Wir bauen eine neue Stadt

Wer mit offenen Augen durch Stadtregionen mit industrieller Geschichte geht, der erkennt die Symbiose von Arbeiten und Leben in den Strukturen. Zwar kann man angesichts von einem zwölfstündigem Arbeitstag und sechs Tagen pro Woche nicht unbedingt von Work-Life-Balance reden, aber die Gründerzeit war doch geprägt von einer aufkeimenden sozialen Verantwortung für die Arbeiter. Der Altruismus machte sich bezahlt: die Boomtowns füllten die Kassen der Industriellen ebenso wie der Krone.

Wer heute in die Shared-Offices der Internet-Unternehmen oder der Working-Space-Anbieter schaut, sieht ganz ähnliche Strukturen – nur in ihrer hippen Version. Das Bemühen um Work-Life-Balance auf kleinstem Raum: Laptop, Liegen, Latte Macchiato. Auch dieser Altruismus hat nur den Boom als Motiv. Er füllt die Kassen der Internauten ebenso wie die der Finanzämter.

Siemens plant jetzt offensichtlich beides: ein Industrieviertel klassischer Prägung mit der Work-Life-Balance der Digitalwirtschaft – dort, wo schon zu Gründerzeiten eine neue Stadt entstand: Berlin Siemensstadt. In der historischen Industriearchitektur soll jetzt New Work entstehen, wo Berliner Hochschulen ebenso wie die Startup-Szene ein und ausgehen sollen.

Auf dem knapp einen Quadratkilometer großen Gelände an der Nonnendammallee sollen neue Produktionsstätten ausgerechnet in den denkmalgeschützten, rund hundert Jahre alten Gebäuden entstehen, in denen zur Gründerzeit das Schaltwerk und das Dynamowerk untergebracht waren. Die Symbole der dritten industriellen Revolution beherbergen dann die Manifestationen von Industrie 4.0.

Drum herum sollen Wohnungen entstehen – und damit eines der größten Probleme der Startup-Szene in Berlin gemildert werden. Denn ausreichender und vor allem bezahlbarer Lebensraum ist in der Hauptstadt knapp. Entstehen sollen aber auch Labore, Workplaces, ein Hotel, Einzelhandelsgeschäfte und sogar eine Schule. So wie man Berlin kennt, wird dann auch die vegane Kita nicht lange auf sich warten lassen…

Der Rückgriff auf Mechanismen aus der Gründerzeit könnte, sollte er denn Realität werden, Symbolwirkung für Deutschland haben. Denn die Gründerkultur geht hierzulande nach einem Boom nach der Jahrtausendwende wieder kontinuierlich zurück. Zwar kommt mehr Risikokapital ins Land, das in neue Ideen und Startups gepumpt wird. Aber die Gründungsneigung auch unter jungen Menschen bleibt im Vergleich zur Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz oder Karriere durch Job-Hopping zurück.

Ebenso nachteilig ist, dass sich traditionelle Unternehmen und Startups nach wie vor schwer tun, miteinander Kooperationen einzugehen und voneinander zu lernen. Dabei gilt: Den einen fehlen die Märkte für ihre innovativen Ideen, den anderen die innovativen Ideen für ihre Märkte. Nach einer noch unveröffentlichten Studie von Prof. Julian Kawohl vom Lehrstuhl für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin sind selbst DAX-Unternehmen zögerlich bei der Zusammenarbeit der Startups. Zwar wurden in der Studie mehr als 400 Projekte ausgemacht, doch mehr als die Hälfte dieser Kooperationen fiel auf lediglich vier DAX-Konzerne.

Siemens will hier im Rahmen seines Konzepts Vision 2020+ offensichtlich aufschließen und sich als Unterstützer von Startups und Hochschullehre re-etablieren. Denn so war es vor gut hundert Jahren schon einmal in Berlin. Jetzt ist es Zeit für eine Renaissance mit digitalem Anstrich.

Dabei hat das Projekt einer neuen Smart City auch eine politische Komponente. Der Berliner Senat hatte unlängst die Pläne von Siemens abgeschmettert, auf einem historischen Gelände nahe der Museumsinsel die neue Konzernzentrale errichten zu wollen. Derzeit ist der Hauptsitz in München, doch 11.400 Mitarbeiter sitzen in Berlin. Die abweisende Haltung des Berliner Senats hat offensichtlich Methode: Erst im Frühjahr hatte Florian Nöll als Vorsitzender des Startup-Verbands einen Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller gerichtet, in dem er ihm vorwarf, die Startup-Szene in Berlin systematisch zu vergraulen. Zwischen Nöll und Müller gab es inzwischen ein klärendes Gespräch. Zwischen Müller und Siemens-Konzernchef Joe Kaeser sicherlich auch: eine „konstruktive Handhabung“ des Denkmalschutzes, eine Anbindung an den fertigzustellenden Hauptstadtflughafen und natürlich so viel Bandbreite wie möglich sind die Voraussetzungen für den Bau einer neuen Stadt.

Three Hugs a Day Keep the Doctor Away

Ich weiß jetzt nicht, ob Sie Scott Van Duzer kennen. Nicht? Also dann: Scotty hat einen Pizza & Pasta Diner in Fort Pierce, Fla. USA. Und als im September letzten Jahres noch Präsidentschaftswahlkampf war, bekam Scott überraschend Besuch von Barack Obama. Um seinen überschwänglichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, nahm Scott seinen Präsidenten einfach in eine herzliche Bärenumarmung, die Barack Obama völlig ergeben über sich ergehen ließ, wie das Bild beweist.

Nun ist ja der weltweite „Hugging Day“ nicht im September, sondern am 21. Januar. Aber Scott Van Duzer brachte das Obama-Knuddeln den Titel des „Most Huggable Man“ des laufenden Jahres ein. – Wobei ich finde, dass zum Knuddeln immer zwei gehören und deshalb der Preis zu gleichen Teilen auf Scotty und Barack verteilt gehört.

Wir alle wissen, hat Barack Obama die Präsidentschaftswahl nicht verloren, obwohl das Politikerknuddeln ja so eine heikle Sache ist, wie wir unlängst gesehen haben. Als der Bild-Chefredakteur wie „Kai aus der Kiste“ angestürmt kam, um seinen Bundeswirtschaftsminister in eine Bärenumarmung zu nehmen, verlor die Rösler-Reise in den Medien ihren eigentlichen Fokus.

Denn die tatsächliche Umarmung, die in dieser Reise geplant und auch vorgenommen wurde, galt dem ganzen Silicon Valley, seinem Gründergeist, seiner Innovationsfreude und seinem – ja, sagen wir es ruhig: Genius. Dieser Genius Loci hat uns alle berührt, die wir in der Delegation des Bundeswirtschaftsministers reisten: Es ist dieses Lebensgefühl des Zurückgelehnt-Seins, das bei allem Wettbewerbsdenken, bei aller Härte im Kampf um Risikokapital, um intelligente Köpfe und um Marktanteile doch immer auch einen sportlich-fairen Geist des gegenseitigen Einverständnisses offenbart. Man ist Elite, aber man ist nicht elitär, sondern in der Elite egalitär.

Diese Attitüde werden insbesondere die zahlreichen Vertreter deutscher Start-up-Companies so empfunden haben müssen (von denen sich übrigens viele beim morgendlichen Zusammentreffen Cheeck-to-Cheeck oder Bearhug-mäßig begrüßten). Die wichtigste Zielsetzung der Rösler-Reise in der vergangenen Woche war es, Jungunternehmer mit Investoren zusammenzubringen. Die zweitwichtigste Zielsetzung bestand darin, in Besuchen bei Google, Facebook, in der Stanford University und in vielen weiteren Treffen im enggepackten Terminplan den Gründergeist aufzunehmen und mit nach Deutschland zu tragen.

Beides ist gelungen. Beides wird sich in den kommenden Monaten – hoffentlich – auch als nachhaltig erweisen. Dann aber wird die „Fürsorgliche Belagerung“ durch den Chefredakteur der Bild-Zeitung und die Frage, inwieweit damit mangelnde Distanz zwischen Politik und Presse zum Ausdruck gebracht worden sein könnte, längst durch andere Skandälchen abgelöst worden sein.

Und als hätte die Rösler-Initiative im Silicon Valley noch eines i-Tüpfelchens der Bestätigung bedurft, verkündete SAP jetzt, seinen Hauptsitz vom beschaulichen Walldorf nach Kalifornien zu verlagern. Warum wohl? Um Steuern zu sparen? Oder doch wohl eher, um näher am Spirit des Silicon Valleys zu sein.

Für SAP kommt die Rösler-Initiative zu spät. Aber nur wenn es gelingt, diesen Spirit nach Deutschland zu holen, wird es uns auch gelingen, Hightech-Firmen in Deutschland zu halten und neue hier entstehen zu lassen. Das verlangt den vollen Einsatz – vielleicht sogar den vollen Körpereinsatz.

Übrigens: Vorschläge für den „Most Huggable“ Menschen 2013 werden unter diesem Link entgegengenommen. Vielleicht kommen Philipp Rösler und Kai Diekmann ja in die Endausscheidung.

Kai Diekmann jedenfalls macht bereits Karriere. Bei einem seiner nächsten Termine wurde ihm bereits ein Willkommens-Poster entgegengehalten. „Meet Kai for free hugs at 12:30“ – „Trefft euch um 12:30 mit Kai zu Umarmungen für umme“. Wir wissen ja alle: Mindestens drei Umarmungen sorgen für ein besseren Wohlergehen. „Drei Umarmungen am Tag halten den Arzt fern“ – aber leider nicht die Kritiker.