Geldreiche und Datenreiche

Wer auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Gehör finden will, der sollte vor dem Gipfel eine Studie herausgeben. Immer mehr Organisationen folgen damit dem Beispiel des Weltwirtschaftsforums selbst, das zu Beginn des jährlichen Elefantentreffens mit mehr als 3000 Teilnehmern aus der ersten Riege in Politik und Wirtschaft seinen Global Risks Report veröffentlichte. Darin wurde vor allem der fehlende Wille zur internationalen Zusammenarbeit und gemeinsamen Problemlösung beklagt. Andere folgten, wie zum Beispiel die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam mit ihrer Kritik, dass die Reichen immer reicher, die Armen dagegen immer zahlreicher werden. Oder die Kommunikationsanalysten von Medien Tenor, die in ihrem „Trust Meltdown“-Report einen massiven Vertrauenseinbruch der Technologie-Unternehmen attestierten.

Tatsächlich beherrschten diese drei Themen weite Teile der Diskussion in Davos, wobei Aufrufe zu mehr Zusammenarbeit, mehr Teilhabe und mehr Vertrauen in nahezu jedem Beitrag zu hören waren. Mehr allerdings auch nicht. Weder werden nationale Egoismen, noch wird die Allokation von Reichtum nach Davos enden. Und auch die Allokation von immer mehr Daten bei wenigen globalen Unternehmen wird sich eher beschleunigen…

„Bitte vergessen Sie nicht, wie viel Gutes wir tun!“ – Geradezu flehend versuchte die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg auch das Positive hervorzuheben. Dem Misstrauen nach Daten-Leaks, Hate Speeches, Shit Storms und Fake News will Facebook mit zahlreichen Initiativen begegnen: Die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik soll verhindern, dass Falschmeldungen aus dem sozialen Netz die Europawahl im Mai beeinflussen könnten; an der TU München soll ein unabhängiges Institut für Ethik der künstlichen Intelligenz geschaffen werden.

Das latente Misstrauen der Davosianer konzentrierte sich schließlich auf Sicherheitsbedenken gegenüber dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei, dem seit langem allzu große Nähe zu den chinesischen Behörden vorgeworfen wird. Huawei stand in Davos stellvertretend für die Volksrepublik China am Pranger, deren offensiver Ausbau von mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Systemen für weltweites Unbehagen sorgt. Der Wettlauf zwischen den Großmächten und den globalen Konzernen um die Vorherrschaft bei KI ist auch ein Wettlauf um die Daten.

IBMs CEO Ginni Rometty warnte denn auch wie viele ihrer Tech-Kollegen die nationalen Regierungen davor, nun bei der Regulierung von Internet-Companies und ihren Datensammlungen überzureagieren. „Wir wollen natürlich die Privatsphäre unserer Konsumenten schützen“. Aber ähnlich wie in der Präzisions-Medizin benötige die Welt eine Präzisions-Regulierung. Dahinter war die deutliche Warnung zu vernehmen, die westlichen Giganten im Wettlauf mit ihren chinesischen Konkurrenten nicht über Gebühr zu behindern.

Auf eine bemerkenswerte Weise unberührt von dieser Stimmung des Misstrauens trat Satya Nadella, der CEO von Microsoft, auf, der bekannte Thesen wiederholte: mit der zunehmenden Verbreitung des Internets der Dinge werde „die Welt zum Computer“. Seine Botschaft klingt versöhnlich, wenngleich nicht weniger herausfordernd: es muss gelingen, möglichst große Teile der Menschheit an den Chancen zu beteiligen, die sich aus der Digitalisierung und vor allem den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz ergeben. Gleichzeitig sprach er sich durchaus für mehr Regulierung in Teilgebieten aus – etwa bei der Gesichtserkennung, die völlig neue Formen der datengestützten Überwachung ermöglicht. Nadella wiederholte dabei das Credo, es gehe nicht darum, die Daten seiner Kunden zu sammeln, sondern für seine Kunden.

Davos hat gezeigt, dass nicht allein der Konflikt zwischen Armen und Reichen schwelt, sondern auch der zwischen den Datenreichen. Beide bieten genügend Zündstoff.

 

In Davos geht die Welt nicht unter

 

Fangen wir mit einer guten Nachricht an: In den vergangenen fünf Jahren wurden in der Informationswirtschaft 150.000 neue Jobs geschaffen. Das hat der Hightech-Verband Bitkom ermittelt. In den kommenden elfeinhalb Monaten werden weitere 40.000 Arbeitsplätze entstehen, prognostiziert der Forschungsbereich des Verbands, der sich auf die Daten des European Information Technology Observatory (EITO) stützt. Ende 2019 sollen dann allein in Deutschland 1,174 Millionen Menschen in den Branchen Informationstechnik, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik arbeiten. Dabei könnten es mehr sein: der Bitkom registriert inzwischen 82.000 unbesetzte Stellen in der Branche. Das ist ein Zuwachs von fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Und das ist die schlechte Nachricht: 82.000 nicht besetzte Stellen bedeuten nach meinen eigenen Berechnungen einen entgangenen Umsatz von rund 16 Milliarden Euro – legt man einen Pro-Kopf-Umsatz von 200.000 Euro an. Die Zahl vergrößert sich noch, wenn man die nicht besetzten Stellen in anderen Branchen – vor allem im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilbranche und im Dienstleistungsgewerbe – ergänzt. Der Verlust könnte sich da leicht auf 50 Milliarden Euro verdreifachen.

Aber es handelt sich so lange um virtuelles Geld, wie es uns nicht gelingt, diese Arbeitsplätze auch tatsächlich mit Fachkräften zu besetzen. Und hier stehen nicht nur die Branchen in Deutschland untereinander im Wettbewerb. Alle industrialisierten Länder stehen bei der Suche nach qualifiziertem Personal untereinander im Wettbewerb und gleichzeitig in Konkurrenz mit den aufstrebenden Nationen wie Indien und vor allem China. Es ist kein Wunder, dass wir überall Tendenzen erkennen, fehlende menschliche Kompetenz durch künstliche Intelligenz zu ersetzen.

So sagt die Gartner Group voraus, dass in nur zwei Jahren bereits jeder vierte Arbeitsplatz weltweit durch virtuelle Assistenten angereichert sein wird – angefangen von der schlichten (aber was heißt schon schlicht?) Spracherkennung, mit der wir unsere Software steuern werden bis zu Bots, die komplexere Aufgaben wie Eventplanung, Produktionsplanung, Buchhaltung oder die Steuerung von Verkehrs- und Materialströmen bewerkstelligen. In Call Centern sind die Chatbots heute kaum noch wegzudenken. Bei Banken und Versicherungen werden sie bald gang und gäbe sein.

So vernichtet KI niederqualifizierte Jobs und erzeugt Arbeitsplätze mit hohen Anforderungen, die zum großen Teil nicht besetzt werden können, weil es an ausreichendem Fachpersonal fehlt. Zwar fordert alle Welt, dass wir unser Bildungssystem und die Bildungsinhalte dringend überarbeiten müssen – doch dieses Ziel versickert im Sumpf der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern und gerät ohnehin aus dem Fokus der Tagespolitik, weil eine andere Bildungsplanung keine kurzfristigen Erfolge schafft. Doch die sind es, auf die sich die Politik konzentriert.

Für Langfristperspektiven schauen wir einmal im Jahr nach Davos, wo nicht nur das weltweite Bildungs- und Qualifizierungsdilemma thematisiert werden wird, sondern auch die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Weltwirtschaft und der künstlichen Intelligenz auf unsere Gesellschaft. Doch alles dürfte in diesem Jahr in den Schatten gestellt werden von den tatsächlichen und fundamentalen Bedrohungen, vor denen wir zu Beginn dieses Jahres stehen – und dabei ist die Sorge um einen ungeordneten, „harten“ Brexit noch die geringste.

Es sind die Nationalismen, die nationalen Egoismen, die in diesen Zeiten die Welt bedrohen. Zum Auftakt des World Economic Forums in Davos hat das WEF seinen alljährlichen Global Risks Report veröffentlicht und beklagt darin, dass eine der größten Bedrohungen darin zu sehen ist, dass ein gemeinsamer Wille zur Lösung unserer Probleme zwischen den Nationen nicht mehr zu erkennen ist. Angesichts von Herausforderungen wie Klimawandel, Cyberkriminalität oder Handelskriegen fehlt es an dem Willen zur gemeinsamen Lösungsarchitektur. Wir schlafwandeln nicht in die Krise, sondern durch die Krisen.

Die Staatenlenker von Großbritannien, Frankreich und den USA haben ihre Teilnahme in Davos abgesagt, weil sie nationale Krisen zu bewältigen haben: Brexit, Gelbjacken und Shutdown. Dafür kommen Bill Gates, Satya Nadella (Microsoft), Bill McDermott (SAP), Ginni Rometty (IBM), Marc Benioff (Salesforce), Jim Hagemann Snabe (Siemens), Daniel Zhang (Alibaba), Michael Dell (Dell), Ken Hu (Huawei), die sich sämtlich mit den brennenden Fragen unseres globalen Zusammenlebens beschäftigen wollen. Es hat den Anschein, als wären die Architekten der Welt doch in Davos anwesend. Dann geht auch die Welt nicht unter.

Deutscher Gen-Defekt

„KI made in Germany“ soll zu einem „internationalen Markenzeichen für moderne, sichere und gemeinwohlorientierte KI-Anwendungen auf Basis des europäischen Wertekanons“ werden. So formuliert die Bundesregierung die Motivation für ihre KI-Initiative, die sie im vergangenen Sommer beschlossen hat. Seitdem feiert sie diesen Beschluss wie zuletzt auf dem Digitalgipfel Woche für Woche neu, ohne dass sich aber substanziell etwas getan hat. Schon wieder sind drei, vier Monate ins Land gegangen – und die geplanten drei Milliarden Investitionen wurden so oft erwähnt, dass sie publizistisch wie 300 Milliarden wirken. Aber gibt es auch Konkretes zu vermelden? Ich wüsste nicht!

Dafür wird wieder einmal viel geredet. Denn die Worthülse „moderne, sichere und gemeinwohlorientierte KI-Anwendungen auf Basis des europäischen Wertekanons“ klingt wieder ein bisschen danach, als sollte „am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen“, wie Emmanuel Geibel 1861 schrieb. Tatsächlich – die drei Ziele, mit denen die Bundesregierung ihre Initiative versehen hat, sind so altruistisch und sogleich so wunderbar langfristig angelegt, dass wir nicht unbedingt mit einer Revolution oder gar Disruption durch Gründer und Innovatoren zu rechnen brauchen. Sie lauten:

  • Deutschland und Europa sollen sich zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien entwickeln. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands soll gesichert werden.
  • Mit der Strategie soll eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Entwicklung und Nutzung von KI sichergestellt werden.
  • KI soll im Rahmen eines breiten gesellschaftlichen Dialoges und einer aktiven politischen Gestaltung ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft eingebettet werden.

Es ist abzusehen, dass die Deutschen immer noch über den Sinn und Zweck von künstlicher Intelligenz nachdenken werden, wenn die großen Anbieter aus den USA und China das Land längst mit KI-Anwendungen überschwemmt haben werden, die so sympathisch und hilfreich daherkommen, wie Alexa, Siri und Cortana. Services für Smart Homes und Smart Cities werden sich schneller „in die Gesellschaft einbetten“ als sich die jetzt von der Bundesregierung geplanten Diskussionsgremien bilden werden.

Selbst Microsoft, das inzwischen wieder für die zielstrebige Umsetzung der „Intelligent Cloud, Intelligent Edge“-Strategie von den Aktionären geliebt wird, hat sich jetzt in Deutschland erst einmal einen KI-Expertenrat zusammengestellt. In den USA ist sowas offensichtlich nicht nötig. Vor seiner konstituierenden Sitzung, zu der Vertreter von wichtigen Microsoft-Kunden sowie aus Politik und Wissenschaft eingeladen waren, erklärte der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, das Gremium sei dazu da,Chancen zu identifizieren und den Rahmen für eine humane Gesellschaft mit KI zu entwickeln.“ Also doch wieder erstmal reden…

Es ist ja nicht so, dass wir dem populistischen Spruch von Christina Lindner folgen sollten: „Digital First, Bedenken Second“. Unsere „Bedenken-First, Bedenken Second“-Haltung zieht sich wie ein nationaler genetischer Defekt durch nahezu alle Technologiesprünge der vergangenen fünfzig Jahre: Mainframes, Personal Computer, Video- und Audio-Medien, Internet, mobile Computing, Cloud Computing, Digitalisierung – und jetzt auch künstliche Intelligenz. Können wir denn nicht einfach mal loslegen?

Schatz, wir müssen reden

Partnerschaften sind ein heikles Thema in Deutschland. Sie zu knüpfen ist gar nicht so schwierig – immerhin verliebt sich alle elf Minuten ein Paar auf Parship. Das sind 131 Paare pro Tag – oder 47782 Paare pro Jahr. Gar nicht mal so viel im Vergleich zu gut 80 Millionen Bundesbürgern. Der Paarungserfolg liegt also eher im Promille-Bereich.

Legt man die wahrscheinlich größte Partnergemeinde in Deutschland zugrunde – nämlich 30.000 Partnerunternehmen bei rund 3,3 Millionen Unternehmen überhaupt – dann ergibt sich kurioserweise schnell ein ähnliches Bild: Einerseits ist jedes zehnte Unternehmen in Deutschland auf dem ein oder anderen Qualifizierungslevel Microsoft-Partner, andererseits entscheidet sich auch nur ein Promille der Unternehmen quasi alle elf Minuten, mit seinen Produkten, seinem Skill und seinem Service, Partner von einem der führenden Cloud-Anbieter zu werden, egal, ob es sich dabei um Microsoft, Cisco, IBM, SAP oder jeden beliebigen anderen Anbieter mit einem Partner-Ökosystem handelt.

Partner werden ist nicht schwer, Partner bleiben doch viel mehr – dieser Satz aus dem Volksmund ist unmittelbar auf die IT-Landschaft anwendbar. Allerdings gibt es neben der Quantitätsgleichung auch ein Qualitätsproblem. Denn wer bislang mit niederen Implementierungsdiensten seine Daseinsberechtigung unter Beweis stellen konnte, wird künftig mit erweiterten Services die eigene Unverzichtbarkeit beweisen müssen. Es reicht schon lange nicht mehr, mit der Gold-Card zum Kunden zu gehen und neue Accounts freischalten zu können. Man muss auch in der Lage sein, neue Nutzungsmöglichkeiten anzubieten und dabei gleich die gesamten Serviceangebote unterbreiten zu können.

Cisco will nun seine Partner-Community weiter entwickeln, weil man erkannt hat, dass höher qualifizierte Partner auch höhere Umsatzbeiträge erbringen – vor allem, wenn sie sich am kompletten Produktzyklus des Unternehmens orientieren und sich nicht einfach nur ein paar Rosinen herauspicken. Also: je genauer ein Partner seinem Technology-Provider folgt, desto größer ist der gemeinsame Markterfolg. Es geht darum, den gesamten Produktzyklus von Cisco (oder Microsoft oder SAP oder IBM) zu erbringen. Wer sich immer stärker an der Produkt-Roadmap orientiert und erschöpfend ergänzende Services unterbreitet, wird zu den Gewinnern der nächsten Digitalisierungsrunde gehören – dies gilt für Anwender ebenso wie für Anbieter.

Diese Ökosysteme sind so mächtig geworden, dass sie locker einen Messe-Event wie die Cebit ablösen können. Wenn 30.000 Partner – wie im Microsoft-Ökosystem – ihre gemeinsame Planung offerieren, dann hat das Branchenwirkung, wie sie die Cebit nicht besser offerieren konnte. Dies, multipliziert mit den Ökosystemen von Cisco, SAP, IBM, Salesforce, der Deutschen Telekom, Vodafone und wie die Global Player alle heißen mögen, erzeugt ein Angebotsportfolio, das jeden Tag und zu allen Themen für jedermann und nach seinen Interessen offengelegt werden kann , wie es das bislang noch nie gab.

Die Cebit ist zwar tot, aber im Partner-Channel lebt die xxBIT weiter fort: 2.400 Teilnehmer auf der Leipziger Partnerkonferenz von Microsoft sind z.B. ein Hinweis darauf, wie sich künftige Ökosysteme ihre Events schaffen. Die Partnershows von Cisco, IBM, SAP oder Salesforce werden dies zeigen. Die Cebit ist Vergangenheit – das dürfen wir getrost bedauern. Aber das Partner-Ökosystem lebt. Das können wir getrost bejubeln. Allerdings müssen wir uns dazu auch als Anwender zu einem Teil dieser Partner-Ökonomie machen. Aber wenn Kunden und Partner um den jeweils besseren Partner-Status buhlen müssen, ist zumindest der gute alte Wettbewerb wieder hergestellt.

Schatz, wir müssen reden!