New Deal

Der 32. Präsident der Vereinigten Staaten, Franklin Delano Roosevelt, versprach seinen Landsleuten bei seinem Amtsantritt während der großen Depression 1933, „die Karten neu zu mischen“. Der „New Deal“ sorgte für einen unglaublichen Wirtschaftsaufschwung, zunächst in den USA, dann weltweit. Er war nicht nur unternehmerfreundlich, sondern zugleich arbeitnehmerfreundlich ausgelegt. Gesellschaftlich, wirtschaftlich und technologisch wurden in der Tat die Karten neu gemischt.

Letzte Woche wurde ein vergleichbarer New Deal auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos heraufbeschworen. Er war in der Abschlussrede des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten ebenso zu hören, wie im Beitrag der Bundeskanzlerin. Der italienische Ministerpräsident beschwor diesen New Deal ebenso herauf, wie sein polnischer Amtskollege. Und einig waren sich alle auch in der Bedrohung, der mit einem neuen sozialwirtschaftlichen Auftrag begegnet werden muss: künstliche Intelligenz.

Sie war der eigentliche Star des Weltwirtschaftsgipfels. Immerhin, so formulierte es Sundar Pichai, der CEO von Google, werde künstliche Intelligenz noch wichtiger für die Zukunft unserer Gesellschaft als die Beherrschung des Feuers durch den Menschen. Denn früher, ergänzte der britische Schatzkanzler Phil Hammond, seien Computer dumm und schnell gewesen. Nun aber würden sie schlau und schnell. Für die Gesellschaft mache das einen großen Unterschied, warnte er.

Warner gab es freilich schon vor Davos: Mit Tesla-Chef Elon Musk und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak kommen sie sogar aus den eigenen Reihen. Tatsächlich sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Computer ein zweischneidiges Schwert. Wir können mit künstlicher Intelligenz einige der größten Bedrohungen wie zum Beispiel den Klimawandel angehen, urteilte Microsofts Chef-Justiziar Brad Smith, der mit seinem neuen Buch „The Future Computed“ nach Davos gereist war. Aber sie könnten auch einen dritten Weltkrieg auslösen, ergänzte Alibaba-Gründer Jack Ma.

So einig sich politische und wirtschaftliche Führer in der Beurteilung sind, dass künstliche Intelligenz langfristig die Welt fundamental verändern wird, so uneins sind sie sich über die kurzfristigen Prognosen. Während die eine Gruppe davon ausgeht, dass künstliche Intelligenz in den kommenden Monaten Zehntausende von Arbeitskräften kosten wird, weist eine jüngste McKinsey-Studie darauf hin, dass zunächst erst einmal zusätzliche Arbeitsplätze entstehen werden, ehe sich ein totaler Wandel am Arbeitsmarkt vollzieht.

Dabei zeichnet sich ein bislang nicht diskutierter Aspekt des Wandels von Arbeit, Verantwortung und Ethik ab: während bislang vor allem davor gewarnt wird, dass die Arbeitsplätze entfallen werden, die lediglich eine niedrige Qualifikation verlangen – und davon gibt es weltweit immer noch Millionen – , warnten die Wirtschaftsbosse in Davos davor, dass ihre eigene Zunft vom Aussterben bedroht sein könnte. Je besser es KI-Systemen gelingt, aus Daten Analysen zu ziehen und daraus wiederum Entscheidungen zu treffen, desto weniger bedarf es einer Managerriege. Dann gehe es vielmehr darum, den Entscheidungen Taten folgen zu lassen.

Was aber machen die Top-Executives in der Zukunft mit der vielen freien Zeit, die sie dank künstlicher Intelligenz haben, witzelte ein Davos-Beobachter: Sie werden vielleicht auf noch mehr Weltwirtschaftsmeetings wie dem in Davos gehen. Das wäre tatsächlich nicht die schlechteste Idee. Denn – so hat es den Anschein – nie war eine weltweite Abstimmung und Synchronisation der Maßnahmen wichtiger für Weltfrieden, Weltklima, Weltgesundheit, Weltwirtschaft und Weltgesellschaft als heute. Digitalisierung und künstliche Intelligenz werfen Fragen auf, die zur Zeit niemand beantworten zu können scheint. Auch dieser Blog nicht.

Denn es geht nicht nur darum, die Karten neu zu mischen, sondern sie auch gerecht zu verteilen. Wer dann die Asse und wer die Luschen in Händen hat, dürfte eine Frage von weltpolitischem Ausmaß werden. Dazu wurde in Davos das Wort von der Fortschrittsdividende geprägt, die sich aus dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ergeben kann. Den sozialen Sprengstoff, der in der Verteilung dieser Fortschrittsdividende steckt, brachte Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni auf den Punkt: eine technisch-globale Elite auf der einen Seite und viele Gruppen von lokalen Frustrierten auf der anderen Seite seien die größte Sorge der Politik.

Es sei nicht genug, wenn sich nur 20 oder 30 Prozent der Bevölkerung für die Segnungen des Fortschritts begeisterten, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deshalb wollen alle in die „Demokratisierung von KI“ (Microsoft-CEO Satya Nadella) investieren: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, dass er zehn Milliarden Euro in einen auf KI fokussierten Innovationsfonds stecken will. Großbritanniens Ministerpräsidentin Theresa May kündigte eine eigene Regierungsstelle für KI an. Und wir Deutschen? Wir warten erst einmal darauf, dass sich eine handlungsfähige Bundesregierung findet. Dann werden wohl auch hierzulande die Karten neu gemischt. Hoffentlich nicht zu spät.

 

CEO und CMO – das digitale Duo

Nahezu wöchentlich erscheint eine Studie über die Frage, inwieweit und wie weit der Mittelstand die Herausforderungen der anstehenden digitalen Transition zur Kenntnis nimmt oder bereits angeht. Dabei wird meist großzügig darüber hinweg gesehen, dass eine Cloud-Schwalbe noch lange keinen digitalen Sommer macht. Der Unterschied zwischen der Bereitschaft, bestimmte Geschäftsprozesse künftig ein bisschen digitaler zu gestalten, und der Fähigkeit, in digitalen Dimensionen zu denken und zu leben, ist immer noch immens.

Das mag auch daran liegen, dass die digitale Transition eigentlich ein Waisenkind ist. Nach einer Analyse der US-amerikanischen Marktforscher von Cognizant gibt es keinen eindeutigen Treiber für den Aufbruch ins digitale Jahrtausend. Obwohl man unterstellen sollte, dass die Ausarbeitung einer umfassenden und alle Aspekte des Unternehmens und seiner Marktkommunikation berücksichtigenden Digitalstrategie absolute Chefsache ist, haben lediglich 42 Prozent der Unternehmen angegeben, dass der Chief Executive Officer der eigentliche Sponsor der Transition ist.

Interessant ist aber auch, dass die operativen Ebenen – die durch den Chief Operating Officer und die Manager der zweiten Ebene repräsentiert werden – praktisch keine Rolle beim Aufbruch in die Zukunft spielen. Obwohl sie die von einer Veränderung der Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle direkt Betroffenen sind, gehen bei nicht einmal 15 Prozent der Projekte die Impulse von den Pragmatikern aus. Das könnte auch erklären, warum die – meist für ihren pragmatischen Ansatz („never change a running system“) gerühmten – Chief Information Officer ebenfalls kaum als digitale Dirigenten in Erscheinung treten. Lediglich jeder vierte Transitionsprozess wird von ihnen geleitet. Nach dem Grund für ihre Zurückhaltung befragt, beklagten die IT-Chefs, dass sie weder durch die Unternehmensleitung, noch durch die operative Ebene Unterstützung für die Formulierung und Durchsetzung einer Digitalstrategie erfahren.

Dabei gibt es Manager-Paarungen, die sich besonders gut für den Aufbruch nach Digitalien eignen. Klassisch ist die Kooperation zwischen CIO und CFO – zwischen dem Herrscher über den Datenstrom und dem Herrscher über den Wertefluss. Mehr als die Hälfte aller Projekte werden durch dieses Duo protegiert. Beide organisieren die Digitalisierung von den klassischen Designzielen Effektivität, Rationalisierung, Kostensenkung her. Dabei geht es für den einen darum, den manuellen Arbeitsaufwand und damit die Fehlerquote zu reduzieren, während der andere die Liquidität besser steuern, vorauseilend die Ausgaben und Einnahmen planen und jederzeit über den aktuellen Stand der Dinge informiert sein möchte.

Gestaltende Planung mit Blick auf ein digital gelebtes Unternehmertum könnte jedoch dann entstehen, wenn sich der CEO mit dem Marketingchef über eine gemeinsame Zukunftsstrategie einig wird. Denn ein Großteil der Digitalstrategie speist sich aus den Überlegungen, wie ein Unternehmen künftig mit seinen Kunden, Lieferanten und anderen Marktteilnehmern kommunizieren will. Dabei geht es nicht mehr darum, Aussagen gegenüber dem Markt zu treffen, sondern vielmehr darum, Aussagen aus dem Markt zu erhalten, um schnell und zielgerichtet darauf reagieren zu können.

Allerdings gibt es im Marketing eine Menge aufzuholen, um tatsächlich über eine eigene – wenn nicht sogar eigenständige – digitale Infrastruktur zu verfügen, die die Kommunikationen zum und vom Markt erfassen, bündeln, auswerten und umsetzen hilft. Treibende Kraft sind dabei die Endverbraucher, also möglicherweise die Kunden der Kunden. Ihr Suchverhalten im Internet, ihr Customer Feedback zu Produkten und Marken, ihr Kaufverhalten bei immer zahlreicher werdenden Vertriebskanälen führt zu einem breiten Datenstrom, den sich das Marketing zunutze machen muss, um nach innen in die eigene Organisation die richtigen Impulse für die Produktionsplanung, die Produktgestaltung und die Markenpositionierung zu geben.

In der Tat: Jeder Teilnehmer im Wirtschaftsprozess produziert inzwischen einen Digitalen Halo um sich herum, eine Atmosphäre aus Informationen über sein Kauf- und Kommunikationsverhalten, an dem jedes Unternehmen interessiert sein muss. Diese Informationen sind übrigens die Haupteinnahmequelle von Google und anderen und der Grund dafür, warum wir im Internet so schöne und teure, für uns aber kostenlose Dienstleistungen genießen. Wir zahlen mit den Daten über uns und unser Verhalten. Sie sind eine wertvolle Währung – aber nur für die Unternehmen, deren Blick für diesen Digitalen Halo geschärft ist. Das digitale Duo aus CEO und CMO kann für die richtige Optik sorgen.

Surfen auf der vierten Welle

Die Welle ist die Metapher der ersten Wahl, wenn es darum geht, einen Vorgang zu beschreiben, bei dem eine Veränderung erkennbar, unaufhaltsam und mit aller Macht auf uns zukommt, wir aber nicht einmal ansatzweise wissen, wie die Welt aussehen wird, wenn die Welle vorbeigezogen ist.

Die natürliche Regung ist, auf die sich nahende Welle zu starren, sie in ihrer Mächtigkeit wachsen zu sehen und uns mit den Methoden, die wir kennen, zu wappnen: festen Stand suchen, irgendwo festhalten, etwas mehr Höhe gewinnen. Besser ist es zu lernen, auf und mit der Welle zu surfen, ohne dabei überrollt und in die Tiefe gerissen zu werden.

Eine solche Welle ist eindeutig disruptiv! Sie beendet das zuvor Dagewesene.

Mit der Versionsnummer „4.0“ besprechen wir schon seit einem guten halben Jahrzehnt die sich nahende Welle der Digitalisierung, die jeden Lebensbereich erfasst: Von A wie „Arbeit 4.0“ bis Z wie „Zusammenleben 4.0“ geht die Spannbreite. Die „4.0“ ist die massivste Welle, seit die Menschheit sich entschlossen hat, die Bäume zu verlassen. Es hat 2500 Jahre gedauert, bis unsere Vorfahren vom Ochsen zur Dampfmaschine als Antriebsmotor wechselten. Es dauerte ein Vierteljahrhundert, ehe sich aus dem WorldWideWeb die Digitale Transformation erhob. Und es wird vielleicht nur 25 Monate dauern, bis diese Digitalisierungswelle über uns hinweggezogen ist.

Wer als Unternehmer und Führungspersönlichkeit die anvertraute Kohorte durch den Ansturm leiten will, sollte vier Fragen kritisch betrachten:

  • Wie könnte sich die Welle auf die eigene Branche auswirken?
  • Welche Herausforderungen ergeben sich für die bisherigen Prozesse?
  • Ist meine Organisation überhaupt auf Veränderungen vorbereitet?
  • Wie kann man einen Change-Prozess verstetigen?

Wer sich diesen Fragen kritisch stellt, wird schnell erkennen: Die klassischen Top-Down-Methoden im Management sind für die Digitale Transformation ungeeignet. Delegation und Fortschrittskontrolle, Hierarchien und streng getrennte Zuständigkeiten, abgegrenzte Markt- und Produktverantwortung sind keine geeigneten Organisationsformen für eine digitalisierte und damit vernetzte Welt. Stattdessen werden Kollaboration aller Beteiligten über soziale Medien, transparente Leistungsbewertung über Methoden wie „Objectives and Key Results“ oder Methoden des agilen Projektmanagements wie etwa „Scrum“ gefordert.

Nach einer jüngsten Umfrage, die unter der Führung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung durchgeführt wurde, sieht sowohl die Führungsriege als auch die Mitarbeiterschaft diese als „Digital Leadership“ zusammengefassten Kernkompetenzen als entscheidend für den Ritt auf der 4.0-Welle an. Allerdings liegen die Einschätzungen über die jeweils vorhandenen Kompetenzen weit auseinander. Während sich das Management – wen wundert´s? – selbst gute Noten gibt, sehen die Mitarbeiter die in die Digitalisierung transformierenden Fähigkeiten der Führungskräfte eher „sehr weit“ vom notwendigen Maß entfernt. Tatsächlich sagt rund die Hälfte der Befragten – Management und Mitarbeiter -, dass Digital Leadership im eigenen Unternehmen noch kein Thema sei. Und die Mehrheit der Befragten gestehen sogar ein, dass sie keine Ahnung haben, wie es zu einem Wechsel im Managementverhalten im Sinne einer Digital Leadership kommen könnte.

Schon vor einem Jahr hat das Beratungsunternehmen Deloitte in einer ähnlich angelegten Studie diese Defizite identifiziert und dabei die Frage erörtert, wer überhaupt im Unternehmen der geeignete Digital Leader, der Chief Digital Officer, sei. Die reflexartige Antwort lautet naturgemäß: der CEO. Doch, so geben die Autoren der Deloitte-Studie zu bedenken, zwar kennt der CEO Produkte, Märkte und Prozesse – aber der klassische Top-Down-Ansatz dürfte ungeeignet sein. Hilfe könnte aus dem Marketing kommen – doch zumindest im Mittelstand wird Marketing immer noch als Werbung minimalisiert. Sie könnte auch vom Leiter der Informationstechnik kommen – doch zumeist ist dem CIO an der Verfestigung des Status quo gelegen.

Was Not tut, ist eine Person von außen, die nichts mit den überkommenen Strukturen zu tun hat. Der Chief Digital Officer ist ein Alien. Aber er hat eine hervorragende, ihn allein auszeichnende Eigenschaft: Er weiß, wie man auf der vierten Welle surft…