Fast 4 Millionen Dollar pro Kunde

Überraschend schnell kam die Jury in Oakland bei ihrer Beratung zum Rechtsstreit zwischen SAP und Oracle zu einem Urteil. Warum auch nicht – die Schuldfrage war durch das wiederholte Eingeständnis des Beklagten bereits geklärt. Zu bewerten war lediglich die Höhe des Schadens und der damit in Relation zu stellenden Sühne.

Eine Woche früher als erwartet legten die acht Geschworenen die Strafe für SAP auf 1,3 Milliarden Dollar fest – und näherten sich damit der Forderung der Oracle-Seite, deren serösere Forderung bei 1,7 Milliarden Dollar gelegen hatte. Im lustigen Zahlenraten aber hatte Oracles Gründer und Boss Larry Ellison die Spekulationen auch schon mal auf 4 Milliarden hoch getrieben – das Hundertfache von dem, was SAP während des Gerichtsverfahrens in eigenen Gutachten als angemessen angesehen hatte: 40 Millionen Dollar.

Und wofür? Für fünf Terabyte an Daten – Software und Dokumentation –, die TomorrowNow heruntergeladen haben soll, wie es vor Gericht hieß. Über das tatsächliche Ausmaß des Schadens, den der Raub an Oracles Intellectual Property damit angenommen hat, sagt das im Grunde genommen gar nichts aus. Die Jury hat denn auch in ihrer Beratung nicht die Show-Auftritte der Top-Executives gewürdigt, die den Schaden je nach Interessenslage rauf- oder runtergespielt hatten. Sie hat vielmehr versucht, eine Analyse der kopierten Daten zu leisten. Ob sie das kann, ob dies überhaupt möglich ist, sei dahin gestellt. Heraus kam ein Strafmaß von 1,3 Milliarden Dollar. Es ist nun an der Richterin Hamilton, zu beurteilen, ob das Ausmaß angemessen ist.

Sollte das Verdikt bestätigt werden, hat SAP knapp 4 Millionen Dollar pro Kunde, der im Zuge der TomorrowNow-Aktivitäten gewonnen worden ist, zu zahlen. Dafür hätte sie jedem Anwender­Unternehmen eine komplette Individualsoftware auf den Leib schreiben können. Dafür hätte SAP die Entwicklung von Business by Design, der neusten Software-Suite aus dem Hause Walldorf, noch einmal von vorne beginnen können. Strafe soll schmerzen. 1,3 Milliarden Dollar oder knapp eine Milliarde Euro tun dies sicher. Die „denkbar blöde Sache“, wie SAP-Gründer Hasso Plattner den Vorfall letzte Woche nannte, ist in der Tat eine folgenreiche Eselei.

Und weiteres Ungemach wird folgen. Zwar blieb SAPs Aktienkurs nach dem Urteilsspruch vergleichsweise unbeeindruckt und dümpelte um die 35,80 €uro, zwar haben Analysten ihre positiven Erwartungen für die Aktie mit Zielen über 40 €uro bestätigt, zwar sieht das SAP-Management die Prognose für das laufende Jahr nicht gefährdet – aber der Schlag ins SAP-Geschäft könnte doch noch eine Bodenwelle mit gewaltigem Ausmaß nach sich ziehen. Denn nach der zivilrechtlichen Würdigung droht nun auch noch eine strafrechtliche Verfolgung, die auch in dem Fall, dass SAP oder ihre Vertreter hier nicht zur Verantwortung gezogen werden sollten, den Imageverlust des europäischen Softwareriesen auf dem amerikanischen Markt noch vertiefen dürfte.

Und auf den Imageverlust könnte ein Vertrauensverlust folgen, wenn SAP hier nicht mit aller Kraft nachsteuert – ein Grund übrigens, der auch in der Frage, ob SAP ein Berufungsgericht anrufen will, eine Rolle spielen kann. Alles noch einmal aurollen hieße, erneut die Medien zu füllen. Gerade jetzt aber baut SAP zusätzliches Geschäft in den USA auf und sieht sich dafür mit der Übernahme von Sybase, der Marktfreigabe von Business by Design und einem US-amerikanischen Co-Chef prinzipiell gut aufgestellt. Die Rechnungen der Marketiers drohen allerdings jetzt wertlos zu werden. Nicht einmal Partner würden diese Informationen dann noch runterladen wollen.

Jetzt auch in Nebraska

Eine Adresse mit Symbolgehalt: P.O. Box 286 DOS. Wer seine Bestellung an diese Adresse in Redmond, Washington schickte und 99 Dollar beilegte, bekam eine fabelhafte DOS-Erweiterung: „Windows 1.0“ hieß das Teil und die Postadresse machte schon mal allen klar, dass nur echte Nerds überhaupt Gefallen an diesem – wie es damals hieß – Advanced Operating Environment haben würde. Denn im PC musste schon der superschnelle Intel 80286 Mikroprozessor ticken, wenn man in den Genuss der ersten „grafischen“, mausgestützten Oberfläche für MS-DOS gelangen wollte.

Und was es alles dafür gab: „MS-DOS executive, an appointment calendar, a cardfile, a notepad, a clock, a control panel, a terminal clipboard, a RAM driver, AND CAN YOU BELIEVE IT, REVERSI”. Wir zelebrieren heute den 25sten Jahrestag von, na? sagt da einer Windows? ach was: vom (unserer Kenntnis nach) ersten Video-Auftritt des vermutlich größten Showtalents in der IT-Branche: Steve Ballmer. Schauen Sie mal rein (aber dann unbedingt weiter lesen): Ballmer Selling Windows

Jetzt wissen wir also, seit wann es Reversi auf dem PC gibt.

Und Windows selbst? War das der Durchbruch für Microsoft, für den PC, für die Welt? Als notorischer Spaßverderber wollen wir zunächst einmal daran erinnern, dass es der Xerox PARC war, wo schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Maussteuerung entwickelt und auch einer staunenden Fachwelt vorgestellt wurde – auf bernsteinfarbenem, monochromem Bildschirm. Und es war 1983, als Apples Lisa für schlappe 10000 Dollar die grafischer Benutzeroberfläche an den (reichen) Fachmann brachte. Xerox verpasste die Vermarktung, Lisa floppte wegen des Pricings und Windows gurkte vom Release 1.0 bis zum Release 2.11 eher vor sich hin. Der Microsoft-affine PC-Nutzer blieb bei DOS und Word mit Klötzchengrafik.

Aber dann, 1990 – also vor 20 Jahren, und das ist ja schließlich auch ein Jubiläum – folgten Windows 3.0 und 3.1 und die Sensation war perfekt – jedenfalls für den größten Teil der PC-Benutzer. Der kleinere Teil rümpfte die Nase und schwor weiterhin auf die schickere, ergonomischere und irgendwie angesagtere Macintosh-Oberfläche. Elite ist schön, aber einsam: so ging nur der kleinere Teil des GUI-Umsatzes an Apple, was schließlich zum Rechtsstreit zwischen Microsoft und Apple führte, den Steve Jobs jedoch nicht für sich gewinnen konnte, weil seine Innovationen selbst „geliehen“ waren. Es ist schon auch ein Treppenwitz der Technologiegeschichte, dass der Erfinder der Xerographie durchs Kopieren aus dem PC-Markt gekegelt wurde.

Und noch einmal fünf Jahre später – 1995 – besangen die Rolling Stones das Erscheinen von Windows 95. „Start me up“ lenkte die Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten Innovationen der Windows-Welt: den Start-Button, den man auch zum Ausschalten benutzt. Windows 95 war der definitive Durchbruch, der aber noch einen mit Windows 98 behobenen Schönheitsfehler hatte: die Komplettintegration mit dem Internet. Was folgte waren ganz gute Weiterentwicklungen, ehe mit Windows Vista ein Marketing-Flop produziert wurde. Von der Investitionspause und dem damit verbundenen Nachholbedarf profitiert Microsoft heute: 240 Millionen Versionen von Windows 7 sind inzwischen in der Welt.

Windows ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass nicht notwendigerweise der technologische Durchbruch die Marktführung bringt, sondern die Gesamterscheinung aus Nutzen und Marketing. Für kein anderes Produkt der IT wurden so viele Marketing-Millionen investiert wie für Windows. Aber es zahlt sich aus: fast die Hälfte des Microsoft-Gewinns entstammt heute der Windows-Produktsparte, sagen Analysten.

Als Steve Ballmer 1985 in bester Komikermanier Windows anpries, verprellte er mit einem Ulk zum Schluss die 1,7 Millionen Einwohner Nebraskas. „Außer in Nebraska“ war vor 25 Jahren eine stehende Redewendung in Commercials, weil der US-Bundesstaat in den Great Plaines die Heimat vieler Call Center wurde, die für ihre 800er Nummern die brachliegenden Telefonleitungen für das Strategic Air Command in Omaha nutzten. (Dafür hätten sie bei einem atomaren Angriff unverzüglich die Telefonleitungen freimachen müssen.) Diese Leitungen durften aber nur grenzüberschreitend, also von einem anderen Bundesstaat aus genutzt werden, womit die Nebraskaner außen vor blieben.

Der völlig unmotiviert angehängte Ulksatz bietet Stoff für Verschwörungstheorien. Das Strategic Air Command nutzte damals schließlich Unix, dessen Siegeszug von Universitäten und Behörden herbeigeredet werden sollte. Daraus wurde nichts. Heute haben 90 Prozent aller PCs, so schätzen Analysten, Windows installiert – jetzt auch in Nebraska.

Wenn der Partner (ab)schafft

Der ADAC hat sich wieder einmal mit dem zentralen Problem aller Autofahrer befasst: Vertragswerkstatt und teures Geld, oder freie Werkstatt und Geld sparen? Das Ergebnis des Stichprobentests ist ebenso eindeutig wie naheliegend: natürlich fährt man bei den markengebundenen Serviceeinrichtungen auf Nummer sicher. Aber was ist schon sicher? Drei von vier der im Auto versteckten Fehlfunktionen wurden entdeckt, obwohl 100 Prozent möglich gewesen wären, wenn der Mechaniker die Wartungsvorschriften des Herstellers genau befolgt hätte – und das könnte eine freie Werkstatt genau so gut wie eine Vertragswerkstatt.

Für die Automobilhersteller sind die Vertragswerkstätten ein entscheidendes Element des Geschäftsmodells – sie sichern die Markentreue der Kunden ab. Nicht das Kauferlebnis entscheidet über das Image eines Automobils, sondern die Total Costs of Usage. Der Service-Partner sichert heute schon die Markenwahl von morgen ab: Getreu dem Motto: „safe tomorrow now“. Hoppla – wir waren bei Autos, nicht bei Software.

Wer also seinen Daimler bei einer freien Werkstatt warten lässt, bei der bevorzugt Volkswagen auf dem Hof steht, sich aber darauf verlassen kann, dass die Mercedes-Wartungsvorgaben eingehalten werden, dann… Moment mal – durfte der sich jetzt die Wartungsunterlagen überhaupt downloaden oder war das schon die Verletzung geistigen Eigentums? Wenn er eine (bezahlte) Prüfung ablegt…

Es geht gar nicht darum, während eines laufenden Prozesses über Gut und Böse, Recht und Unrecht zu rätseln. Auch nicht, da die Tat ja schon eingestanden ist, über das Ausmaß von Schuld und Sühne. Es geht eher um die Frage, wie sich in einer weltweit verzweigten Ecosphäre Mitschuld und Mitverantwortung verteilen.

Bei einer weisungsgebundenen Tochtergesellschaft dürfte das recht klar sein. Aber was ist mit den indirekten Vertriebs- und Service-Kanälen, die sich die großen Leitarchitekturanbieter der Informationswirtschaft aufgebaut haben, um ihre Kunden an jedem Ort der Welt zu jedem Zeitpunkt den Support zukommen zu lassen, der für das Fortbestehen der Geschäftsbeziehung so entscheidend ist? Da betreut die eine Business Unit die Microsoft-Installationen, während die andere sich um, sagen wir: Oracle kümmert. Die einen entwickeln mit Dot.Net, die anderen mit Java – und morgen andersrum.

So unglaublich naiv, illoyal und illegal die Aktivitäten von TomorrowNow auch gewesen sein mögen – der Prozess in San Francisco entscheidet neben der Schuld und der Sühne auch über die Frage, ob Kunden einen Besitzstand darstellen. Es ist die durchaus falsche Vorstellung von einer Kundenbasis, von Bestandskunden im Sinne eines bereits eroberten und eingemeindeten Terrains, der hier mit vor die Jury gezerrt wird. Kunden gehören nämlich zunächst einmal sich selbst. Und auch Partner schaffen das am besten, was ihren eigenen Interessen nützt – das wird (leider) allzu oft am Rande der Loyalität und Legalität gehandelt.

Ein Gericht kann diese Dynamik kaum durch einen Richterspruch einfangen – zumal das Tempo der wechselnden Vertrags- und Vertretungs-Beziehungen durch die Cloud noch zusätzlich beschleunigt wird. Das muntere Platform-Hopping, der stete Wechsel von App zu App, scheint jetzt bereits bei Funktionen, die nicht gerade zu den kritischen Kernprozessen eines Anwenders gehören, fröhliche Urständ zu feiern. Eines ist dabei gewiss: das geistige Eigentum geht im Internet auf Reisen – man kann es auf lange Sicht wohl nur für sich behalten, wenn man es nicht mehr teilt.

Aber das schafft dann auch den Partner ab. Der schafft dann schon längst beim nächsten geistigen Eigentümer. Das ist zwar eine gefährliche Moral, aber eine wahre.

Das Internet der Sinne

Kennen Sie noch den guten, alten Witz, der Computer und Autos vergleicht? Wenn das Automobil die gleiche Entwicklung genommen hätte wie der Computer, dann würden wir alle 18 Monate mit verdoppelter Geschwindigkeit reisen, dafür aber nur noch die Hälfte bezahlen müssen – nur wären wir auch nur noch höchstens 1,81 Zentimeter groß. Und: Wir müssten täglich zweimal mitten im Straßenverkehr neu booten. Haha!

Haha? Das ist nicht lustig – insbesondere nicht, seit die Automobile sich tatsächlich wie Computer entwickeln. Weil sie nämlich fast nur noch aus Computer bestehen. Aus Embedded Systems nämlich, die zu einem der stärksten Wachstumsfelder der deutschen IT-Industrie gehören. Aber seit die Autos mit Informationstechnologie vollgestopft sind, sind sie auch regelmäßig Gegenstand von Rückrufaktionen. Neu booten. Schön wärs.  Das kann nur noch die Werkstatt, wenn überhaupt.

Im Automobilsektor kann man gut beobachten, was passiert, wenn der Service nicht mit der Entwicklung des Produkts Schritt hält. Embedded Systems lassen sich nicht mit dem Öllappen in der Hand einrichten. Der seltsame Spagat zwischen (pardon!) Low Tech mit Schweißbrenner und High Tech mit Lötkolben stellt Werkstätten vor schier unlösbare Aufgaben und führt zu großen Service-Defiziten. Im Maschinenbau, wo der Anteil an kleinen Schlaumeiern in den Maschinen ebenfalls extrem hoch ist, haben Service-Umsätze längst die Größenordnung der industriellen Fertigung erreicht. Die Informationswirtschaft hat sogar ihr gesamtes Geschäftsmodell auf produktbasierte Services aufgebaut.

Der Trend wird sich noch verstärken, wenn nun die nächste Generation an Sensoren in die Maschinen kommt – sogenannte „Cyber-Physical Systems“. Hinter diesem sperrigen Anglizismus verbergen sich Sensoren, die auf der Basis von Umweltmessungen internet-basierte Systeme steuern. Ein populäres Beispiel sind die niedlichen Roboter, die am MIT in Massachusetts ein Gewächshaus mit Tomatenpflanzen bevölkern. Sensoren geben Umweltdaten wie Luft- und Bodenfeuchtigkeit, Temperatur, Nährstoffgehalt im Boden an ein Netzwerk weiter, das dann ein Robotergeschwader zur Grünpflanzenpflege aussendet.

Die Einsatzmöglichkeiten sind zahllos: nicht nur das Fahrverhalten einzelner Autos, sondern des gesamten Verkehrsstroms kann mit sensorgestützten Netzwerken optimiert werden; ganze Gebäudekomplexe können über Umwelt-Sensoren optimal auf den Energiebedarf angepasst werden – und das Netz kann gleich noch die Energiepreise im Auge behalten. Wo heute noch Service zu Produkten geleistet wird, leisten die Produkte ihn morgen selbst.

Das Internet der Dinge, das logistische Prozesse steuert, wird um das Internet der Sinne erweitert. Cyper-Physical Systems sind im ursprünglichen Sinne umweltbewusst – denn sie sind sich ihrer Umwelt bewusst.

Die Vision, sechs Milliarden Menschen durch das Internet zu vereinen, wird dabei länger auf ihre Verwirklichung warten müssen als die Vorstellung, dass sechs Billionen Embedded Systems – vom Sensor bis zum Leitstand – im Web verwoben sind. In den USA ist das Netz der Sinne schon längst eine der zentralen Forschungsaufgaben, die von der National Science Foundation koordiniert und aus dem zentralen Budget (derzeit 5,6 Milliarden Dollar) gefördert wird. In Deutschland organisieren sich Forschung und Entwicklung soeben – mit dem ehemaligen SAP-Vorstandsvorsitzenden Prof. Henning Kagermann als Gallionsfigur. Mikrosystemtechnik und Embedded Systems sind ein starkes Standbein des Technologiestandorts Deutschland. Das Netz der Dinge und das Netz der Sinne müssen es auch sein. Einen größeren Markt kann man sich derzeit kaum denken. Alles andere wäre ein schlechter Witz – siehe oben.