Heiko Maas liegt. Das ist nun durchaus ein Signal, denn Ver-braucherschutz hört nicht bei Fleischgammlern und Weinpanschern auf, sondern ist – gerade im Zeitalter des eCommerce – eine heikle juristische Ver-anstaltung.

Und da ist drittens das Ver-kehrsministerium, das unter dem Seehofer-Ver-trauten Alexander Dobrindt nunmehr auch die digitale Infrastruktur  im Ressortzuschnitt ver-ordnet bekommen hat. Die Resonanz in der ver-netzten Welt war ver-halten. Zum einen scheint der Ver-bund von Ver-kehr und Ver-netzung falsche Signale zu ver-mitteln. Zum anderen hat der neue Amtsinhaber bislang nicht unbedingt auf sich ver-wiesen, wenn es um das Ver-ständnis für die Internetwirtschaft geht.

Schnell machte das ver-unglückte Wort von der Datenautobahn wieder die Runde. Und Witzchen wie die Sorge um eine Ausländermaut auf deutschen Internet-Trassen fanden am Sonntag schnelle Ver-breitung. Dabei ist es natürlich bedenklich, wenn das Internet auf den Ausbau von Trassen reduziert bliebe. Aber der Ausbau der Infrastruktur mit Asphalt und Glasfaser ist für den Logistikstandort Deutschland alles andere als ver-zichtbar.

(Und haben wir nicht selber vor wenigen Bonnblogs einen Infrastrukturminister gefordert? Bei Wünschen, heißt es, soll man vorsichtig sein. Sie könnten in Erfüllung gehen – nur anders als erhofft.)

Die juristische, die soziale und die wirtschaftliche Komponente des Internets ist im Justizministerium keinesfalls schlecht ver-ortet. Denn nun können Verbraucher- und Anbietersichten intellektuell ver-knüpft werden. Was wir hier brauchen, ist ein Ver-trauensministerium, das dabei hilft, die Ängste um das Aushorchen durch Dritte, um das Aus-Phishen von Zugangsdaten, um das Abzocken durch Nepper zu ver-ringern.

Dieses Kabinett, dem wir mit seiner Ver-eidigung am Dienstag bestes Gelingen wünschen und gute Ver-richtung in der Umsetzung der Ver-einbarungen im Koalitions-Ver-trag, weist so manches Kabinettstückchen auf. Dazu zählt sicher auch die Rückkehr von Jörg Asmussen von der EZB in die Bundespolitik – als ver-beamteter Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium.

Jetzt geht es nach der Ver-eidigung erstmal in die ver-diente (?) Weihnachtspause, ehe dann im Januar ver-stärkt und mit ver-einten Kräften regiert wird. Sozusagen mit Ver-ve!

Aus gutem Grund: Mehr Zeit für Gründer

Am Ende hieß es nicht „Es ist geschafft“, sondern nur „Wir sind geschafft!“ In elf Stunden war die Verhandlungsrunde zur großen Koalition alle Punkte des 177 Seiten starken Koalitionspapiers noch einmal durchgegangen. Einen überraschend großen Raum nimmt im Papier die digitale Wirtschaft ein. Ob alles kommt, bleibt abzuwarten. Ob alles gelingt, darf bezweifelt werden. Aber dass die künftige Bundesregierung eine Reihe von Antworten auf anstehende Fragen rund um das digitale Leben sucht, stimmt in jedem Fall hoffnungsfroh.

Neben den bereits gewürdigten Maßnahmen (siehe Bonnblog vom 25. November) zur Infrastrukturverbesserung – etwa durch flächendeckende Breibandvernetzung – oder die Digitalisierung der traditionellen Industrie – Stichwort: Industrie 4.0 – überrascht, dass die große Koalition in nahezu allen Lebensbereichen eine „digital Awareness“ zeigt. Das Internet ist eindeutig in den Köpfen der Politiker angekommen und erzeugt dort Machbarkeitsüberlegungen.

So werden neben dem Fahrzeug- und Maschinenbau ausdrücklich auch die Logistik und das Gesundheitswesen als Zielbranchen genannt, die „global wettbewerbsfähig bleiben“ sollen und deshalb durch Spitzenforschung und Clusterbildung besonders gefördert werden. Es klingt zwar ein bisschen wie Buzzword-Bingo, also der Suche nach den sechs beliebtesten Begriffen, aber Unterstützung soll die digitale Wirtschaft vor allem in den Disziplinen „intelligente Mobilität“, „Smart Grids“, „Cloud Computing“, „Big Data“, „Green IT“ und „IT Sicherheit“ erfahren.

Und dafür soll ein neuer Gründungsgeist durch Deutschland wehen, der die Zahl von derzeit 10.000 Neugründungen pro Jahr um 50 Prozent – also 15.000 Gründungen jährlich – erhöhen helfen soll. Erreicht wird dies durch weniger Bürokratie in einer „One-Stop-Agency“, die den Verwaltungsprozess zur Firmengründung auf 72 Stunden begrenzen soll. Gleichzeitig soll mit einer „Gründungszeit“ quasi eine Geburtshilfe für Start-ups „aus der Beschäftigung heraus“ erleichtert werden, indem in Teilzeit das bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Test neuer Ideen am Markt vereinbar gemacht werden soll.

Auch bei den Fördermaßnahmen für Start-ups sieht die designierte Bundesregierung Handlungsoptionen. So will sie eine leichtere Streuung von Wagniskapital ermöglichen und gleichzeitig die Besteuerung von Venture Capital so austarieren, dass auch Business Angels, die sich in mehreren Jungunternehmen finanziell engagieren, zusätzliche Anreize wahrnehmen können. Dazu gehört auch die Prüfung eines „Markt 2.0“ genannten Börsensegments, das es jungen Unternehmen erleichtern soll, frisches Kapital zu erzielen. Und nicht zuletzt: Neben der privaten Initiative sollen auch die bisherigen staatlichen Fördermaßnahmen so ausgerichtet werden, dass sie von der Aufstellung des Geschäftsplans bis zum IPO alle Phasen des erfolgreichen Gründungsprozesses begleitet.

Das alles soll auf den Weg gebracht werden, nachdem die sozialdemokratische Basis ihr Mitgliedervotum abgegeben haben wird und den Weg zur Wahl Angela Merkels am 17. Dezember zur Bundeskanzlerin freigemacht hat. Dass der mutmaßliche Vizekanzler Siegmar Gabriel dann aus einem zum Superministerium ausgebauten Wirtschaftsressort heraus die von ihm mitverhandelte digitale Agenda auch umsetzt, sollte nicht bezweifelt werden.

Allerdings sind dies nur Rahmenbedingungen, die eine Stimmung für mehr Internet in der Politik und mehr Unternehmensgründung in der Wirtschaft bereiten soll. Ideen entwickeln, Märkte erkennen, Chancen umsetzen und Kapital riskieren – das verlangt eine Kultur des Zupackens, des Wagen-Wollens. Da ist jeder gefragt. Es reicht nicht der sehnsuchtsvolle Blick ins Silicon Valley. Denn Gründe fürs Gründen gibt es hierorts genug. Man muss nur was unternehmen wollen. Damit es am Ende doch heißt: „Es ist geschafft!“