Meister in beinahe so gut wie fast Allem

Zehnkämpfer haben meine ganze Bewunderung. Sie sprinten über 100 Meter in elf Sekunden, obwohl sie nicht schlank sind. Sie werfen den Diskus über mehr als die halbe Rasenfläche, obwohl sie viel zu leicht sind. Sie springen mit dem Stab auf ein Hausdach, obwohl sie viel zu schwer sind. Sie laufen fast viermal ums Stadion, obwohl sie längst platt sind. Sie sind nirgendwo richtig gut und nirgendwo richtig schlecht. Sie sind Allrounder – und das ist möglicherweise die beste Qualifikation, die man in diesen Tagen haben kann.

Umgekehrt gibt es – zumindest aus Marketingsicht – kaum etwas langweiligeres als einen Allrounder. Es gibt nicht dieses „one more thing“, diese „iKone“, mit dem man das Unternehmen identifizieren kann. Es gibt nicht diesen disruptiven Geschäftsansatz, für den der Name von „ama“ bis „zon“ steht. Es gibt kein Verb, nach dem man „googeln“ könnte. Es gibt einfach nur einen Firmennamen und eine lange Firmengeschichte.

Nein, ich spreche nicht von IBM. Würde ich gerne – aus langer Verbundenheit als Big Blue´s erster Mittelstands-Geschäftspartner in Europa. Ich spreche vielmehr von dem Unternehmen, das bis vor drei Jahren noch als langweilig, gestrig, leider auf dem Desktop unverzichtbar, aber irgendwie sowas von nicht hipp galt: ich spreche von Microsoft, dem derzeit wertvollsten Unternehmen der Welt.

Börsianer verteilen keine Almosen. Wenn also der Marktwert an der Börse den von anderen Unternehmen übersteigt, wenn die Aktie innerhalb eines Jahres um 27 Prozent zulegt, dann ist das ein massiver Vertrauensbeweis. Und dieses Zutrauen in eine weiterhin blühende Zukunft stützen die Analysten auf eine Strategie, die vor drei Jahren „Cloud first, mobile first“ hieß, dann „Intelligent Cloud, intelligent edge“ und heute ganz schlicht lautet: Wenn zehn Prozent des globalen BIP für Technologie ausgegeben werden, dann lass uns diese Technologie liefern. Oder wie es Carsten Knop von der FAZ in seinem Potcast formulierte: „Wenn alle Gold suchen gehen, dann verkaufe Schaufeln!“

Diese Schaufeln heißen Microsoft 365, Office 365, Dynamics 365 und vor allem Azure. Sie bestehen aus Rechenzentren, die rund um den Globus und rund um die Uhr Daten und Anwendungen schaufeln. Sie bestehen aus dem Skill, den Microsoft rund um künstliche Intelligenz immer weiter anreichert. Sie bestehen aus einem Ökosystem aus Partner-Lösungen. Und nicht zuletzt bestehen sie aus dem Vertrauen in das Microsoft-Geschäftsmodell, das nicht auf den Daten der Kunden basiert, sondern auf der Produktivität der Anwender. Je erfolgreicher Microsofts Kunden operieren, desto erfolgreicher operieren Microsoft und seine Partner. Schon jetzt übersteigt der kumulierte Umsatz der Partner mit Microsoft-Produkten den direkten Umsatz der Redmonder.

Wir erleben einen unglaublichen Turnaround und ein Comeback, das innerhalb von drei Jahren aus einem langweiligen Tech-Opa, einen schlanken Tech-Hippster gemacht hat. Das ist die Leistung von vielen Hunderttausend Mitarbeitern, die bei Microsoft und Partnern in Lohn und Brot stehen. Und doch hat dieser Turnaround einen einzigen Namen: Satya Nadella, der CEO, der vor drei Jahren Steve Ballmer als Chef ablöste und eine ganze Reihe von Altlasten über Bord warf, ehe er zu neuen Ufern aufbrach.

Microsft ist lange Zeit als Monopolist verschrien gewesen. Jetzt, als Nummer Zwei hinter Amazon im Cloud Business, als Nummer Drei in der mobilen Welt und als Nummer Vier im Markt für Unternehmenslösungen ist Microsoft nur noch ein „Meister in beinahe so gut wie fast Allem“. Aber als Allrounder in allen angesagten Technologiebereichen des digitalen Wandels ist das Unternehmen plötzlich wieder „Everybody´s Darling“.

Und Satya Nadella ist mein persönlicher „Mensch des Jahres 2018“!